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Intervention bislang erfolglos 

Ausbildung in Baden-Baden schon in der Tasche: Regierungspräsidium will Schülerin dennoch abschieben

Melvisa Ibrahimovic hat gerade ihren Hauptschulabschluss gemacht und wollte ihre Ausbildung in einer Zahnarztpraxis beginnen. Jetzt soll die 17-Jährige, die in Mazedonien geboren wurde, abgeschoben werden. 

Traurig und verunsichert: Melvisa Ibrahimovic zeigt das Schreiben, in dem ihre Eltern aufgefordert werden, zum „Widerruf der Duldung für Ihre Tochter“ am kommenden Freitag beim Ausländeramt in Rastatt vorzusprechen.
Traurig und verunsichert: Melvisa Ibrahimovic zeigt das Schreiben, in dem ihre Eltern aufgefordert werden, zum „Widerruf der Duldung für Ihre Tochter“ am kommenden Freitag beim Ausländeramt in Rastatt vorzusprechen. Foto: Ralf Joachim Kraft

Melvisa Ibrahimovic ist eine lebenslustige junge Frau. Sie liebt den Umgang mit Kindern, beschreibt sich selbst als hilfsbereit und kreativ, treibt Sport und kocht unheimlich gerne. Vor allem aber ist sie sehr strebsam.

Sie hat sich Ziele gesetzt, kann etliche Praktika und gute Zeugnisse vorweisen. „Denn ich will etwas aus meinem Leben machen“, betont die 17-Jährige beim Gespräch in ihrer Unterkunft in Muggensturm.

Gerade haben meine Eltern ein Schreiben vom Landratsamt Rastatt erhalten.
Melvisa Ibrahimovic
Angehende Auszubildende, der die Abschiebung droht

Dort wohnt sie seit einem halben Jahr mit Vater Safet, Mutter Mina und ihrem neunjährigen Bruder Melvis. „Zuvor haben wir ein halbes Jahr in Gernsbach gelebt“, berichtet die in Mazedonien geborene Schülerin mit bosnischem Pass. „Gerade haben meine Eltern ein Schreiben vom Landratsamt Rastatt erhalten“, sagt sie mit leiser Stimme. „Widerruf der Duldung für Ihre Tochter“ ist auf dem am 31. Juli zugestellten Schriftstück zu lesen.

Mädchen und Familie aus Bosnien in Deutschland aktuell nur geduldet

Mit anderen Worten: Dem Mädchen droht die Abschiebung. Auch ihre Familie ist nur geduldet. „Duldung“ bedeutet im deutschen Aufenthaltsrecht „Aussetzung der Abschiebung“. Das Regierungspräsidium Karlsruhe (RP) hatte das Landratsamt aufgefordert, der Familie das Schreiben auszuhändigen. Am kommenden Freitag, 11. August, sollen die Eltern beim Ausländeramt der Kreisbehörde vorsprechen.

Den Vertrag habe ich schon erhalten. Aber ohne Arbeitserlaubnis geht nichts.
Melvisa Ibrahimovic
Angehende Auszubildende, der die Abschiebung droht

„Ich bin sehr traurig und verunsichert“, sagt Melvisa, die im Juli erfolgreich die Schule abgeschlossen hat und inzwischen gut Deutsch spricht. Den Hauptschulabschluss machte das Mädchen, das in Mazedonien erst die Realschule und dann das Gymnasium besuchte, an der Louis-Lepoix-Schule in Baden-Baden. Im September wollte sie eine Ausbildung in der Baden-Badener Zahnarztpraxis Euchner (Zahngesundheit Baden-Baden) beginnen.

„Den Vertrag habe ich schon erhalten. Aber ohne Arbeitserlaubnis geht nichts“, weiß die junge Frau, deren Eltern aus Bosnien stammen. „In Mazedonien waren wir Ausländer – wie hier. Wir hatten dort keine Perspektive und sind nach Deutschland gekommen, um hier zu arbeiten.“

Auf den Fall aufmerksam gemacht hatte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Baden-Württemberg, genauer gesagt, der GEW-Kreisverband Rastatt/Baden-Baden. Interventionsversuche verschiedener Stellen blieben laut GEW bislang erfolglos. „Vor dem Hintergrund des akuten Fachkräftemangels ist das ein unerhörter Vorgang“, findet der Kreisvorsitzende Bernhard Baumstark.

Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist das ein unerhörter Vorgang.
Bernhard Baumstark
GEW-Kreisvorsitzender 

Auch Peter Rettig vom Jugendmigrationsdienst (JMD) im Caritasverband für den Landkreis Rastatt findet es schade, dass es solche Hürden gibt. Er hofft noch auf eine Ausnahmegenehmigung. Der JMD-Mitarbeiter hat Melvisa begleitet und sich dafür eingesetzt, dass sie ihre Ausbildungsstelle bekommt. Auch er kann trotz eindeutiger Gesetzeslage nur schwer begreifen, weshalb jemand, der Deutsch spricht und eine berufliche Perspektive hat, abgeschoben werden soll.

Erst „freiwillige“ Ausreise, dann Rückkehr mit Visum 

„Und das in Zeiten, in denen viele Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können und die Regierung Fachkräfte aus dem Ausland anwirbt.“ Abschiebung bedeutet in Melvisas Fall, dass sie vermutlich erst nach ihrem 18. Geburtstag „freiwillig“ nach Sarajewo ausreist. Dort erhält sie einen Termin in der deutschen Botschaft. Bei diesem wird sie die Originale jener Unterlagen übergeben, die ihr Anwalt Andreas Kniep dort zur Prüfung eingereicht hat.

„Ich beantrage damit ein Visum“, berichtet die 17-Jährige, die davon ausgeht, dass sie wohl eine Woche in Sarajewo bleiben muss. „Sobald das Visum genehmigt ist, darf ich hoffentlich wieder einreisen.“ Ob auch ihre Eltern danach einen Aufenthaltstitel erhalten, wisse sie nicht.

Was sagt das Regierungspräsidium? Nach Auskunft von RP-Sprecherin Irene Feilhauer ist Melvisa Anfang 2022 mit ihren Eltern eingereist und hat einen Asylantrag gestellt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) habe die Anträge der Familie als unbegründet abgelehnt. Es sei eine Frist zur freiwilligen Ausreise gesetzt und andernfalls die Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina angedroht worden.

Beschleunigtes Fachkräfteverfahren könnte Ibrahimovic helfen

„Eine freiwillige Ausreise ist nicht erfolgt“, sagt Feilhauer. Eine Beschäftigung dürfe der aktuell geduldeten 17-Jährigen gemäß Aufenthaltsgesetz nicht erlaubt werden, da sie Staatsangehörige eines sicheren Herkunftsstaates sei. Eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Berufsausbildung sei nur möglich, wenn sie freiwillig ausreist. Zudem dürfe kein Einreise- und Aufenthaltsverbot mehr bestehen. Die Wiedereinreise erfolge mit einem Visum zur Berufsausbildung.

Verkürzt werden könnte das Verfahren gegebenenfalls durch das beschleunigte Fachkräfteverfahren – sofern kein Einreise- und Aufenthaltsverbot mehr besteht.
 Irene Feilhauer
Sprecherin des Regierungspräsidiums

Sind alle Voraussetzungen erfüllt, kommt laut Feilhauer in Betracht, dass eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. „Verkürzt werden könnte das Verfahren gegebenenfalls durch das beschleunigte Fachkräfteverfahren – sofern kein Einreise- und Aufenthaltsverbot mehr besteht.“ Letzteres habe das BAMF im Falle der freiwilligen Ausreise für zehn Monate und im Falle der Abschiebung für 30 Monate angeordnet.

Ob und inwiefern dieses Verbot verkürzt werden kann, müsse die zuständige Ausländerbehörde umfassend prüfen. „Ein Aufenthaltsrecht für die Eltern kann nach derzeitiger Rechtslage aus einem Aufenthaltstitel der Tochter zur Berufsausbildung nicht abgeleitet werden“, so die Sprecherin.

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