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„Corpus Delicti“ ist Abiturthema

Theater Baden-Baden setzt einen Thriller und eine düstere Zukunftsvision in Szene

Juli Zehs Werk „Corpus Delicti“ steht auf dem Spielplan des Theaters Baden-Baden. Es gibt in diesem Stück durchaus Parallelen zur Gegenwart. Was macht die städtische Bühne daraus?

Zwei Frauen schauen in ein Buch.
Regisseurin Isabel Osthues (links) und Dramaturgin Miriam Fehlker begutachten das Musterbuch, das Kostümbildnerin Camilla Daemen für Juli Zehs Stück „Corpus Delicti“ erarbeitet hat. Foto: Karl-Heinz Fischer

„Wie soll denn eine Regel, eine Maßnahme, ein Verfahren unfehlbar sein, wenn das alles doch immer nur von Menschen ersonnen wurde?“ Autoritäre Staaten beanspruchen Unfehlbarkeit. Mia Holl, die Hauptfigur in Juli Zehs Theaterstück „Corpus Delicti“, widerlegt diese Unfehlbarkeit. Premiere im Theater Baden-Baden ist am Freitag, 9. Februar, um 19 Uhr.

Autoritär geführte Staaten und populistische Bewegungen, die zu autoritären Staaten führen, sind weltweit auf dem Vormarsch. In Deutschland wehrt sich inzwischen die bislang sogenannte „schweigende Mehrheit“ mit massenhaften Demonstrationen gegen Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und den Verfall der freiheitlichen Demokratie.

Das Theaterstück hat aktuelle Brisanz

Das konnte das Theater Baden-Baden noch nicht ahnen, als es das Stück „Corpus Delicti“ von Juli Zeh auf den Spielplan setzte. Aber damit erhält das Theaterstück, das auch Sternchen-Thema fürs Abitur in Baden-Württemberg ist, zusätzliche aktuelle Brisanz.

Das Stück setzt sich, projiziert in eine nicht allzu ferne Zukunft, mit einem autoritären Staat auseinander, der sein ganzes Handeln auf das möglichst effektive, von keinen Widerständen gestörte Umsetzen seiner Ziele ausgerichtet hat. Das ist zum Teil schon von bestehenden autoritären Staaten wie China oder Russland bekannt und ist in (noch) abgemilderter Form auch bereits innerhalb der EU erleben.

Das staatliche Handeln ist der Gesundheit untergeordnet

Ist beispielsweise China auf das reibungslose Funktionieren der Wirtschaft ausgerichtet, das mit seinen auf diese Weise billig hergestellten Waren die ganze Welt überschwemmt, so ist es bei Juli Zeh die Gesundheit. Auf diese ist in ihrem Stück „Corpus Delicti“ alles staatliche Handeln ausgerichtet und alles untergeordnet.

Der Staat folgt der „Methode“, die scheinbar wissenschaftlich fundiert und daher unfehlbar, für die Gesundheit der Bürger sorgt, obwohl damit auch noch der letzte Rest an individueller Freiheit der Menschen ausgelöscht wird. Das geht so weit, dass staatliche Stellen auch die Partner der Menschen nach genetischen und biologischen Gesichtspunkten festlegen.

Nicht nur das Leben der einzelnen Menschen ist „gleichgeschaltet“, natürlich sind es auch alle Institutionen, die das gesellschaftliche Leben regeln.

Moritz Holl, in der Baden-Badener Inszenierung gespielt von Kilian Bierwirth, lässt sich das nicht bieten. Er raucht, was natürlich ohnehin strikt verboten ist. Und er hat immer wieder Dates, bei denen er sich mit Frauen trifft – bis er auf einmal eine dieser Frauen tot antrifft.

Das Stück wird zum kriminalistischen und juristischen Thriller

Nun wird das Stück auch noch zum kriminalistischen und juristischen Thriller, denn immerhin ist die Autorin selbst Juristin. Moritz Holl wird nämlich nach einem Indizienprozess, der sich auf genetische Analysen stützt, als Mörder der Frau verurteilt – und begeht, ohne je ein Geständnis abgelegt zu haben, im Gefängnis Selbstmord.

Das bringt seine Schwester Mia Holl auf den Plan, eine von Lisa Schwarzer gespielte Wissenschaftlerin, die sich in ihrem ganzen Lebensstil eigentlich problemlos in das System der „Methode“ eingefügt hat. Die Verurteilung und der Tod ihres Bruders aber bringen sie dazu, sich kritisch mit dem System „Methode“ auseinanderzusetzen – natürlich mit gravierenden Folgen für ihr weiteres Leben.

Juli Zeh ist kein George Orwell
Isabel Osthues
Regisseurin

Da denkt man fast schon unwillkürlich an George Orwells ebenso großartigen wie beklemmenden Roman „1984“, der – genauso dystopisch wie Zehs „Corpus Delicti“ – den totalen Überwachungsstaat thematisiert, der den Bürgern keinerlei individuelle Freiheiten mehr lässt.

Aber: „Juli Zeh ist kein George Orwell“, sagt Regisseurin Isabel Osthues, als sie zusammen mit Dramaturgin Miriam Fehlker die Prinzipien der Baden-Badener Inszenierung von „Corpus Delicti“ vorstellt. Dass die Gesundheit das zentrale Prinzip des Staates ist, der konsequent der sogenannten Methode folgt, sei bei Zeh eher zufällig und auch nicht so wie bei Orwell bis ins Detail ausgearbeitet.

Ihr geht es eher um Anderes. Wie viel Verantwortung trägt der Staat für die Ausgestaltung der Lebensverhältnisse beispielsweise. Aber natürlich geht es ihr auch darum, einen spannenden Thriller aus dem Gerichtssaal auf die Bühne zu bringen.

Service

Eine Matinee zum Stück gibt es am Sonntag, 4. Februar, um 11 Uhr im Theater Baden-Baden. Premiere ist am Freitag, 9. Februar, um 19 Uhr. Weitere Aufführungen sind am 24., 25. und 29. Februar, am 8., 9., 10., 27., 28. und 29. März sowie am 12. April.

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