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Ehrenamtliches Engagement

Nicole Dilzer aus Ottersweier fotografiert Kinder, die tot zur Welt kommen

Für Eltern ist es ein Moment, wie er schlimmer kaum sein kann: Ihr Kind kommt tot zur Welt. Für jene, die eine fotografische Erinnerung an das Kind wollen, gibt es die Initiative "Dein-Sternenkind". Ihre mehr als 600 Mitglieder fotografieren ehrenamtlich. Eine von ihnen ist Nicole Dilzer aus Ottersweier im Landkreis Rastatt.

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Ehrenamtlich fotografiert Nicole Dilzer Sternenkinder. Foto: Ursula Klöpfer

Von Ursula Klöpfer

Sternenkind! Eigentlich ein wunderschönes Wort. Doch hinter diesen elf Buchstaben verbergen sich oft unendlich viel Trauer und Verzweiflung. „Wenn werdende Eltern in der Schwangerschaft gesagt bekommen, dass ihr Baby nicht mehr lebt oder während oder kurz nach der Geburt sterben wird, dann bleibt die Welt stehen. All die Hoffnung, die sie während der Schwangerschaft hatten, weicht einer tiefen Verzweiflung“, sagt Nicole Dilzer aus Ottersweier mit leiser, aber fester Stimme.

Sie ist eine von mehr als 600 Fotografen der Initiative „Dein-Sternenkind” , die solche intimen Momente mit ihrer Kamera festhalten. „Es ist eines der schlimmsten Erlebnisse, die einem Paar passieren können, und fast nicht auszuhalten. Doch diese Fotos sind eine wertvolle Erinnerung. Sie belegen, dass das Kind existiert hat und helfen den Eltern bei der Trauerbewältigung.“

Etwa 3.000 dieser Kinder kommen in Deutschland pro Jahr zur Welt. Für Nicole Dilzer ist die Aufgabe keine Bürde, sondern erfüllt sie eher mit Dankbarkeit: „Es ist das erste und zugleich das letzte Bild ihres Kindes, das ich den Eltern schenken kann.“

Preisgekrönte Initiative

2017 wurden die Sternenkind-Fotografen mit dem Deutschen Engagement-Preis ausgezeichnet – im selben Jahr, in dem Nicole Dilzer, gelernte Physiotherapeutin und selbst Mutter eines Sohnes, bei Facebook auf einen Beitrag über Sternenkinder aufmerksam wurde.

Wie gestern erinnert sie sich: „Irgendetwas daran hat mich nicht mehr losgelassen, und ich wollte diese ehrenamtlich arbeitende Initiative unbedingt unterstützen.“ Nach mehreren Monaten beschließt sie: „Ich will das ausprobieren.“ Natürlich weiß sie auch, dass sie mit dieser Entscheidung auf Eltern treffen wird, die gerade den sensibelsten Moment ihres Lebens durchmachen. „Mein Glaube trägt mich dabei“, erzählt die blonde Frau mit dem strahlenden Blick, der so viel Empathie und Mitgefühl ausstrahlt.

Begleitrolle für ein kurzes Wegstück

Natürlich ist nicht nur ein gewisser Grad an Einfühlungsvermögen unabdingbar („Wir Fotografen nehmen nur eine Begleitrolle ein, für ein ganz kurzes Stück des Weges“), sondern auch fotografisches Know-how. Nicole Dilzer ist Fotografin aus Leidenschaft. Besucht man ihre Facebook-Seite, sieht der Beobachter sofort, dass sie ihr Handwerk versteht.

Emotionale und natürliche Familienfotografie nennt sie ihre Bilder: „Ich liebe es, Augenblicke einzufangen, Stimmungen wiederzugeben und nicht zuletzt Erinnerungen zu schaffen.“

Plötzlich leuchtet ihre App auf dem Handy auf. Sternenkind-Alarm: Ein Kind ist gestorben. „Der Tod von Babys begleitet mich in jeder Minute“, sagt Dilzer sanft.

Nimmt sie den Foto-Auftrag an, packt sie ihre Kamera ein und fährt los. Bis zu 200 Kilometer reicht ihr Einzugsgebiet. An ihr erstes Sternenkind erinnert sie sich noch, als wäre es gestern gewesen: „Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich fragte mich: Wie geht es den Eltern? Was ist mit dem Baby passiert? Wie sieht es aus?“

Jeder Ordner ist ein Sternenkind

Als Dilzer das Krankenzimmer betritt, sieht sie zum ersten Mal ein totes Baby – 20. Schwangerschaftswoche, winzig klein, in ein Tuch eingewickelt liegt es in einem Körbchen, ein braunes Strickmützchen auf dem Köpfchen, die Eltern wirken gefasst.

Es ist eine katholische Flüchtlingsfamilie aus dem Irak. „Ich habe mich vorgestellt und tief durchgeatmet. Dann habe ich meinen Job gemacht.“ Später, zu Hause, sichtet sie die Aufnahmen. Auf ihrem Computer legt sie einen Ordner an.

Jeder Ordner ist ein Sternenkind, jedes Bild ein Detail, eine Vergrößerung der Welt, eine Erinnerung: winzige Details, von Händen oder Füßen, die Haut manchmal fast transparent, manchmal schon grau. „Der erste Einsatz ist der schwierigste“, sagt Dilzer gefasst. „Aber nur im Vorfeld, weil man Scheu hat und das Herz rast.“

Den Eltern Erinnerung schenken

Wer einmal ein Sternenkind fotografiert habe, mache das in der Regel immer weiter, weil er weiß, was er Eltern damit schenken kann – nämlich Erinnerung. Dann senkt sie ihre Stimme und wirkt doch ein wenig ergriffen.

„Die Eltern können irgendwann, wenn sie dazu in der Lage sind, die Bilder herausnehmen und ansehen. Dann fällt ihnen wieder ein, wie sich ihr Baby angefühlt und wie es gerochen hat“, sagt Nicole Dilzer. „Das Fühlen aller Sinne, hilft ihnen zu begreifen, dass es dieses Kind wirklich gab und dass es immer ein Teil ihres Lebens sein wird.“

Dein-Sternenkind “ ist Anfang 2013 durch Kai Gebel ins Leben gerufen geworden. Die Initiative schenkt Eltern, deren Baby entweder tot auf die Welt kommen wird/gekommen ist oder nach der Geburt nicht überlebensfähig ist, Erinnerungsfotos. Das bedeutet: Die Sternenkind-Fotografen kommen nach der Entbindung in die Klinik und fotografieren Kind, Eltern und eventuell Geschwisterkinder. Eltern bekommen ein paar Tage später eine CD mit allen bearbeiteten Bildern kostenlos zur Verfügung gestellt. Die inzwischen mehr als 600 Fotografen arbeiten alle ehrenamtlich. „Dein-Sternenkind” ist Träger des Deutschen Engagement-Preises 2017.

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