Finanzstarke Investoren hatten Dieter Heyl und Bertram Bittel für ihr Rentner-Start-up nicht an ihrer Seite, um ihr neuartiges CarpaStretch-Dehnbandage-Band zu entwickeln, auf dem Markt zu platzieren und vor allem das notwendige Zulassungsverfahren nach dem Medizinproduktegesetz erfolgreich zu bestehen. Das Band soll im Fall eines eingeklemmten Nervs das Karpalband an den Händen dehnen.
„Wären wir keine Rentner, wir hätten es nicht gemacht“, so die Erfinder aus Mösbach. Mit ihrer mittlerweile europaweit patentierten Bandage ist es ihnen tatsächlich gelungen, Menschen mit dem Karpaltunnel-Syndrom konservativ ohne operativen Eingriff zu helfen.
Darüber ist der Vorsitzende des Normenkontrollrates (NKR) Baden-Württemberg und Hauptgeschäftsführer der IHK Südlicher Oberrhein, Dieter Salomon, bei einem informellen Besuch am Firmensitz begeistert. Doch bis diese Erfindung als Medizinprodukt zugelassen war und die Hilfsmittelnummer für die Rezeptierung durch Ärzte bekam, gingen Jahre ins Land, von den Kosten in fünfstelliger Höhe ganz zu schweigen.
Das Thema Bürokratieentlastung wird immer drängender.Dieter Salomon
Vorsitzender des Normenkontrollrates
Seit Oktober 2023 ist der frühere Freiburger Oberbürgermeister Salomon Vorsitzender des NKR, der aus sechs ehrenamtlichen Mitgliedern besteht und beim Staatsministerium Baden-Württemberg angesiedelt ist.
Die Landesregierung hat den NKR 2018 als unabhängiges Expertengremium eingerichtet, um sie bei den Themen „bessere Rechtsetzung, Bürokratievermeidung und Bürokratieabbau“ zu beraten.
„Das Thema Bürokratieentlastung wird immer drängender“, sagte Salomon bei der Übernahme des Vorsitzes 2023. „Wir können uns unnötige Belastungen der Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft, aber auch der Verwaltung nicht mehr leisten.“ Was es brauche, seien belastungsarme und vollzugstaugliche Regelungen.
Seit der Ideenfindung im Jahr 2018 widmen sich die Rentner ihrem Medizinprodukt
In Mösbach ließ er sich berichten, wie es Dieter Heyl und Bertram Bittel mit der Einführung ihres Medizinproduktes erging. Beide hatten während ihrer aktiven beruflichen Zeit verantwortungsvolle, leitende Positionen.
So war der Ingenieur und Erfinder der CarpaStretch Dehnbandage, Dieter Heyl, Werkleiter bei Daimler und international unterwegs. Sein Partner Bertram Bittel war Direktor für Technik und Produktion beim SWR und mehrfacher technischer Leiter und ARD-Teamchef bei Übertragungen von Fußball-Weltmeisterschaften.
Beide suchten und fanden sich buchstäblich. Das gemütliche Beisammensein 2018 in einem Biergarten war die Initialzündung, die CarpaStretch Dehnbandage zu einem Medizinprodukt zu entwickeln und als rüstige Rentner durchzustarten.
Dokumentation, Begründungen und Studien beanspruchen viel Zeit
Zwar hatten sie während ihrer langen, anspruchsvollen Berufszeit immer wieder ziemlich hohe Hürden zu überspringen und knifflige Probleme zu meistern. Was dann bis zur europäischen Zertifizierung ihres Produktes folgen sollte, war für beide komplettes Neuland.
„Wir wurden während des viereinhalb Jahre langen Prozesses trotz der sehr hohen Hürden und Anforderungen immer fair behandelt“, sagte Bittel und deutete auf die aufgereihten Ordner im Regal.
Diese sprechen wahre Bände von dem Aufwand an Dokumentation, Begründungen und Studien, bis der Antrag auf Hilfsmittelzulassung analog den europäischen Richtlinien des Medizinproduktegesetzes durch den Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen (GKV) gebilligt wurde.
Konkret belief sich der zusätzliche Beratungsaufwand nur im regulatorischen Bereich für CarpaStretch auf 30 bis 40 Personentage, was den täglichen Aufwand einer Person von acht Stunden für die Ausführung einer bestimmten, hoch qualifizierten Leistung bedeutet.
Überregulierung bremst Start-ups und somit gerade junge Menschen aus
Diese summierte sich während der viereinhalb Jahren auf 60.000 bis 70.000 Euro, was jedoch ohne die auf zulassungsrechtliche Dinge spezialisierten Beratungsfirma Regular Services in München nicht zum Erfolg geführt hätte.
Daran zeigten Heyl und Bittel dem NKR-Vorsitzenden auf, was das Problem ist, wenn junge Leute eine tolle Idee haben, diese auf dem Markt platzieren und dazu ein Start-up gründen wollen. Eine Überregulierung bremse gerade Start-ups mit Medizinprodukten aus.
Allerdings ihnen zufolge nicht, weil ihre Idee etwa in der Therapie nicht funktionieren würde, sondern weil den Erfindern das Geld fehlt, Investoren sich gerade im Medizinproduktbereich rarmachen und dann auch noch die Zulassungshürden extrem hoch sind.
Die Rentner Heyl und Bittel haben sich darauf eingelassen – und den erforderlichen langen Atem bewiesen.