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Blaues Kreuz in Rastatt

Erst war sie selbst suchtkrank, dann war Gerda Rehberg aus Steinmauern 45 Jahre lang eine Hilfe für andere

Selbst dem Teufelskreis der Sucht entronnen, gründete Gerda Rehberg vor über 30 Jahren die Ortsgruppe des Blauen Kreuzes in Rastatt. In ihrer Therapie brachte ein Schlüsselsatz die Wende.

Gerda Rehberg steht vor ihrem Haus. 
Gerda Rehberg aus Steinmauern war 45 Jahre lang ehrenamtlich in der Suchtkrankenhilfe beim Blauen Kreuz Rastatt engagiert.  Foto: Sabine Wenzke

Gerda Rehberg ist seit 45 Jahren in der Suchtkrankenhilfe ehrenamtlich engagiert. Zusammen mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann hat sie vor über 30 Jahren die Ortsgruppe Rastatt des Blauen Kreuzes gegründet und engagiert geleitet. Doch mittlerweile musste sie die Position aufgeben.

Viele wünschen sich wieder ein Angebot vor Ort.
Gerda Rehberg
Suchtkrankenhelferin

Seither fahren die Teilnehmer zum Blauen Kreuz nach Karlsruhe. „Viele wünschen sich aber wieder ein Angebot vor Ort“, weiß die 70-Jährige. Denn: „Zwischen Freiburg und Karlsruhe gibt es nun kein Blaues Kreuz mehr“. Dabei ist das Blaue Kreuz eine der ältesten Suchtkrankenhilfevereinigungen weltweit.

Gerda Rehberg aus Steinmauern erzählt von schwieriger Kindheit

Wie wichtig die Arbeit ist, zeigt sich an ihrer eigenen Vita. Gerda Rehberg sitzt in ihrem Wohnzimmer in Steinmauern und erzählt von ihrer schweren Mehrfachabhängigkeit und wie sie es geschafft hat, dem Teufelskreis der Sucht zu entrinnen. Die Menschen, die im Blauen Kreuz tätig sind, haben ihr Mut gemacht, nicht aufzugeben, ihr Wertschätzung entgegengebracht. „Das Blaue Kreuz war immer Heimat für mich“, sagt sie.

In ihrem eigenen Zuhause, als sie noch Kind war, war es weniger schön. Ein Dorf mit 230 Einwohnern in Franken. Der Vater starker Alkoholiker. Es gibt regelmäßig Streit. „Es war eine richtig vergiftete Atmosphäre“, sagt sie. In der Familie wird aus Scham nie darüber gesprochen, die Probleme werden totgeschwiegen. „Nach außen hin hatten wir ein gutbürgerliches Leben.“

Magersucht, Medikamente, Alkohol und Drogen

Sie leidet unter den familiären Zwistigkeiten und den Ausbrüchen ihres Vaters, wenn er betrunken ist. Sie könne nichts und sei nichts wert, lautet seine Botschaft an die Tochter. Sie wird magersüchtig und hat oft starke Kopfschmerzen. Greift zu Kopfschmerztabletten aus der Hausapotheke. Die helfen.

„Dann nehme ich doch mal zwei, dann geht es mir noch besser“, sagt sie sich – gleich morgens zur Vorbeugung, dann mittags und abends noch einmal. Sie fühlt sich munter, kann aber abends nicht mehr einschlafen und besorgt sich rezeptfreie Schlaftabletten. Ein verheerender Kreislauf beginnt. Medikamente, leichte Drogen und zur Verstärkung Alkohol.

Leidensweg der Sucht dauert rund zehn Jahre

Ihre Ausbildung absolviert sie in einer kaufmännischen Fachschule in Würzburg. Rutscht in der Stadt aber so richtig in die „Szene“ hinein. Dennoch legt sie einen guten Abschluss hin und bekommt einen Job.

Doch die Suchtproblematik wird immer ausgeprägter. Sie schmeißt hin. Ihr Chef will wissen, was los mit ihr ist. „Ich hätte ja reden können, aber ich wusste gar nicht, worüber. Mir waren meine eigenen Gefühle gar nicht bewusst.“

Der Leidensweg dauert vom 15. bis zum 25. Lebensjahr. Dazwischen mehrere Psychiatrieaufenthalte und Suizidversuche. Sie kommt in eine Fachklinik am Bodensee. Sechs Monate knallharte Therapie. „Es war ein schwerer Weg, aus diesem Gefühl des Selbstmitleids herauszukommen. Ich hatte mich in der Opferrolle eingerichtet, weil ich da viel Aufmerksamkeit bekommen habe in der Therapie.“

Ein Schlüsselsatz in der Sucht-Therapie verändert etwas

Dort geht es um Aufarbeitung der Problematik. Und darum, eigene Bedürfnisse zu erkennen, eigenverantwortlich mit seinem Leben umzugehen und Selbstwertgefühl zu entwickeln. Ihr Therapeut sagt den Schlüsselsatz: „Sie sind ein wertvoller Mensch. Und Gott hat einen Plan mit Ihrem Leben.“

Zwar evangelisch konfirmiert, hat sie zu der Zeit mit Kirche nichts am Hut. „Ich habe gelacht und konnte es nicht glauben, dass jemand sagt, ich bin wertvoll. Ich hatte ja jahrelang das Gegenprogramm erlebt.“

Ich habe dort wirkliche Nächstenliebe gespürt. 
Gerda Rehberg
Suchtkrankenhelferin

Sie erhält Infos über Selbsthilfegruppen – von den Anonymen Alkoholikern bis hin zum Blauen Kreuz. Als sie entlassen wird, ist die Sehnsucht nach Religiosität erwacht. Sie ist eine Suchende, will mehr erfahren und schließt sich in Würzburg dem Blauen Kreuz an. „Ich habe mich vom ersten Tag an wohl und angenommen gefühlt in meiner Unsicherheit, die ich mitbrachte. Ich habe dort wirkliche Nächstenliebe gespürt.“

Sie macht eine Ausbildung zur ehrenamtlichen Suchtkrankenhelferin und leitet in Würzburg eine Motivationsgruppe. 1982 lernt sie ihren Mann kennen, der auf Kur ist, aber aus Durmersheim stammt. 1984 wird geheiratet und das Paar zieht nach Steinmauern.

In dem Jahr steigt sie gleich verantwortlich ins Blaue Kreuz in Karlsruhe ein, übernimmt eine Gruppenleitung, ist Vereinsvorsitzende und Schriftführerin. Auch ihr Mann macht eine Ausbildung zum Suchtkrankenhelfer, obwohl er nie ein Suchtproblem hatte. 1991 kommen immer mehr Anfragen aus der Region nach einem Angebot in der Nähe.

Gerda Rehberg gründet eine Außengruppe des Blauen Kreuzes in Rastatt

1992 gründet sie zusammen mit ihrem Mann eine Außengruppe Rastatt des Ortsvereins Blaues Kreuz in Deutschland Karlsruhe. Das erste halbe Jahr treffen sich Betroffene, Angehörige und Interessierte im Wohnzimmer der Rehbergs in Steinmauern. 

Als Pfarrer Albrecht Berbig nach Rastatt kommt, stellt er für die Begegnungsgruppe einen Raum im Gemeindezentrum der evangelischen Petrusgemeinde in Rastatt zur Verfügung. Es sind über Jahrzehnte hinweg wertvolle Treffen für viele Teilnehmer.

Wegen einer Krebserkrankung muss Gerda Rehberg ihr Ehrenamt abgeben

Nach einer Krebserkrankung muss Gerda Rehberg die Leitung im September 2022 aufgeben. Gleichwohl fährt sie immer noch, wenn es ihr möglich ist, nach Karlsruhe und nimmt auch Betroffene mit. Sie würde sich aber eine Nachfolgelösung in Rastatt wünschen. „Alkoholabhängigkeit ist eine anerkannte Krankheit und behandlungsbedürftig“, sagt sie.

Mit vielen Teilnehmern ist sie heute noch befreundet, die, wie sie abstinent leben und ein erfülltes Leben führen. Einer davon ist Paul, auch er hat es geschafft. Einst stark alkoholabhängig und obdachlos, heute in einem Job, der ihm gefällt und in einer Wohnung lebend. Gerda Rehberg habe vom ersten Tag an ihn geglaubt, sagt er. Ebenso das Blaue Kreuz, wo er sich jederzeit Hilfe holen kann. 

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