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„Sandra“, ehemalige Prostituierte, spricht in der Beratungsstelle Amalie mit Astrid Fehrenbach (nicht im Bild).

Ein langer, komplizierter Weg

„Ich wünsche mir ein normales Leben“: Ex-Prostituierte aus Mannheim erzählt

Der Ausstieg aus der Prostitution ist schwer. Nur wenige Frauen schaffen es. Eine Ex-Prostituierte aus Mannheim erzählt ihre Geschichte.
von Julia Giertz
3 Minuten
von Julia Giertz
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Sandra sitzt an einem Tisch in der Mannheimer Beratungsstelle Amalie für Prostituierte und erzählt von ihrem schwierigen Leben. Gefasst und ohne Selbstmitleid schildert die Jamaikanerin, die ihren wahren Namen nicht preisgibt, ihr Abgleiten in die Prostitution.

Am Anfang habe der von einer vermeintlichen Freundin organisierte Besuch eines vage benannten Ortes gestanden, an dem man „Spaß“ haben könne. „Ich bin ins kalte Wasser geschmissen worden“, sagt die dunkelhaarige Frau mit dem fransigen Pony und dem langen Zopf.

Abstieg in die Prostitution: Saunaclub entpuppt sich als Luxus-Bordell

Der Ort entpuppte sich als Saunaclub – ein luxuriöses Bordell. Für die von der anderen Frau ausgelegten Fahrkarten und Eintrittsgelder fehlten ihr die Mittel. Um die Kosten erstatten zu können, begann sie am selben Abend zu arbeiten.

„Zudem mussten noch ein Schlafplatz und Steuern bezahlt werden.“ Sie habe damals niemanden gehabt, der ihr den rechten Weg hätte weisen können.

Viele Prostituierte haben in der Kindheit sexuellen Missbrauch erlebt

Die zierliche Frau in weißem Pullover, schwarzer Hose und Sportschuhen berichtet von einer abgebrochenen Lehre in der Altenpflege und ihrem Job bei einer Müllfirma, den sie für die Prostitution aufgab.

Sandra, ehemalige Prostituierte aus Jamaica
Sandra nennt sich die ehemalige Prostituierte, die dank der Mannheimer Beratungsstelle Amalie den Ausstieg geschafft hat. Foto: Uwe Anspach/dpa

Nur an einem Punkt kann die 36-Jährige ihre Gefühle nicht unterdrücken – die schmerzliche Erinnerung an Gewalt im nächsten Umkreis. Denn wie viele andere Prostituierte hat sie in der Kindheit sexuellen Missbrauch durch Angehörige erlebt.

Der habe kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland angefangen und mit ihrem Auszug geendet. „Er hat mich als Sexobjekt benutzt.“ Astrid Fehrenbach, Leiterin der Anlaufstelle, sagt, solche Schicksale seien bei Prostituierten nicht selten.

Ich hatte keine Achtung vor mir selbst.
Sandra
ehemalige Prostituierte

Laut einer Hamburger Studie fanden sich bei 83 Prozent der befragten Prostituierten in der frühen Kindheit Trauma Erfahrungen, darunter wiederum 48 Prozent sexuelle Missbrauchsfälle. Solche Erlebnisse beeinträchtigen das Selbstbewusstsein der Opfer. Sandra: „Ich hatte keine Achtung vor mir selbst.“

Es ist leichter in die Prostitution zu kommen als aus ihr heraus

In die Prostitution hineinzukommen sei sehr viel leichter als aus ihr heraus, hat Fehrenbach beobachtet. Um eine reguläre Arbeit aufnehmen zu können, brauche es eine sichere Wohnung.

Viele Betroffene wohnten aber bei Freunden oder am Arbeitsplatz im Bordell und könnten keine Meldeadresse nachweisen, die ihnen den Leistungsbezug bei Behörden ermöglichen würde.

Den meisten Frauen aus Nicht-EU-Ländern wie Sandra fehlten Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse. „Der Ausstieg ist ein ganz komplizierter, oft jahrelanger Weg mit einigen Aufs und Abs.“

Vor Corona waren im Land über 40.000 Prostituierte gemeldet

Sandra kann ein Lied davon singen: „Ich kämpfe seit 15 Jahren mit den Behörden.“ Aber jetzt stehe dank des Einsatzes von Amalie einer Arbeitsaufnahme nichts mehr entgegen. Mehr als die Hälfte aller Prostituierten wolle aussteigen, schätzt Theologin Fehrenbach. Wenige schafften es.

Seit Einführung des Prostitutionsgesetzes 2002 ist Sexarbeit in Deutschland nicht mehr sittenwidrig, sondern ein normales Gewerbe.
Seit Einführung des Prostitutionsgesetzes 2002 ist Sexarbeit in Deutschland nicht mehr sittenwidrig, sondern ein normales Gewerbe. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

„Nur wenn man motiviert ist und sich dahinterklemmt, kann man Erfolg haben.“ Amalie habe von 2021 bis Ende 2022 in einem Aussteigerinnenprogramm 18 Frauen und in diesem Jahr sechs auf dem Weg in ein selbstbestimmtes Leben begleitet.

Das Statistische Bundesamt zählte 28.280 gemeldete Prostituierte am Jahresende 2022. Das waren 19 Prozent mehr als im Vorjahr, in dem teils noch Corona-Auflagen galten. Ende 2019 – vor der Corona-Pandemie – waren 40.370 Prostituierte gemeldet.

Ohne Sprachkenntnisse ist der Ausstieg noch schwerer

Sandra hat den Absprung geschafft, auch weil sie anders als das Gros der Prostituierten fließend Deutsch spricht. Für die 80 Prozent der Frauen aus Rumänien und Bulgarien ohne Sprachkenntnisse ist der Ausstieg den Angaben Fehrenbachs nach noch beschwerlicher.

Seit 2002 ist Prostitution in Deutschland nicht mehr sittenwidrig, sondern gilt als normales Gewerbe. Ein Prostituiertenschutzgesetz schreibt seit 2017 zudem vor, dass Bordelle eine Betriebserlaubnis benötigen. Prostituierte sind verpflichtet, ihre Tätigkeit anzumelden und regelmäßig zur Gesundheitsberatung zu gehen.

Mannheimer Beratungsstelle Amalie hilft beim Ausstieg

Amalie bietet seit zehn Jahren psychosoziale Beratung, Begleitung, medizinische Grundversorgung und Ausstiegshilfen an. Die Beratungsstelle wird finanziert durch die Stadt Mannheim, das Sozialministerium und das Diakonische Werk.

Die Missbrauchserfahrung hat in Sandras Psyche tiefe Spuren hinterlassen. „Sex war für mich eine Verletzung“, sagt sie. Sie habe ihren meist älteren Kunden quasi heimzahlen wollen, was ihr zu Hause angetan worden war. „Irgendjemand musste zahlen.“ Dann war irgendwann der Wunsch nach einem normalen Leben so groß, dass der Absprung gelang. „Das normale Dasein hat mich gerufen.“

Das ist der größte Schrott.
Sandra
hält nichts vom Sexkaufverbot

Vom Vorschlag etwa der CSU-Politikerin Dorothee Bär, das Gewerbe durch ein Sexkaufverbot einzudämmen, hält sie nichts: „Das ist der größte Schrott.“ Dieses aus Skandinavien stammende Modell verbindet die Bestrafung der Freier mit Ausstiegsprogrammen für die Frauen.

Ex-Prostituierte wünscht sich mehr staatliche Kontrollen in Bordellen

Nach Ansicht von Astrid Fehrenbach verstößt Prostitution gegen die Menschenwürde und gehört abgeschafft. Studien belegten, dass in Schweden die Prostitution samt Dunkelfeld weniger geworden und auch die gesellschaftliche Akzeptanz für Prostitution geschwunden sei. Deutschland dürfe nicht weiter als Puff Europas gelten.

Sandra hingegen ist überzeugt, dass sich die Nachfrage nach Sex nicht verringern, sondern nur in den Untergrund verlagern werde. Das würde den Frauen den Ausstieg noch erschweren.

Wichtiger sei, dass staatliche Kontrolleure in den Bordellen auf Einhalten von Standards achteten wie getrennte sanitäre Anlagen für Prostituierte und Freier, separate Wohnbereiche für Prostituierte und ein Notrufsystem.

Sie hat eine Stelle in einem Seniorenheim bekommen. Sie genießt die Akzeptanz und Freundlichkeit, die die Bewohner ihr entgegenbringen. „Das ist ein schöner Kontrast zu dem, was ich zuvor erlebt habe.“

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