
Mit Hilfe von Videokameras und Künstlicher Intelligenz (KI) in Schwimmbädern sollen Retter bei Notfällen schneller eingreifen können und etwa Menschen vor dem Ertrinken bewahren.
Vorreiter in Baden-Württemberg ist das Panorama-Bad Freudenstadt, das seit einigen Tagen die neue Technik testet. Diese könne aber kein Personal ersetzen, warnen Fachleute.
15 Kameras haben das Becken in Freudenstadt im Blick
15 Kameras in Freudenstadt sollen das Geschehen an vier Becken im Blick haben, wie Tobias Degout, Leiter des Stadtwerke Freudenstadt Bäderbetriebs, sagte. Sie registrierten etwa die Anzahl der Menschen in einem Becken und wiesen die Aufsicht auf Überfüllung hin, indem sie ein Signal an deren Smartwatch – eine intelligente Armbanduhr – senden.
Das ist eine super Unterstützung bei Hochbetrieb.Tobias Degout
Leiter des Stadtwerke Freudenstadt Bäderbetriebs
In weiteren Stufen gehe es um Vorsicht, wenn sich zum Beispiel ein Kind ohne Schwimmflügel dem Beckenrand nähert, oder um Warnungen, wenn etwa ein Körper reglos 20 Sekunden am Boden liegt.
Videoauge erkennt schon den drohenden Notfall
Ertrinkenden-Erkennungssysteme gibt es seit rund 20 Jahren. Neu an der KI-gestützten Technik ist laut Frank Achtzehn der präventive Ansatz – also mögliche Bewegungsabläufe vor dem eigentlichen Notfall als Gefahr zu identifizieren.

„So gewinnen wir Sekunden, die können lebensentscheidend sein“, so der Leiter der Abteilung Regelwerk und Beratung bei der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen (DGfdB).
Nach seinen Worten nutzen bislang nur wenige andere Schwimmbäder in Deutschland derartige Technik, etwa in Wiesbaden (Hessen) und Lippstadt (Nordrhein-Westfalen).
Zwei Schwimmbäder in Karlsruhe sollen das System auch bekommen
Im Südwesten soll das System laut der Arbeitsgemeinschaft öffentliche Bäder Baden-Württemberg in Karlsruhe in zwei Bädern im September und Oktober für je zwei Becken eingesetzt werden. „Sollte es sich bewähren, sind weitere Bäder und Becken geplant“, teilte der Vorsitzende Necdet Mantar mit.
„Das ist eine super Unterstützung bei Hochbetrieb“, sagte der Freudenstädter Bäderchef Degout. Wenn ein Bademeister mit Gästen rede oder Pflaster auf eine Wunde kleben müsse, kriege er im Zweifel nicht sofort mit, was in seinem Rücken geschieht. Ähnlich äußerte sich Achtzehn: „Das System erkennt viele Situationen, die wir früher gar nicht mitgekriegt hätten.“
Die KI lernt ständig dazu: Ist jemand leblos oder sonnt er sich nur?
Kamerabasierte Systeme, die eine ertrinkende Person auf dem Beckenboden erkennen, schaffen laut DGfdB heutzutage eine Erkennungsrate von über 95 Prozent. „Und von den Systemen der neuen Generation ist vielleicht sogar mehr zu erwarten.“

Was tatsächlich ein Notfall ist, wird trainiert. In Freudenstadt müssen die Aufsichten nach einem Warnhinweis der KI rückmelden, ob es wirklich Grund zur Sorge gab.
Zwar sollte die Technik grundsätzlich einen Taucher von einem leblosen Körper unter Wasser unterscheiden können. Aber ähnliche Bewegungsmuster können von Bad und Bad verschiedene Ursachen haben: Im Außenbecken in Freudenstadt etwa legten viele Menschen oft den Kopf in den Nacken, nannte Degout ein Beispiel. „Das machen sie dann aber nur, um die Sonne zu genießen.“
Systeme ersetzen kein Personal
Solche Systeme dürften kein Personal ersetzen, mahnte Mantar, der für die Reutlinger Bäder verantwortlich ist. In eine ähnliche Kerbe schlug Arne Mellert, Geschäftsführer des Heilbäderverbands Baden-Württemberg. Er verwies darauf, dass es in den Heilbädern noch genug Personal gebe und ausreichend Kontrolle durch eine hohe Taktung etwa bei Aqua-Fitness-Kursen.
Daher sei KI-Überwachung dort noch kein Thema, sagte Mellert. Wenngleich die Branche sich dafür interessiere und im Blick habe, wie es sich bei öffentlichen Bädern entwickle.
Laut DGfdB ist auch gar nicht vorgesehen, dass Aufsichtskräfte durch KI ersetzt werden. Es mangele schon allein an einheitlichen Vorgaben für den Einsatz der Technik, sagte Achtzehn. Die Gesellschaft stehe aber in Kontakt mit dem Deutschen Institut für Normung (DIN) und internationalen Einrichtungen.
Die Anforderungen an Testverfahren sind hoch: Menschliche Prüfpersonen müssen gut schauspielern können, um verschiedene Verhaltensweisen darzustellen. Männer und Frauen müssen ebenso berücksichtigt werden wie verschiedene Hautfarben, Kinder und Erwachsene, große und kleine, dicke und dünne Menschen.
Am großen Becken reichen dann zwei bis drei Leute
Allerdings sehen die Fachleute den technischen Fortschritt und ziehen daraus Konsequenzen: Im März hat die DGfdB ihre Richtlinie R 94.05 „Verkehrssicherungs-, Aufsichts- und Organisationspflichten in öffentlichen Bädern während des Badebetriebes“ angepasst.
Nunmehr ist der „Einsatz von Ertrinkenden-Erkennungssystemen“ eines von mehreren Kriterien bei der Bemessung der Zahl der Aufsichtskräfte. Diese sinke dadurch nicht auf null, aber dank technischer Unterstützung könnten beispielsweise an einem großen Becken zwei statt drei Leute reichen.
Achtzehn betonte auch den Datenschutz. Wichtig sei, dass die Technik keine Bilder speichere und keine Verbindungen zu Menschen etwa über persönliche Daten einer Jahreskarte oder eines Mitgliedsausweises herstelle. Die KI könne zum Beispiel erkennen, dass ein Erwachsener mit einem Kind das Schwimmbad betritt – und Alarm schlagen, wenn das Kind plötzlich nicht mehr in der Nähe der anderen Person ist. Namen oder andere Angaben dazu dürften aber nicht erfasst werden.
Zudem könne es sich von Bundesland zu Bundesland unterscheiden, ob derartige Technik eingesetzt werden kann. Nicht zuletzt die Landesdatenschutzbeauftragten redeten hier mitunter ein Wörtchen mit.