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Andere Regelung als in Deutschland

Blick über den Rhein: Wie Frankreich Läden und Kantinen dazu bringen will, weniger Lebensmittel zu entsorgen

Lebensmittel wegwerfen, die noch essbar sind? Seit 2016 ist das französischen Supermärkten verboten. In diesem Jahr wurde das Gesetz auf Kantinen ausgeweitet - doch funktioniert das überhaupt?

Gegen Verschwendung: Lebensmittel, die noch verzehrbar sind, dürfen in Frankreich nicht entsorgt werden.
Gegen Verschwendung: Lebensmittel, die noch verzehrbar sind, dürfen in Frankreich nicht entsorgt werden. Foto: Soeren Stache Soeren Stache/dpa-Zentralbild/dp

Von Bärbel Nückles

Seit 2016 dürfen französische Supermärkte noch verzehrbare Nahrungsmittel nicht mehr im Müll entsorgen. Anfang 2020 wurde das Gesetz (Loi Garot) auf Großkantinen und die Lebensmittelindustrie ausgeweitet. Damit ist das Land Pionier einer Gesetzgebung, die gegen das Vernichten und Wegwerfen von Nahrungsmitteln vorgehen will. Doch funktioniert das auch?

Hohe Regale ordnen die Lagerhalle der Hilfsorganisation Banque Alimentaire (Lebensmittelbank) im Straßburger Vorort Illkirch-Graffenstaden. An einem der Tore hält ein Kleinlaster: Die Mitarbeiter nehmen Kisten mit Zucchini und Tomaten in Empfang. „Ab sieben Uhr morgens fahren unsere Leute zu unseren Partnern los“, erklärt Constant Reibel, Präsident der Banque Alimentaire du Bas-Rhin. Die Partner, das sind große Supermarktketten oder Discounter, die frische und länger haltbare Produkte wie Zucker, Mehl oder Teigwaren spenden.

Verderbliche Güter müssen schnell verteilt werden

An einem Sortiertisch in der Halle entnehmen zwei Männer und eine Frau aus Netzen und Plastikverpackungen Obst und Gemüse. Überreife, teils schon faulige Früchte werden von den noch festen, verzehrbaren getrennt. „Es sollen keine verdorbenen Waren weitergegeben werden“, sagt Reibel und zeigt nebenan die Kühl- und Gefrierräume. Kartoffeln, Äpfel, Gurken, aber auch Fleisch und andere verderbliche Waren werden zwischengelagert.

„Was wir an Essensspenden annehmen, erfassen wir genau“, erklärt er mit Blick auf einen Computer. „Wir sortieren nach Haltbarkeit, um den Überblick zu behalten.“ Ohne professionelle Logistik könnte die Hilfsorganisation ihrer Aufgabe nicht nachkommen. Vor allem bei den verderblichen Gütern dürfe es keine unnötige Verzögerung bis zur Weitergabe an Bedürftige geben.

Die Banque Alimentaire (BA) ist eines der wichtigsten Glieder in der Umsetzungskette des Gesetzes gegen Verschwendung. Allein die Straßburger Logistikplattform verteilte voriges Jahr 2.600 Tonnen Nahrungsmittel an ihre 103 Partnerorganisationen, Hilfsvereine oder sozialen Läden im nördlichen Elsass. Ein vergleichbares Lager unterhält die BA auch in Mulhouse.

Wegwerfen nur als allerletzte Lösung

Nach einer ersten Phase von 2013 an, als die Regierung zunächst auf freiwillige Vereinbarungen setzte, untersagte sie dem Handel die Vernichtung von Nahrung per Gesetz. Supermärkte mit mehr als 400 Quadratmetern Fläche müssen Überschüsse an Hilfsorganisationen spenden. Was nicht durch eine intelligentere Logistik und Vorratshaltung an Ausschuss vermieden werden kann, oder als Sonderangebot verkauft wird, sollen Menschen bekommen, die auf Lebensmittelspenden angewiesen sind. Erst als letzter Schritt dürfen sie für Kompost oder die Herstellung von Biokraftstoff eingesetzt werden.

Es sollen keine verdorbenen Waren weitergegeben werden.
Constant Reibel, Präsident Banque Alimentaire

Bis 2025 soll die Menge weggeworfener Nahrungsmittel mit diesen Maßnahmen um die Hälfte reduziert werden. Bis 2030 gilt diese Maßgabe für die Industrie. Hinzu kommt, dass die großen Akteure der Nahrungsmittelindustrie, jene, die einen Jahresumsatz von mehr als 50 Millionen Euro erwirtschaften, ihre Strategien gegen die Verschwendung veröffentlichen müssen.

Pro Jahr werden zehn Millionen Tonnen Nahrungsmittel, ein Fünftel der französischen Produktion, entsorgt, obwohl sie noch essbar wären. Ein Teil des Problems seien auch die Konsumgewohnheiten und die Erwartungen der Käufer, sagt Simon Baumert vom Straßburger Verein Zéro Déchet (Null Abfall). „Wir sind es gewöhnt, dass Regale und Auslagen stets gut gefüllt sind“, sagt Baumert. Entsprechend kalkuliert auch der Handel.

Spenden wie an die BA gab es schon früher. Aufgrund des Gesetzes sind sie und andere Organisationen aber nicht mehr Bittsteller: Der Staat verpflichtet zu spenden. Entsprechend haben die Spenden kontinuierlich zugenommen, am stärksten unmittelbar nach 2016.

Oft hakt es bei Abgabe von Spenden

Allerdings bemühen sich Handel und Industrie auch, dank moderner Bestellsysteme und Lagererfassung Ausschuss zu vermeiden und arbeiten mit Preisnachlässen, um sich gewisse Gewinnmargen zu erhalten. Für die Hilfsorganisationen hat dies zur Folge, dass die Qualität der gespendeten Nahrungsmittel mitunter zu wünschen übrig lässt. Auch eine Evaluierung des Gesetzes und seiner Umsetzung im Auftrag des französischen Landwirtschaftsministeriums von 2019 belegt und kritisiert diesen Zusammenhang.

Das Gesetz hat Druck gemacht – mit 3.750 Euro Geldbuße werden Verstöße geahndet, etwa, wenn Lebensmittel vernichtet werden. Je nach Schwere der Verstöße können auch höhere Beträge anfallen, bis zu 0,1 Prozent des Umsatzes. Wie gut kontrolliert wird, ist schwer nachvollziehbar. Aber es gibt auch Anreize für jene, die sich an das Gesetz halten: Die Spenden können steuerlich geltend gemacht werden. Wer weniger Abfall entsorgt, zahlt auch weniger Gebühren.

Dabei wird der größte Anteil der weggeworfenen oder vernichteten Nahrungsmittel nicht von Supermärkten entsorgt (14 Prozent). Mehr als 30 Prozent werden direkt beim Hersteller aussortiert sowie 21 Prozent bei der Verarbeitung. 33 Prozent der Verschwendung gehen auf das Konto der Verbraucher, wovon sieben Prozent noch verpackt im Restmüll landen, etwa weil das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist.

Nach wie vor haben nicht alle großen Märkte eine Vereinbarung mit einer Hilfsorganisation getroffen; die Abgabe von Spenden funktioniere oft nicht systematisch. „Wichtig ist dennoch, dass der Gesetzgeber das Problem angegangen ist und ein Ziel gesetzt hat“, sagt Simon Baumert von Zéro Déchet.

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