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Chemie- und Pharmabranche

Arzneimittelmangel: Fast ein Drittel der Unternehmen in Baden-Württemberg will weniger investieren

In Deutschland sind aktuell rund 400 Medikamente knapp. Besonders Baden-Württemberg habe als Standort für viele Hersteller gelitten. Experten zeigen sich besorgt.

ARCHIV - 17.05.2016, Niedersachsen, Osnabrück: ILLUSTRATION - Eine Apothekerin steht in einer Apotheke vor einer ausgezogenen Medikamenten-Schublade. Manche Arzneien sind in Deutschland immer schwerer zu bekommen, selbst bei Standardmitteln bleiben oft die Regale in den Apotheken leer. Ein Grund sind die komplexen Lieferketten auf dem Weltmarkt. Foto: Friso Gentsch/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Verwendung weltweit
Nicht mehr gut gefüllt: Nicht nur bei Kindermedikamenten gibt es Lieferschwierigkeiten; auch Mittel für Erwachsene sind betroffen. Foto: Friso Gentsch picture alliance/dpa

Die Chemieverbände in Baden-Württemberg haben eine durchwachsene Bilanz des Jahres 2022 gezogen. „Wir können mit dem vergangenen Jahr nicht zufrieden sein“, sagte Martin Haag, Vorsitzender des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), am Dienstag in Stuttgart. Die Produktion in Baden-Württemberg sei über das Gesamtjahr hinweg auf das Niveau von 2015 gefallen.

Politik müsse auf Medikamentenmangel reagieren

Der Standort Baden-Württemberg, wegen seines Pharma-Anteils von rund 40 Prozent an der Chemieindustrie im Südwesten auch die „Apotheke Deutschlands“ genannt, habe als Standort für viele Hersteller gelitten. Die Knappheit von inzwischen deutschlandweit mehr als 400 Medikamenten und Zubereitungsformen spürten mittlerweile auch die Patienten, so Haag.

Nach Ansicht der Chemieverbände ist das Gesundheitssystem in Deutschland einer der Auslöser dieser Knappheit. Sie betreffe Antibiotika, Krebsmedikamente und Blutdrucksenker genauso wie Herzmittel oder Fiebersäfte für Kinder. In Deutschland werde nicht produziert wegen sinkender Vergütungen. Die Lieferkettenproblematik komme hinzu.

Wir arbeiten auf Profit-Basis, dafür braucht es einen guten Preis.
Martin Haag, VCI-Vorsitzender

Die Politik müsse hier endlich Rahmenbedingungen schaffen. Die Industrie sei in der Lage, die Produktion umzustellen, doch dies nehme auch zwei bis drei Jahre Zeit in Anspruch.

Schwache Umsatzzuwächse

Insgesamt verzeichnete die Branche 2022 nach eigenen Angaben mit zwei Prozent nur eine schwache Umsatzsteigerung auf 26,2 Milliarden Euro. Bundesweit sei der Umsatz der Chemie- und Pharmabranche dagegen um rund 16 Prozent gestiegen.

Haag sagte, Baden-Württemberg sei wegen des hohen Pharma-Anteils besser durch die Pandemie gekommen als der Bundesschnitt der Chemie. Das mache sich jetzt durch schwächere Steigerungen bemerkbar. Das Inlandsgeschäft wuchs um 3,8 Prozent auf elf Milliarden Euro, die Auslandsumsätze stagnierten.

Die Beschäftigung der gesamten Branche stieg laut VCI gegenüber dem Vorjahr um 2,4 Prozent auf 61.791 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an. Dabei stellten die Arzneimittelhersteller 4,5 Prozent mehr Mitarbeitende ein. Farben und Lacke mussten demnach hingegen 3,5 Prozent der Arbeitsplätze abbauen.

Alarmierende Aussichten

Die Mehrheit der Unternehmen erwarte in diesem Jahr steigende Umsätze, berichtete Haag mit Blick auf die aktuelle Konjunkturerhebung der Verbände. Mehr als 40 Prozent rechneten aber auch mit rückläufigen Erträgen. „Trotz der riesigen Herausforderungen, die angesichts der Transformation im Energiesektor vor uns liegen, müssen knapp ein Drittel unserer Unternehmen ihre Investitionen zurückfahren“, so Haag. Das sei ein Alarmzeichen, trotz der positiven Umsatzerwartungen.

Die größten Risiken entstünden nach wie vor durch die hohen Rohstoff- und Energiekosten. Gas- und Strompreise bewegten sich auch weiterhin trotz eines Preisrückgangs auf sehr hohem Niveau. Gerade energieintensive und mittelständische Unternehmen stünden vor großen Herausforderungen.

Bleibt die Lage so angespannt, droht ein langfristiger Verlust von Wettbewerbsfähigkeit und damit Arbeitsplätzen.
Martin Haag, VCI-Vorsitzender

Die Gaspreisbremse kritisierte der VCI-Vorsitzende als „bürokratischen Moloch“. Für kleinere Unternehmen sei das Prozedere kaum zu bewältigen.

Kritisch sehen die Verbände auch lange Genehmigungsverfahren für Stromleitungen, neue Anlagen oder Pipelines. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien brauche es mehr Tempo. „Um bis 2050 treibhausgasneutral zu werden, brauchen wir als Branche bundesweit mehr als 500 Terawatt-Stunden grünen Strom pro Jahr“, führte Haag aus. Das entspreche dem aktuellen Stromverbrauch in ganz Deutschland. Um beim Thema Wasserstoff voranzukommen, müsse auch die Politik die richtigen Rahmenbedingungen setzen.

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