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Insolvenz in der Touristik

Touristikerin Marija Linnhoff über die Pleite von Thomas Cook: "Meine Warnung interessierte fast niemanden"

Die Pleite von Thomas Cook war für Marija Linnhoff keine Überraschung. Bereits im Februar warnte die Vorsitzende des Verbands unabhängiger selbstständiger Reisebüros die Politik vor einem Aus des Tourismus-Giganten und den Folgen für die Verbraucher.

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Das "Orakel von Iserlohn": Marija Linnhoff, Vorsitzende des Verbands unabhängiger selbstständiger Reisebüros. Foto: pr

Spätestens seit der TV-Sendung von Markus Lanz am Dienstagabend ist Marija Linnhoff als „Orakel aus Iserlohn“ bekannt. Die Vorsitzende des Verbands unabhängiger selbstständiger Reisebüros (VUSR) warnte bereits im Februar vor einem Aus von Thomas Cook. Im Gespräch mit den BNN kritisiert die streitbare Touristikerin aus der nordrhein-westfälischen Stadt sowohl die Reisebranche als auch die Bundesregierung für das abwartende Verhalten.

Woher wussten Sie, dass Thomas Cook diesen Herbst Insolvenz anmelden wird?

Linnhoff: Ich kann genausowenig orakeln wie andere auch. Aber ich kann mir Zahlen ansehen. Und das mache ich sehr sorgfältig, weil leider viele Veranstalter hinter dem Rücken des Vertriebs agieren. So bekam ich schon früh mit, dass die Zahlen von Thomas Cook desolat sind. Doch meine Warnung bei einem Parlamentarischen Frühstück im Februar interessierte fast niemanden. Nur die Grünen sind danach auf mich zugekommen.

Wieso nahm kaum jemand Ihre Prognose ernst?

Linnhoff: Das liegt an der Macht der Lobbyisten in der Touristik. Es hieß, Frau Linnhoff übertreibe mal wieder. Ich wurde belächelt. Die Politik glaubte mir nicht, weil alle anderen touristischen Verbände nicht auf meiner Seite standen. Nur der Verbraucherschutzverband solidarisierte sich mit mir.

Welche Reaktion hätten Sie sich stattdessen gewünscht?

Linnhoff: Ich hatte gehofft, dass sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen. Und im nächsten Schritt wäre die Zusage der Bundesregierung wichtig gewesen, dass der Staat im Falle einer Insolvenz einspringt. Das hätte man nicht öffentlich gemacht. Alle hätten sich dann entspannt zurücklehnen können und die Reisebüros hätten weiterhin Reisen von Thomas Cook verkauft. So aber wurden Preise auf den Markt geworfen, die jeden kaufmännisch denkenden Reiseverkäufer stutzig gemacht haben.

Haben Sie Ihren rund 700 Mitgliedern geraten, keine Reisen von Neckermann oder anderen Veranstaltern des Konzerns zu buchen?

Linnhoff: Nein, natürlich nicht. Das durfte ich nicht, und ich wollte auch keine Panik schüren. Der VUSR hat nur die reinen Fakten weitergegeben. Die Bewertung war Sache jedes Einzelnen. Hätte man mich vor ein paar Monaten gefragt, ob ich selbst einen Sommerurlaub bei Thomas Cook buchen würde, hätte ich dies bejaht. Eine Reise in der Weihnachtszeit aber hätte ich nicht gebucht. Im Herbst werden in der Touristik schließlich die Rechnungen fällig.

Weshalb forderten Sie damals, dass bei Pauschalreisen die Kundengelder höher abgesichert werden sollen?

Linnhoff: Derzeit versichert jeder Absicherer im Jahr maximal eine Summe von 110 Millionen Euro. Das heißt insgesamt. Also egal, wie viele Reiseveranstalter bei der jeweiligen Versicherung einen Vertrag abgeschlossen haben. Der Maximalbetrag ist seit den 1990er Jahren nicht erhöht worden. Meldet ein großes Unternehmen wie Thomas Cook Insolvenz an, kann das Geld einfach nicht reichen. So werden viele Thomas-Cook-Kunden trotz Sicherungsschein nicht das komplette Geld zurückbekommen.

Frustriert es Sie, dass erst diesen Donnerstag im Bundestag über den Antrag der Grünen, den maximalen Betrag zu erhöhen, abgestimmt wurde und die Mehrheit ihn ablehnte?

Linnhoff: Ich kann mich über das Ergebnis und das Verfahren nur aufregen. Die Grünen reichten den Antrag bereits im März ein. Warum erst jetzt, nachdem die Hütte schon brennt, darüber abgestimmt wurde, verstehe ich nicht. Die Bundesregierung hat grob fahrlässig gehandelt – und dies bereits, als sie vor zwei Jahren die neue EU-Pauschalreiserichtlinie nicht konsequent umgesetzt hat. Nun hätte man sich mit der Abstimmung auch Zeit lassen können. Die aktuelle Kundengeldabsicherung ist vollkommen veraltet, man muss sich etwas Neues ausdenken.

Was raten Sie Verbrauchern, die von der Insolvenz betroffen sind?

Linnhoff: Handelt es sich um eine abgesagte Pauschalreise (An. d. Red.: momentan bis 31. Oktober), können die Betroffenen ihre Ansprüche bei der Zurich Versicherung geltend machen. Sie müssen aber damit rechnen, dass sie vor März 2020 keinen Euro sehen. Alle anderen sollten abwarten und ihre Reise keinesfalls stornieren. Ansonsten erhalten sie kein Geld zurück.

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