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Zum Tode von Franz Beckenbauer

Der Kaiser, der den Ball nicht trat, sondern streichelte

Franz Beckenbauer hat Deutschland gleich zwei Mal zum Fußball-Weltmeister gemacht und für ein Sommermärchen gesorgt. Nun ist er im Alter von 78 Jahren gestorben.

Franz Beckenbauer, ehemaliger Fußballspieler, steht während der Einweihung der Hall of Fame des deutschen Fußballs im Deutschen Fußballmuseum auf der Bühne. (zu dpa «Von Illgner bis Völler: Zwölf Helden in der magischen Nacht von Rom») +++ dpa-Bildfunk +++
Franz Beckenbauer war der Erste, der als Spieler und als Teamchef Weltmeister wurde. Foto: Ina Fassbender picture alliance/dpa

Jetzt, da das Spiel, sein Spiel, zu Ende gegangen ist, wird das Licht der Scheinwerfer noch einmal auf ihn gerichtet sein, bei einem solchen Leben geht das gar nicht anders. Man bekommt also noch einmal den jungen Franz Beckenbauer zu sehen, wie er, die Haare brav toupiert, hinter einem Teller Suppe sitzt und die Menschen vor den TV-Geräten, die damals natürlich noch in schwarz-weiß ausstrahlten, mit einem Schwiegersohnlächeln im Gesicht wissen lässt: „Kraft in den Teller – Knorr auf den Tisch.“

Zu sehen sein wird zweifelsohne auch der schon etwas ältere Beckenbauer wie er, der Teamchef der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, im Halbdunkel über den Rasen des Olympiastadions von Rom schreitet, mutterseelenallein, in all dem Rausch des gerade gewonnenen WM-Titels 1990 ganz in sich gekehrt, ikonenhaft beinahe.

Vom Rand eines Weißbierglases ins Loch der ZDF-Torwand getroffen

Auch die Bilder von seinem Auftritt im Aktuellen Sportstudio werden nicht fehlen, bei dem er den Ball einmal von einem Weißbierglas aus auf die berühmte Torwand nicht nur getreten, sondern tatsächlich getroffen hat.

Und man wird wohl auch an seine Reisen um die Welt erinnert werden, bei denen er im Vorfeld der Heim-WM 2006 monatelang und mehrfach um den Globus geflogen war, um persönlich Stimmen zu sammeln für jenes Sommermärchen, das daraus werden sollte.

Man bekommt also Bilder zu sehen, die voller Bedeutung stecken, voller Kraft, voller Erinnerung an einen Menschen, der dieses Land auf unterschiedlichste Weise geprägt hat und von dem man manchmal den Eindruck hatte gewinnen können, dass alles, wirklich alles, was er anfasst, nahezu mühelos auch gelingt.

Dass dem, wie später bekannt werden sollte, beileibe nicht so war, trägt eine gewisse Tragik in sich und hatte zuletzt zumindest mit dazu geführt, dass der Mann, den alle „den Kaiser“ nennen, von der Öffentlichkeit weitgehend zurückgezogen in Salzburg lebte.

Hinzu kamen gesundheitliche Probleme, allen voran das Herz, die ihm immer mehr zu schaffen machten. Auf dem rechten Auge war er nach einem Augeninfarkt zudem erblindet. Immer schlechter, so hieß es, sei sein Zustand geworden. Am 7. Januar 2024 hat er im Alter von 78 Jahren seine Augen für immer geschlossen.

Der glückliche Kapitän Franz Beckenbauer hebt an der Seite von Torhüter Sepp Maier (rechts) und dem englischen FIFA-Präsidenten Stanley Rous (links) am 7. Juli 1974 im Münchner Olympiastadion den WM-Pokal in die Höhe.
Der glückliche Kapitän Franz Beckenbauer hebt an der Seite von Torhüter Sepp Maier (rechts) und dem englischen FIFA-Präsidenten Stanley Rous (links) am 7. Juli 1974 im Münchner Olympiastadion den WM-Pokal in die Höhe. Foto: Hartmut Reeh/dpa

Blickt man nun auf das Leben des Kaisers, das natürlich ein großes war, zurück, scheint es fast so, als habe sich dieses zweigeteilt. In ganz Hell – und in ziemlich Dunkel.

Die vom Glück geküsste Lichtgestalt schien Beckenbauer in der ersten Halbzeit seines Lebens, die glücklicherweise deutlich länger andauerte als die zweite. Dass den Sohn eines Giesinger Postbeamten eine Watschn als Zwölfjährigen davon abhielt, zu den damals deutlich etablierteren Löwen zu wechseln und er stattdessen bei den gerade noch emporkommenden Bayern landete, ist nicht nur Legende, sondern schon der erste Glücksfall.

In New York und Hamburg klingt die aktive Karriere aus

Die Karriere, die Beckenbauer dort hinlegt, ist eine, wie sie noch nicht einmal im Bilderbuch zu finden ist. Mit 18 Jahren spielt er erstmals in der ersten Mannschaft der Bayern in der Aufstiegsrunde zur Bundesliga.

Nur ein Jahr später, nach lediglich sechs Bundesligaspielen, debütiert er in der Nationalmannschaft.

Ein Jahr darauf, im Sommer 1966, wird er mit Seeler & Co. Vizeweltmeister in England. Am Ende der aktiven Karriere, die er mit Stippvisiten bei Cosmos New York (1977 - 1980) und dem Hamburger SV (1980 - 1982) ausklingen ließ, stehen: ein Welt- (1974) sowie ein Europameistertitel (1972), drei Siege im Europapokal der Landesmeister (1974, ’75, ’76) sowie einer im Europapokal der Pokalsieger (1967), zudem fünf nationale Meisterschaften (’69, ’72, ’73, ’74, ’82) sowie vier Pokalsiege (’66, ’67, ’69, ’71).

DFB-Teamchef Franz Beckenbauer (links), Kapitän Lothar Matthäus und Abwehrspieler Andreas Brehme beim Heimflug von der WM 1990 in Rom.
DFB-Teamchef Franz Beckenbauer (links), Kapitän Lothar Matthäus und Abwehrspieler Andreas Brehme beim Heimflug von der WM 1990 in Rom. Foto: Wolfgang Eilmes picture alliance / dpa

Doch nicht nur die Erfolge an sich waren es, die ihn bis heute zum besten deutschen Fußballer aller Zeiten machen, auch mit seiner Art zu spielen begeisterte Beckenbauer die Massen. Er schien den Ball nicht zu treten, sondern zu streicheln.

Mehr noch: Er hypnotisiere ihn geradezu, hat einer mal geschrieben. Hinzu kam sein Auftreten auf dem Platz: Den Kopf nach oben, die Brust nach vorne – das hatte in der Tat etwas Erhabenes, ja Majestätisches. Beckenbauer hatte, und das nicht nur auf dem Rasen, die seltene Gabe, auch Mühsames leicht und luftig aussehen zu lassen. Dass auch bei ihm harte Arbeit dahintersteckte, ging keinen etwas an.

Ja ist denn heut schon Weihnachten?
Franz Beckenbauer
Werbefigur für einen Mobilfunkanbieter

Als Beckenbauer 16 Jahre nach dem Titel als Spieler das WM-Kunststück in Italien als Teamchef wiederholte, stiegen seine Sympathiewerte gänzlich ins Unermessliche.

Beckenbauer wurde zu einer Art Franz Dampf in allen Gassen. Für Bild schrieb er eine Kolumne, für Sky gab er den TV-Experten, für einen Mobilfunkanbieter ließ er es Mitte Oktober schon Weihnachten werden.

Nicht nur Kaiser, sondern auch Hofnarr

Die Deutschen liebten ihren Kaiser: Für die beiden WM-Titel. Aber auch für seine gerade in Deutschland keineswegs selbstverständliche Leichtig- und Lässigkeit.

Hinzu kam, dass Beckenbauer sich nie selbst überhöhte, sondern den Menschen stets das Gefühl schenkte, einer von ihnen geblieben zu sein. So einer durfte dann auch gerne mal den Firlefranz geben, zumal Beckenbauer dabei nie wirklich böse wirkte oder aggressiv, sondern eher, nun ja, unbedarft.

Wer viel redet, gibt bisweilen eben auch Blödsinn von sich. Manchmal wirkte es, als sei Beckenbauer nicht nur Kaiser, sondern auch Hofnarr. Auch deshalb schaute Deutschland über die kleinen und bisweilen halbgroßen Eskapaden, die es schon auch gab, etwa wenn er auf einer Weihnachtsfeier mit der Sekretärin noch ein kleines Kaiserlein zeugte, gnädig hinweg.

Das Golfspiel war Franz Beckenbauers zweite Leidenschaft.
Das Golfspiel war Franz Beckenbauers zweite Leidenschaft. Foto: Axel Heimken/dpa

Zumal Beckenbauer sich in schöner Regelmäßigkeit immer wieder selbst zu übertreffen wusste: Der WM als Spieler 1974 folgte 1990 die WM als Teammanager – und jener 2006 die Heim-WM.

Erst besorgte Beckenbauer die notwendigen Stimmen, dann sorgte er als Organisationschef für ein sagenhaftes Fest, das der ganzen Welt ein ganz neues Deutschland zeigte. Freundlich. Weltoffen. Ein bisschen wie der Franz selbst.

Dass der es dazu passend fertigbrachte, vier Wochen die Sonne über Deutschland scheinen zu lassen, sei nur am Rande erwähnt.

Tod des Sohnes macht Franz Beckenbauer schwer zu schaffen

Was für Deutschland zu einem Sommermärchen wurde, wurde für den Kaiser nachträglich und durch und durch schleichend zum Fiasko. Im Rückblick wirkt es fast so, als habe Beckenbauer sein überreiches Reservoir an Glück aufgebraucht.

Privat machte ihm der Tod seines Sohnes Stephan im Juli 2015 schwerst zu schaffen. Auf der anderen Seite setzten ihm die schweren Bestechungsvorwürfe gegen seine Person im Zuge der Heim-WM immer mehr zu.

Im Kern ging es um eine nicht belegte Summe von 6,7 Millionen Euro. 6,7 Millionen für eine WM – das sind Peanuts. Oder hatte etwa jemand geglaubt, im Rahmen eines hochkorrupten Vergabesystems bekomme ausgerechnet Deutschland den Zuschlag für lau?

Beckenbauer hat unter den Vorwürfen schwer gelitten. Stets hat er bestritten, bestochen zu haben. Bis zum Schluss.

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