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DWD gettäuscht

Tornado oder kein Tornado? Fake-News in Ettlingen und Bietigheim

Hat es bei Ettlingen einen Tornado gegeben - oder nicht? Um das schwere Unwetter vom Dienstag entwickelt sich ein Lehrstück in Sachen Fakenews und Faktenprüfung. Sogar der Deutsche Wetterdienst hat dazu zwischenzeitlich eine Falschmeldung rausgehauen.

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Echt oder nicht? Unter anderem dieses Bild kursiert seit dem Unwetter am Dienstag. Foto: None

Auf den Gehwegen liegen hier und da noch zerbrochene Dachpfannen, in manchen Straßen liegt das Grün meterhoch am Wegesrand. Am Donnerstagmittag ist das Erscheinungsbild von Bietigheim noch deutlich gezeichnet von einer Unwetterfront, die am Dienstagabend durch die Region zog.

Ein verwackeltes Video kursiert auf Whatsapp

Die Böen hatten sich kaum gelegt, da brodelten auf Facebook und in zahlreichen Whatsapp-Gruppen bereits die Gerüchte: Ein Tornado habe die Region heimgesucht.

Ein verwackeltes Video zeigt eine Windhose, die hinter einer Häuserzeile offenbar Richtung Boden wirbelt. Das Video wurde auch unserer Redaktion zugeschickt und unter Beiträgen zum Unwetter veröffentlicht.

Das Video ist seit Dienstagabend offenbar in zahlreichen Kanälen verbreitet worden. In Bietigheim scheint praktisch jeder das Video zu kennen. Es veranlasst viele Leute zur Einschätzung, das Dorf und seine Umgebung seien Schauplatz eines Tornados gewesen.

Augenzeugen sind sich uneinig

Es gibt Augenzeugen, die den typischen, rotierenden Tornadorüssel gesehen haben wollen. Eine Anwohnerin der Langen Straße spricht davon. Sie wohnt unweit von Sandras Friseurlädle.

Monika Wielsch von der Bernhardus-Apotheke beruft sich auf ihren Mann, der definitiv mit eigenen Augen den Tornado-Wirbel erkannt habe. Auf ihrem Smartphone zeigt sie ein Video, das sie erhalten hat. Es ist wieder das verwackelte mit der Windhose und der Häuserzeile.

Andere Passanten in Bietigheim sind weniger überzeugt von der Tornado-These. "Es war sicherlich ein ziemlich starker Sturm", sagt Patrick Stickel, der stellvertretender Kommandant bei der Freiwilligen Feuerwehr Bietigheim ist. Ob es aber wirklich ein Tornado war, könne er nicht sagen. "Wir hatten jedenfalls genug zu tun". Zu 43 Einsätzen rückten er und seine Kameraden aus.

Und ja, das Video mit der Windhose und der Häuserzeile kenne er auch. "Ich kann aber nicht sagen, ob es von hier kommt."

Der DWD erklärt am Donnerstagnachmittag: Es gab einen Tornado...

Der Deutsche Wetterdienst entscheidet am Donnerstagnachmittag, den Sturm - zumindest lokal begrenzt - tatsächlich in den Stand eines Tornados zu erheben. Grund dafür ist ein Video, das eine Ettlingerin dem Dienst zukommen lassen habe.

Die Bilder darauf seien eindeutig: Ein Windrüssel, der senkrecht nach unten gehe, um sich selbst rotiere und augenscheinlich bis zum Boden reiche. "Ein klarer Fall von einem Tornado", erklärt ein Sprecher des DWD. Zumindest für die Ettlinger Ortschaft Bruchhausen sei das Ereignis damit verifiziert.

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IMG_2744 Foto: Markus Pöhlking

Der DWD hat zunächst von der Absenderin noch keine Erlaubnis, das Video auf seinen sozialen Kanälen zu teilen oder für unsere Redaktion freizugeben. Im Laufe des Nachmittags allerdings gibt sie dann grünes Licht: Zumindest für eigene Zwecke dürfte der DWD es veröffentlichen.

Die Frau selbst teilt mit, sie habe das Video von einer Bekannten. Kurz darauf erscheint das Video bei Facebook und Twitter. Nachdem der DWD den Tornado bestätigt hat, liefert er nun den Beweis hinterher.

...und rudert bald darauf zurück

Das Video wirkt vertraut: Es zeigt einen Windrüssel, der hinter den Dächern einer Häuserzeile in Richtung Erde geht. Die Kulisse könnte praktisch überall stehen in Deutschland. Zum Beispiel auch in Bruchhausen oder in Bietigheim.

Tatsächlich allerdings steht sie in der Pfalz, in Herxheim am Berg bei Bad Dürkheim. Dort gab es am 12. Juli nachweislich einen Tornado. Und

. Damit ist klar: Das hundertfach geteilte Video wurde nicht in Bietigheim aufgenommen.

Irgendwer hat am Dienstagabend das Video offenbar kopiert und in zahlreichen Whatsapp-Gruppen verbreitet. Dem DWD dämmert schnell, dass etwas mit der Aufnahme nicht stimmt. Es gibt entsprechende Rückmeldungen auf Twitter und Facebook.

Am frühen Abend sieht sich der Dienst gezwungen, seine Festlegung zu revidieren: Zwar legen Augenzeugenberichte und Fotos nahe, dass es einen Tornado gegeben haben könne. Aber einen definitiven Nachweis gebe es vorerst nicht mehr: "Wir sind da offenbar einem Fall von Fakenews aufgesessen", erklärt der Sprecher.

Ein unbekanntes Bild im Instagram-Profil des Bürgermeisters

Es gibt noch ein anderes Motiv, das im Zusammenhang mit dem Unwetter massive Verbreitung findet. Unter anderem Johannes Arnold, der Ettlinger Oberbürgermeister, hat es auf seinem Instagram-Profil geteilt.

Zu sehen: Ein charakteristischer Windrüssel, der hinter ein paar Baumkronen verschwindet. Wo das ist, ist nicht ersichtlich. Und woher das Foto stammt, weiß niemand. Aus Arnolds Büro heißt es am Donnerstag, es sei auf Whatsapp verbreitet worden.

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OB Arnold Instagram Foto: Screenshot: BNN

Daran besteht kein Zweifel. Denn auch in Bietigheim hat praktisch jeder das Bild seit dem Unwetter-Abend auf seinem Smartphone. Mit einigen von ihnen haben wir telefoniert oder vor Ort gesprochen. Das Foto könne nahe des Funkmastens am Festplatz aufgenommen sein, mutmaßen manche. Denn in manchen Varianten des Bildes ist am linken, unteren Eck eine Gitterkonstruktion erkennbar.

Andere glauben, es könnte nahe einer Bahnstrecke entstanden sein. Die Gitterkonstruktion wäre dann ein Mast für die Oberleitung. Es ist durchaus möglich, dass das Bild vom Dienstag stammt. Allein, dafür fehlt ein Beweis. Wie auch ein Urheber fehlt.

Das Bild ist in der Welt, aber was auf der Welt es zeigt, weiß offenbar niemand.

Bei Bildersuchen von Google oder Yandex lassen sich Fotos rückwärts suchen. Man lädt das Foto hoch und die Dienste versuchen herauszufinden, ob es ähnliche Fotos schon anderswo im Netz gibt. Ähnlich funktioniert auch der Dienst TinEye. Doch überall: Fehlanzeige.

Das bedeutet, dass das angebliche Foto aus Bietigheim noch nicht an anderen Orten im Internet zu finden ist - was ein Indiz für seine Echtheit sein kann. Ein Hinweis, mehr aber auch nicht.

Abgeknickte Zäune auf dem Tennisplatz

Auf der Tennisanlage des TuS Bietigheim hat das Unwetter am Dienstag ziemlich gewütet. Die Maschendrahtzäune, die die Spielflächen begrenzen, sind mit Transparenten behangen - der Sturm hatte viel Angriffsfläche.

Auf 10.000 bis 15.000 Euro Schaden schätzt Michael Hartmann den entstandenen Schaden, als er am Donnerstag in der Mittagszeit mit einem anderen Vereinsmitglied das Gelände inspiziert. Nicht nur die Zäune sind eingeknickt. Auch das Dach sei in Mitleidenschaft gezogen worden.

Hartmann ist sich nicht sicher, ob es in Bietigheim einen Tornado gegeben hat. "Fakt ist, dass der Sturm ziemlich gewütet hat", erklärt Hartmann. Er und sein Begleiter kennen das Video mit der Häuserzeile und auch das Bild, dass der Ettlinger OB auf seinem Instagram-Profil geteilt hat. Kein Wunder, beide kursieren ja überall.

Unzweifelhaft Elchesheim-Illingen

Hartmann und sein Begleiter haben aber noch andere Videos auf ihren Geräten. Eines zeigt ein paar Stühle und Fahrräder, die unter einem Vordach stehen. Dahinter geht gerade die Welt unter. Nur: auf einen Tornado deutet zunächst mal nichts hin.

"Das ist aus Elchesheim-Illingen vom Tennisclub, das können wir mit Sicherheit sagen", erklären die beiden. Ein Sprecher des DWD wird später sagen, die rotierenden Regenmassen könnten ein Indiz für einen Tornado sein. Das Video reiche aber nicht aus, um das mit Sicherheit zu sagen.

Und tatsächlich: In der donnerstäglichen Sonne wirkt die Weltuntergangsstimmung des Videos zwar ziemlich phantastisch. Aber vor dem Clubhaus des TC Elchesheim-Illingen stehen die Stühle und Tische, wie sie auf dem Video zu sehen sind. Dieses Video stammt also auch wirklich aus Illingen.

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Das Clubgelände des TC Elchesheim-Illingen. Foto: Markus Pöhlking

Vielleicht eher ein Gewittersturm?

Urheber des apokalyptischen Videos mit den Fahrrädern ist Thomas Bitterwolf. Er verkauft gerade Kaffee und Würstchen im Clubhaus. Ein paar Vereinsmitglieder sitzen unterm Vordach schon beim Bier.

Es habe einen Tornado gegeben am Dienstag, sagen einige von ihnen. Bitterwolf selbst ist sich da nicht ganz sicher, er spricht lieber von einem Gewittersturm. "Jedenfalls hatten wir hinterher genug aufzuräumen", erklärt er. Was auch immer das nun gewesen sein mag.

Wie man falsche Fotos entlarvt Wer schnell prüfen will, ob ein Foto echt ist, findet dazu bei einigen Onlinediensten gute Hinweise. Bei der Google-Bildersuche lassen sich über einen Klick auf das kleine Kamerasymbol Fotos hochladen (funktioniert nicht auf Mobilgeräten). Google sucht dann ähnliche Fotos im Netz. Wenn es dasselbe Foto auch an anderen Stellen im Internet gibt, ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Fake.

Noch präziser ist der Dienst TinEye . Wer dort ein Foto hochlädt, kann nach dem exakt selben Bild oder Ausschnitten davon suchen. Treffer? Dann findet man vielleicht die wirkliche Quelle des Fotos.

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