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Grenzüberschreitendes Programm

Firmen in Kehl und Karlsruhe: Funktioniert die deutsch-französische Berufsausbildung?

Seit zehn Jahren können Franzosen ihre Berufsausbildung in Deutschland absolvieren und umgekehrt. Das Projekt hat in der Praxis aber ein paar Tücken.

Diese vier Franzosen absolvieren derzeit im Michelin-Werk Karlsruhe die grenzübergreifende duale Ausbildung (von links): Diwann Herbein, Franck Schell, Lilian Kaeufling und Luis Lenoir
Diese vier Franzosen machen derzeit im Michelin-Werk Karlsruhe die grenzübergreifende duale Ausbildung (von links): Diwann Herbein, Franck Schell, Lilian Kaeufling und Luis Lenoir. Foto: Michelin

Dietmar Schweinebarth ist von Beginn an dabei. „Für uns als französischer Konzern ist das eine Win-Win-Situation. Man kann immer Tausende Fragen stellen oder man fängt einfach mal an“, berichtet der Leiter der Aus- und Weiterbildung im Michelin-Werk in Karlsruhe. Die Rede ist von der deutsch-französischen grenzüberschreitenden Berufsausbildung.

Seit 2013 hat der Reifenhersteller 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter grenzübergreifend dual ausgebildet, vor allem im Bereich Instandhaltung. Momentan lernen vier Azubis aus dem Elsass bei Michelin in Karlsruhe.

Wer übernimmt die Kosten?

Die Politik lobt sich für das Vorzeigeprojekt, doch vor Ort stellen sich ein paar knifflige Fragen: Wer übernimmt die Kosten für die französischen Berufsschulen, wenn Franzosen im deutschen Betrieb lernen? Wie lassen sich Ausbildungsinhalte und Abschlüsse in zwei völlig unterschiedlichen Systemen überhaupt kombinieren? Und wie steht es um die erforderlichen Sprachkenntnisse?

Die Sache mit der Kostenübernahme war zuletzt kompliziert. Denn für französische Azubis fallen Berufsschulkosten in ihrer Heimat an. Bis 2020 hat die französische Region Grand Est diese weitgehend übernommen, um deutsche Firmen zu entlasten. Je nach Ausbildungsgang können das mehr als 10.000 Euro pro Jahr sein.

Eine jahrelange Hängepartie

Durch eine Reform sind die Regionen im Nachbarland seit 2020 nicht mehr zuständig, sondern der Nationalstaat Frankreich. Erst mit einem neuen bilateralen Vertrag, den die beiden Außenministerinnen Annalena Baerbock (Grüne) und Catherine Colonna Mitte Juli in Lauterbourg/Elsass unterzeichnet haben, ist nun klar, dass der französische Staat über Arbeitgeberverbände die Gebühr künftig übernimmt. Damit soll die jahrelange Hängepartie um die Kosten enden. 

Simon Kaiser, Geschäftsführer Ausbildung bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Südlicher Oberrhein in Freiburg, sagt, die alte Kostenübernahmeregelung sei seit 2020 zwar jährlich verlängert worden, aber bis Klarheit herrschte, habe es sich immer hingezogen. „Wir haben den Betrieben dann immer nur unter Vorbehalt zusagen können, dass die Berufsschulen-Gebühr bezahlt wird. Das war unbefriedigend.“

Lehrlinge arbeiten mit der Metallfeile an Schraubstöcken in einer Lehrwerkstatt in Wismar.
Im Nachbarland ausgebildet zu werden, bedeutet, ein paar Hürden zu überwinden. Foto: Jens Büttner/dpa

Ist mit dem neuen Vertrag nun alles in Butter? Nicht ganz. Stephan Ruf, Fachberater grenzüberschreitende Ausbildung bei der IHK in Karlsruhe, hat erst neulich vom neuen Abkommen erfahren. Noch sei vieles unklar. Man werde erstmal einen Fragenkatalog erstellen. Eine Frage hat er schon notiert. „Zum Beispiel soll es künftig einen zweisprachigen Ausbildungsvertrag geben. Wer setzt den auf?“

Nachlassendes Interesse

Ruf registriert ein nachlassendes Interesse an dem Projekt. Vor zehn Jahren habe es im Elsass eine hohe Jugendarbeitslosigkeit gegeben, entsprechend groß war dort das Interesse an deutschen Arbeitgebern. Inzwischen sei die Jugendarbeitslosigkeit im Elsass gesunken. Viele hätten es gar nicht mehr nötig, sich in Deutschland umzuschauen.

Christian Schäfer, Abteilungsleiter bei der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Stuttgart, rechnet vor, es habe seit 2013 insgesamt 580 grenzüberschreitende Ausbildungsverträge gegeben. In Kehl arbeiten eigens zwei Fachexperten der BA, die zum Thema grenzüberschreitende Ausbildung Beratung anbieten. Schäfers Erfahrung: „Es braucht von allen Seiten viel Idealismus.“

Manche Ausbildungsinhalte sind gut vergleichbar.
Simon Kaiser
Geschäftsführer Ausbildung bei der IHK Südlicher Oberrhein in Freiburg

Den braucht es etwa bei den Lerninhalten und Abschlüssen, die wegen zwei verschiedener Systeme nicht so einfach kombinierbar sind. „Manche Ausbildungsinhalte sind gut vergleichbar, etwa beim Handwerk. Ein Maurer, Schreiner oder Konditor lernt auf beiden Seiten des Rheins Ähnliches. Aber bei der Ausbildung zum Bankkaufmann gibt es jeweils unterschiedliche Inhalte“, berichtet Kaiser.

Bürstner in Kehl will Erfahrungen sammeln

Der Wohnwagen- und Wohnmobilhersteller Bürstner in Kehl zum Beispiel hat mit der grenzüberschreitenden Ausbildung bisher kaum Erfahrungen gemacht. „Wir sehen allerdings für die Zukunft ein hohes Potenzial und wollen diese grenzüberschreitende deutsch-französischer Ausbildung in Zukunft mit einbeziehen“, sagt Pressesprecherin Stephanie Hillemanns-Wollbrett. Denn die Zweisprachigkeit der Mitarbeiter sei ein großer Vorteil.

Gerade daran hapert es allerdings. Freiburgs IHK-Vertreter Kaiser stellt fest: „Wir können in Baden-Württemberg fast schon vom Aussterben des Französisch-Unterrichts reden, im Elsass sieht es für das Deutsche auch nicht besser aus. Für die Grenzregion ist das großer Mist.“

Es fehlen Fremdsprachenkenntnisse

Das kann Michelin-Ausbildungsleiter Schweinebarth bestätigen. Bei den französischen Azubis fehlten Deutsch-Kenntnisse leider oft. „Man spürt, dass im Elsass nicht mehr alle Deutsch sprechen.“ Fremdsprachenkenntnisse brauche man aber – allein schon, um die Sicherheitsbestimmungen im Werk zu verstehen.

IHK-Vertreter Kaiser wünscht sich allgemein mehr Fantasie in der deutsch-französischen Zusammenarbeit. Im Aachener Vertrag von 2019 seien extra Experimentierklauseln festgehalten. Da könnten doch die Grenzregionen und Eurodistrikte als Labore vorangehen, „aber da tut sich nix“. Er stoße immer wieder auf rote Linien. Zum Beispiel gebe es bei der BA Fördermittel für Ungelernte, aber eben nur für deutsche Staatsbürger. Warum könne man diese Gelder nicht auch Elsässern in grenzüberschreitender Ausbildung zahlen?

Schülerpraktika als erste Orientierung

Sein Vorschlag: Man solle alle Schulklassen regelmäßig zu Ausbildungsmessen ins Nachbarland schicken. Und man müsse Jugendliche schon früh mit der Möglichkeit im Ausland vertraut machen, zum Beispiel über Schülerpraktika. „Wenn Sie mit 18 die Schule verlassen und hören da zum ersten Mal von der Möglichkeit, im Nachbarland einen Teil der Ausbildung zu absolvieren, werden Sie es nicht machen.“ Das Projekt sei wichtig, aber: „Bei dem großen Beratungsaufwand könnte man die Azubis fast in Gold aufwiegen“, lacht Kaiser.

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