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230.000 Straftaten im öffentlichen Raum

„Safe Places“: EnBW aus Karlsruhe entwickelt datenschutzkonforme Überwachungstechnik

231.923 Straftaten im öffentlichen Raum hat die Polizei 2020 in Baden-Württemberg gezählt. Die EnBW aus Karlsruhe entwickelt derzeit eine Überwachungstechnik, bei der das Geschehen datenschutzkonform nur als Schattendarstellung zu sehen ist.

29.07.2019, Hessen, Frankfurt/M.: Eine Überwachungskamera steht vor dem Frankfurter Hauptbahnhof. Der hessische Innenminister Beuth übergab am gleichen Tag einen Scheck über 1,2 Millionen Euro an die Stadt für die Instandhaltung der Videoanlagen im Frankfurter Bahnhofsviertel. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Verwendung weltweit
Die EnBW aus Karlsruhe entwickelt eine datenschutzkonforme Überwachungstechnik, bei der Straftaten im öffentlichen Raum nur schattenhaft zu sehen sind. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

Von der Schlägerei wären nur neongrüne Schatten zu sehen. Wie grobe Umrisse zeigen sie das Geschehen an der Philipp-Matthäus-Hahn-Schule in Balingen (Zollernalbkreis). Dann kann ein Mitarbeiter der EnBW per Lautsprecher zum Weggehen auffordern oder bei Bedarf die Polizei alarmieren. „Safe Places“ heißt das Projekt, das für Sicherheit an öffentlichen Plätzen sorgen soll.

Dass der Karlsruher Energieversorger bei dem Thema mitmischt, kommt nicht von ungefähr: Als Betreiber etwa von Kraftwerken muss er sich mit Objektschutz befassen und will sein eigens entwickeltes System „Savas“ nun auf den Markt bringen - zum Schutz der Allgemeinheit.

Dabei erfassen Sensoren Bewegungen und Lautstärke, die mit Hilfe von künstlicher Intelligenz ausgewertet werden. Deutet etwas auf eine Schlägerei oder Vandalismus hin wie schnelle Bewegungen oder Lärm, gibt das System den Angaben nach die Information an die Mitarbeiter der Alarmempfangsstelle weiter. Die seien geschult und sollen eine Durchsage machen oder Ordnungskräfte zur Hilfe holen.

Überwachungssystem „Savas“ liefert keine Klarbilder

Klarbilder liefert das System nicht, wie Ansgar Gauf erklärt, der bei der EnBW unter anderem für Datenschutz zuständig ist. Man kann also keine Personen oder Kleidung erkennen. Merkmale wie Alter und Geschlecht könne das System ebenfalls nicht analysieren, auch Tonaufnahmen würden keine gemacht. Dem Konzern zufolge ist es „zurzeit das einzige Verfahren auf dem Markt, welches mit hundertprozentiger Sicherheit zu jedem Zeitpunkt anonymisiert“.

Auch der Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink kennt kein vergleichbares Modell. Die Mannheimer Polizei arbeite seit einigen Jahren mit algorithmenbasierter Videoüberwachung, bei denen Bilder von Überwachungskameras automatisch etwa auf Schläge oder Tritte hin ausgewertet werden – und dann das Lagezentrum informiert wird. Das sei ähnlich, sagt Brink. Das spare Ressourcen, weil nicht die ganze Zeit Polizisten zig Bildschirme überwachen müssten. Die Kameras lieferten hier aber anders als bei der EnBW-Technik richtige Bilder.

„Wir müssen von der herkömmlichen Form der Überwachung wegkommen“, sagt Brink. Ziel müsse sein, Erkenntnisse auch ohne personenbezogene Daten zu gewinnen. Doch selbst Verpixeln oder Schattendarstellungen reichten da nicht aus, macht er deutlich. So lasse sich zum Beispiel ein Rollstuhlfahrer zwischen laufenden Menschen leicht ausmachen. Und selbst am Gang könnten heutzutage Menschen identifiziert werden.

„Safe Places“ wird in Gernsbach getestet – Karlsruher Europaplatz soll folgen

Die EnBW will mit „Safe Places“ Geld machen, wie Konzernchef Frank Mastiaux jüngst ankündigte. Das Unternehmen plant, die Technik am Europaplatz in Karlsruhe und im Solarpark Weesow (Brandenburg) auszuprobieren. Tests laufen schon auf dem Marktplatz von Gernsbach und eben an der Philipp-Matthäus-Hahn-Schule.

Immer wieder hätten Vandalen auf dem sieben Hektar großen Gelände entlang eines öffentlichen Weges ihr Unwerk verrichtet, berichtet der stellvertretende Schulleiter Martin Schatz: zerdepperte Scheiben, beschmierte Wände, selbst aufs Dach seien sie geklettert und hätten alle Lichtkuppeln zerstört. Der Schaden ging in die Zehntausende.

Einen Sommer lang sei ein Wachdienst auf Streife gegangen. „Aber die sind ja auch nicht dauernd vor Ort», sagt Schatz. Seit den Sommerferien nun arbeitet die Schule mit „Savas“. Kleinere Zwischenfälle, aber ohne nennenswerte Schäden habe es noch gegeben, sagt Schatz. Dennoch ist er voll des Lobes: „Unterm Strich kann ich das System durchweg jeder Schule empfehlen.“ Gerade große Gelände wie Berufsschulen seien geeignet. „Ich denke, dass wir künftig unsere Ruhe haben werden.“

Rund 25.000 Euro hat die Installation laut Landratsamt gekostet. Die Ausgaben für eine konventionelle Videoüberwachungsanlage wären in ähnlicher Dimension gewesen, erklärt der Leiter der Hauptverwaltung, Karl Wolf. Für die Alarmzentrale fielen monatlich knapp 500 Euro an – allerdings ein Preis an die Schule angepasst für das Pilotprojekt.

Mehr als 230.000 Straftaten im öffentlichen Raum in Baden-Württemberg

Wichtig bei der Entscheidung sei nicht nur die betriebswirtschaftliche Kosten- und Nutzenabwägung gewesen, betont Wolf, sondern auch der ordnungspolitische Aspekt: „Dass wir gerade auf einem Schulgelände, auf dem Jugendliche und junge Erwachsene unterwegs sind, Verschmutzung, Beschädigungen und Vandalismus nicht akzeptieren.“

Straftaten im öffentlichen Raum sind kein Einzelfall. 231.923 Fälle registrierte die Polizei im vergangenen Jahr in Baden-Württemberg, wie das Innenministerium mitteilte. Darunter seien mehr als 40.500 Mal Sachbeschädigung, was vor allem Fahrzeuge betreffe, und mehr als 25.000 „Aggressionsdelikte“ – das reicht von leichter Körperverletzung bis Mord. Tendenz im Vergleich zu den Vorjahren in den Sparten: fallend.

Dass solche Kameras präventiv wirken, das muss man sich wohl abschminken.
Stefan Brink, Landesdatenschutzbeauftragter

Der Landesdatenschutzbeauftragte Brink warnt aber vor allzu falschen Erwartungen: „Dass solche Kameras präventiv wirken, das muss man sich wohl abschminken“, sagt er. „Bei allen impulsiven Taten ist kein planender Täter. Dem ist es herzlich egal, ob da Kameras sind oder nicht.“ Und auch die Chancen für die Polizei, so schnell dank Technik Infos zu bekommen und rechtzeitig eingreifen zu können, seien gering.

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