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Helfer ziehen Bilanz

Sie sind in seelischen Ausnahmesituationen da: Seit 20 Jahren gibt es die Karlsruher Notfallseelsorge

Wenn sich ein Unfall mit Toten ereignet, rückt das Team der Notfallseelsorge Karlsruhe aus. Die Einsatzzahlen sind zuletzt gestiegen.

Zwei Notfallseelsorger auf der Straße
Thomas Christl und Daniel Paulus (von links) sind die Leiter des ökumenischen Angebots, das es in Karlsruhe seit 20 Jahren gibt. Foto: Rake Hora

Sie wissen nicht wann, sie wissen nicht wo. Aber wenn der Piepser losgeht, wissen sie, dass sich ein Unfall mit Toten ereignet hat. Dann ziehen die Frauen und Männer von der Notfallseelsorge (NFS) Karlsruhe, die dieser Tage ihr 20-jähriges Bestehen begeht, ihre violettfarbene Uniform an und fahren – „immer zu zweit“ – zum Einsatzort.

Hinterbliebene Angehörige oder Überlebende des Unfalls müssen per Krisenintervention in dieser seelischen Ausnahmesituation psychologisch betreut werden und segnen Tote auf Wunsch auch aus. Aber auch beteiligte Einsatzkräfte brauchen eine Ansprachemöglichkeit, um das Gesehene am Unfallort bewältigen zu können, wofür Einsatz-Nachsorge-Teams (ENT) bereitstehen.

Grundsätzlich sind wir alle der Feuerwehr angegliedert.
Daniel Paulus
evangelischer Leiter der Notfallseelsorge Karlsruhe

„Grundsätzlich sind wir alle der Feuerwehr angegliedert, aber im Auftrag der Kirche gemäß Seelsorgegesetz unterwegs“, sagt Daniel Paulus, Diakon und evangelischer Leiter der Notfallseelsorge Karlsruhe. Zusammen mit seinem katholischen Pendant Thomas Christl, der auch Polizeiseelsorger ist, sowie Simone Fellhauer, von Beruf pädagogische Assistentin, berichtet er bei einem Pressetermin von der Arbeit.

Unterschiedliche Motivationen

Ihre Motivationen sind unterschiedlich: Als 18-Jähriger einen Unfalltod miterlebt zu haben oder lange Rettungsdienstfahrer gewesen zu sein und nach dem Theologiestudium gesehen, hier Theorie und Praxis zu vereinen. Oder als 30 Jahre aktives Feuerwehrmitglied darin eine spannende Aufgabe zu erkennen.

Ein eindeutiges Gründungsdatum der NFS lässt sich nicht benennen, erste konkrete Schritte seien nach der Hamburger Flutkatastrophe von 1962 eingeleitet worden. Seit 1998 finde der „Bundeskongress Notfallseelsorge und Krisenintervention“ statt, als Forum für Fort- und Weiterbildung, Austausch und Kontaktpflege.

„Konsens war: ‚Wir brauchen Standards, die für alle verpflichtend sind‘“, so Paulus. „Zu Beginn unserer Arbeit wurden wir gerufen, weil uns jemand bei der Polizei oder der Feuerwehr kannte. Aber viele wussten nicht, was wir machen und wer wir sind“, berichtet Fellhauer.

600 Fälle wurden 2022 bearbeitet

In Karlsruhe seien rund 50 Kollegen, davon zehn vom Deutschen Roten Kreuz, mit dem die NFS kooperiert, je zur Hälfte in den beiden Bereichen Krisenintervention oder Einsatz-Nachsorge-Teams ehrenamtlich tätig. 600 Fälle seien im vergangenen Jahr bearbeitet worden. „Das entspricht einer Steigerung von 55 Prozent in drei Jahren“, berichtet Paulus. „Mit systemisch arbeitenden Supervisoren, die von außen kommen, werden wir zusätzlich im Setting der NFS aufgefangen.“

Ausbildung dauert vier Jahre lang

Die Ausbildung ziehe sich über vier Jahre, biete mal Frontalunterricht, mal Gruppenarbeit. Und umfasse beispielsweise Vorträge von Traumapsychologen, Psychiatern oder der Kriminalpolizei. „Auch ganz viele Rollenspiele à la ‚Wie leite und beende ich meinen Einsatz?‘. Es geht viel ums Bauchgefühl“, ergänzt Fellhauer. Weiter schließe sich eine Hospitanzphase an. 

Wichtig ist, selbst psychisch unversehrt zu bleiben.
Thomas Christl
katholischer Leiter der Notfallseelsorge Karlsruhe

„Die Aufnahme findet dann über ein Assessment-Center statt, wo die Frage gestellt wird ‚Was motiviert Sie, eine Aufgabe zu übernehmen, die mit dem Tod zu tun hat?“, berichtet Diakon Christl. „Wenn wir feststellen, es klappt nicht, kommen wir nicht zusammen“, so Paulus. Und Christl: „Wichtig ist, selbst psychisch unversehrt zu bleiben.“ 

„Man reflektiert sich selbst und fragt sich: ‚Habe ich die Resilienz dafür?‘“, ergänzt Fellhauer. Auf der Fahrt zum Unfallort gehe sie zur Vorbereitung nochmals ihre laminierten Einsatzkärtchen durch. Kein Einsatz gleiche dem anderen.

Seien Kinder beteiligt, habe sie immer einen Teddybären oder ein Malbuch mit, auch Gummibären. „Aus der Schockstarre raus und ins Handeln kommen“, nennt es Christl, um die Betreuten wieder ins aktive Tun führen. NFS-Einsätze seien – abhängig von der Situation – zeitlich begrenzt: „Wir bleiben so lange, bis das übliche soziale Umfeld – Freunde, andere Angehörige – da ist. Dann übergeben wir“, so Christl.

Team hilft auch im Ahrtal

Bei den ENT arbeiteten die Profis für die Profis. Er habe zwei Teams sieben Tage im überschwemmten Ahrtal betreut. „Zwei Wochen haben wir danach gebraucht, um wieder in der Welt zu Hause anzukommen.“ Auch fahre er nach einem Einsatz nicht direkt nach Hause, spreche auch nicht mit seiner Familie darüber.

„Jeder hat sein Ritual, denn es geht um Mitfühlen, aber nicht Mitleiden“, erklärt Fellhauer. Zuerst raus aus der Uniform, mache der eine einen Spaziergang, der andere rauche erst mal eine Zigarette, der Dritte schreibe seine Gedanken auf. Die Strategien seien verschieden. Christl vergleicht den Einsatz, der „ein Übergang aus einer surrealen Welt“ sei, mit einem Raum: „Die Tür wird geöffnet, aber danach auch wieder geschlossen.“

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