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Bestechungsgeld für Ausreise

Gaza-Krieg: Wie ein Geschäftsmann an der Verzweiflung einer Eggensteiner Familie verdient

Damit ein Vater aus Eggenstein dem Gaza-Krieg entkommt, zahlt seine Familie in Ägypten Tausende US-Dollar. Was weiß die Bundesregierung über das Geschäft mit der Verzweiflung?

Fadi Tantish wird von seiner Familie vor der Wohnung in Eggenstein-Leopoldshafen begrüßt.
Dem Schrecken des Gaza-Kriegs entkommen: Vater Fadi Tantish mit seiner Familie vor der Wohnung in Eggenstein-Leopoldshafen. Foto: privat

Als Fadi Tantish endlich frei ist, versagt ihm der Magen. Nach fünfeinhalb Monaten der Mangelernährung im Gaza-Krieg ist die reichhaltige ägyptische Küche zu viel für ihn.

„Mein Körper konnte die plötzliche Nahrungsumstellung nicht verkraften und ich litt den ganzen Tag vor meinem Flug unter Bauchschmerzen“, berichtet der Ingenieur aus Eggenstein-Leopoldshafen.

Inzwischen ist er wieder zu Hause im Kreis Karlsruhe bei seiner Frau Haneen und den beiden kleinen Kindern Ameer und Adam. Tantish sagt: „Das Wiedersehen am Frankfurter Flughafen war unvergesslich.“

Ungewissheit zwischen Gaza-Krieg und Eggenstein

Dass die Familie wieder zusammenfand, war noch vor wenigen Tagen höchst ungewiss. So wie es monatelang unsicher war, ob sie jemals wieder Gaza verlassen würden.

Die Tantishs waren im Oktober 2023 zu einem Verwandtschaftsbesuch nach Gaza gereist und wurde dort vom Krieg überrascht. Hamas-Terroristen hatten ihn am 7. Oktober mit einem barbarischen Terrorakt in Israel ausgelöst. Rund 1.200 Menschen wurden ermordet, Tausende verletzt und 240 als Geiseln nach Gaza entführt.

Wir sind körperlich an einem sicheren Ort, aber unsere Gedanken können Gaza nicht verlassen.
Fadi Tantish
Ingenieur aus Eggenstein

Wie Hunderttausende andere Palästinenser flüchtete die Familie immer weiter in den Süden des Gazastreifens, lebten in Flüchtlingslagern, überstanden Angriffe und Krankheiten, die Kälte und den ewigen Hunger.

Fadi und Haneen Tantish mit den Kindern Ameer (links) und Adam in einem Flüchtlingslager im Gazastreifen. Inzwischen konnten Frau und Kinder ausreisen.
Aus einem Urlaub wurden mehr als fünf Monate im Gaza-Krieg: Fadi Tantish (links) durfte nicht mit seiner Frau Haneen und den Kindern Ameer und Adam (rechts) nach Deutschland zurück. Israel lehnte einen Antrag des Auswärtigen Amtes ab. Foto: privat

Obwohl Fadi Tantish als Ingenieur beim Abwasserverband Murg in Rastatt fest angestellt ist und die Familie in Eggenstein-Leopoldshafen Wurzeln geschlagen hat, scheint eine Rückkehr nach Deutschland lange aussichtslos. Sogar Menschen mit einem deutschen Pass haben es in den Kriegswirren schwer, auszureisen. Und die Tantishs gelten wie viele Palästinenser als Staatenlose.

Israelische Behörde verweigert Ausreise des Familienvaters

Durch das Engagement von Nachbarn in Eggenstein wurde die Politik aufmerksam. Das deutsche Verbindungsbüro des Auswärtigen Amts im Westjordanland beantragte die Ausreise der Familie. Doch die zuständige israelische Behörde Cogat (Coordination of Government Activities in the Territories) hatte mehrfach nur die Ausreise der beiden vier- und anderthalbjährigen Kinder genehmigt.

Grenzbeamte in Rafah ließen Ende Februar schließlich die Mutter mit den Kindern ausreisen. Der Familienvater musste auf Anweisung von Cogat in dem überfüllten Kriegsgebiet bleiben. Zwar beantragten deutsche Diplomaten erneut die Ausreise des 37-jährigen Ingenieurs. Doch die Familie wollte in ihrer Verzweiflung nicht nur auf eine Karte setzen.

Fadi Tantish berichtet: „Meine Frau ist zu einem ägyptischen Unternehmen gegangen, das wie ein Reisebüro funktioniert, und hat 15 Stunden gewartet. Dann hat sie 5.000 US-Dollar bezahlt, um mich zu registrieren, damit ich ausreisen kann.“

Ägyptischer Kriegsgewinnler mit Regierungskontakten

Was der Eggensteiner beschreibt, ist an der Grenze zwischen Ägypten und Gaza übliche Praxis und für viele Palästinenser der einzige Weg aus dem Wahnsinn des Kriegs. Zumindest für jene, die es sich leisten können. Wie die britische Zeitung Guardian schreibt, werden pro Person bis zu 10.000 US-Dollar „Bestechungsgeld“ verlangt.

Ägyptische Offizielle behaupten, dieses Geschäft mit der Verzweiflung sei inzwischen gestoppt worden. Außenminister Sameh Shoukry sagte zuletzt in einem Fernsehinterview, Kairo werde „gegen jeden vorgehen, der in solche Aktivitäten verwickelt ist“. Doch daran gibt es Zweifel.

Berichten zufolge steht die Firma „Hala Consulting and Tourism“ dahinter. Sie soll dem ägyptischen Geschäftsmann Ibrahim Al Organi gehören, dem gute Kontakte zu Ägyptens Regierung und Einfluss auf die Stämme der Sinai-Halbinsel nachgesagt werden. 

Auch Hamas-Anhänger werden aus Gaza-Krieg geschleust

Auch in Israel ist man bestürzt. Unter den Tausenden, denen die Flucht aus dem Krieg mit der Firma des Kriegsgewinnlers gelang, befinden sich dem israelischen Sender „Channel 12“ zufolge auch Angehörige hochrangiger und wohlhabender Hamas-Mitglieder.

Das Außenministerium in Berlin teilte auf BNN-Anfrage mit: „Einzelne Berichte über Ausreisen mithilfe des Unternehmens Hala sind dem Auswärtigen Amt bekannt.“ Ob die Geschäftemacherei bei deutsch-ägyptischen Konsultationen thematisiert wurde, wollte ein Sprecher nicht sagen.

Familie Tantish konnte die Gebühr dank einiger Spenden aufbringen. „Die Behandlung durch die Firma war schlecht, aber es war ein großes Geschenk, den Krieg verlassen zu können“, sagt der Vater.

Nun ist er zu Hause in Eggenstein und versucht gemeinsam mit seiner Familie das Erlebte zu verarbeiten. Er sagt: „Es gibt keine Worte, die den Unterschied zwischen dem Leben im Krieg und einem sicheren Ort beschreiben können.“ Vor allem die Ruhe fällt ihm auf. Keine Drohnen und Kampfjets am Himmel, keine Menschen, die plötzlich anfangen, zu weinen und zu schreien.

Dann denkt Fadi Tantish wieder an seine Verwandten im Gaza-Krieg. Er sagt: „Meine Familie und ich sind körperlich an einem sichereren Ort, aber unsere Gedanken können Gaza nicht verlassen.“

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