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Umfrage in den Heimen

Pflegeheime sind wieder für Besucher geöffnet: „Letztlich ist das ein Gefängnisbesuch"

Wiedersehen auf Abstand: Die Alten- und Pflegeheime lassen seit knapp zwei Wochen wieder zu, dass sich Heimbewohner und Angehörige treffen dürfen - wenngleich unter strengen Auflagen. Allerdings gibt es Kritik. Von einem Besuch im Gefängnis spricht beispielsweise ein Angehöriger.

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Auf Abstand: Bauzaun und Absperrband wurden im Gartenbereich am Haus Edelberg in Berghausen installiert. Auf der einen Seite die Angehörigen, auf der anderen Seite die Heimbewohner. Dort kann man sich auch in der so genannten Besucherlounge treffen. Mit Voranmeldung, mittwochs und sonntags. Foto: Müller

Seit vergangener Woche können Angehörige ihre Verwandten und Bekannten in Pflegeheimen wieder unter Sicherheitsauflagen besuchen. Die BNN haben bei den Alten- und Pflegeheimen im nördlichen Landkreis nachgefragt, wie es denn aussieht. Dabei zeigt sich: Es gibt auch Kritik an den Regelungen.

So richtig überrascht von den Lockerungen war Thomas Richter, Leiter des Alten- und Pflegeheims „Rheinaue“ in Graben-Neudorf, nicht. „Wir haben bereits an Ostern kontrolliert Besuche zugelassen“, sagt er. Über ein Besucherfenster konnten sich beispielsweise Angehörige und Heimbewohner wieder sehen und austauschen.

Als das Wetter dann schlechter geworden sei, habe man einen Speiseraum in einen Besuchsraum umgewandelt – dort muss der Abstand eingehalten und ein Mund-Nasenschutz getragen werden. Man habe einen zeitlichen Besuchskorridor eingerichtet, so der Heimleiter. Sollten Heimbewohner nicht in der Lage sein, in den Besucherraum zu kommen, darf je eine Person den Heimbewohner in seinem Zimmer besuchen, erklärt Richter.

Emotionale Szenen

Ihren Namen will sie nicht nennen, nur eines: Sie ist Pflegefachkraft. Die Zeit mit den Beschränkungen ist für sie belastend, wie sie erzählt. „Man kann die Leute nicht einsperren“, sagt sie. Gerade demente Menschen hätten einen Drang, sich zu bewegen, und würden es nicht verstehen, wenn sie auf ihren Zimmern bleiben müssten.

Sie berichtet von bewegenden Szenen: einem Sohn zum Beispiel, der in Tränen ausbrach, weil er seine Mutter nicht besuchen konnte. Die einen seien mehr, andere weniger emotional, sagt sie abschließend. Aber das treffe auf alle Pflegeheime zu.

Trennendes Plexiglas

Check-in und eine Lounge, zu der die Besucher gebracht werden. Hört sich nach Flughafen an, ist aber im Haus Edelberg in Berghausen Realität. In der Einrichtung dürfen sich je ein Angehöriger und ein Heimbewohner in einem extra dafür eingerichteten Raum treffen. Zwischen ihnen: Plexiglas. Man muss sich telefonisch anmelden und 15 Minuten vor dem Termin da sein. Mittwochs und sonntags darf man die Heimbewohner besuchen, spontan aber nicht. Ein Mindestalter gibt es auch: 16 Jahre.

Heimleiter im Zwiespalt

Im Gespräch merkt man, dass Marek Piecha, Heimleiter des Altenpflegeheims Geschwister Nees, im Zwiespalt zwischen seiner Verantwortung und den Wünschen der Angehörigen ist. „Wir stehen wieder vor der Problematik, dass wir die Gesundheit der Leute aufs Spiel setzen“, sagt er. Die Gefahr bestehe weiterhin. Im Altenpflegeheim wurde ein Besucherzimmer eingerichtet und im Garten hat man einen Platz geschaffen, an dem man sich treffen kann.

Für die Besuche gibt es ein Zeitfenster und eine Voranmeldung ist Pflicht. Demnächst versuche man, den zeitlichen Besuchskorridor zu erweitern. Aber es gebe immer wieder Leute, die versuchen, sich zu umarmen. „Ich muss jeden, der Kontakt nach außen hatte, mit Quarantäne sanktionieren“, sagt Piecha. Und in Absprache mit der Demenzabteilung können sich Personen mit Leuten, die eine so genannte eingeschränkte Alltagskompetenz haben, treffen.

Kritik an Besuchsregelung

Die Art und Weise, wie er und seine Schwester die demente Mutter im Altenpflegeheim Geschwister Nees besuchen könnten, hält David N. (Name von der Redaktion geändert) für hochproblematisch. Von Vorwürfen gegenüber dem Pflegepersonal will er sich allerdings distanzieren. Ein 30-Minuten-Termin alle zwei bis drei Wochen, mit Maske, hinter einer Scheibe oder am Bauzaun, das sei alles, was seiner Familie wohl vorerst bleibe.

„Letztlich ist das ein Gefängnisbesuch“, sagt er. Die Vorgehensweise bringe nichts. „Meine Mutter erkennt uns nicht. Sie ist verunsichert.“ Nach 20 Minuten habe seine Schwester das Treffen sogar abgebrochen. „Das hat keinem von beiden gut getan.“ Normalerweise besuche seine Schwester die Mutter drei- bis viermal pro Woche. „Fast zwei Monate haben wir jetzt ohne Kontakt ausgeharrt. Telefonieren geht aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr“, so David N..

Letztlich ist das ein Gefängnisbesuch.
David N. (Name von der Redaktion geändert), Angehöriger

Für sie seien die Besuche jetzt unter den Auflagen gleichbedeutend damit, nicht hinzugehen. Inzwischen habe er Sorge, seiner Mutter erst wieder zu begegnen, wenn sie im Sterben liege. „Erst dann darf ich zu ihr.“ Die Heime seien schließlich an Vorgaben gebunden. Und die für die Gesundheit der dementen Frau notwendige Nähe könne das Personal aus Zeitmangel nicht leisten, ist sich David N. sicher.

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„Meine Mutter hat nicht mehr ewig Zeit“, kritisiert er. „Warum lässt man Angehörige nicht selbst entscheiden, ob sie das Risiko für Mutter oder Vater eingehen und entsprechend Isolation oder Kontakt möchten?“ Es gebe nicht einmal einen Hoffnungsschimmer, so David N. mit Blick auf die nächsten Wochen. „Nach Hause holen können wir sie nicht mehr. Dafür ist ihr Pflegegrad zu hoch.“

Verständnis für die Situation

Marek Piecha zeigt Verständnis für die Situation, aber „es gibt kein Schwarz und Weiß in der Medizin“. Er sieht sich in der Verantwortung für die Gesundheit von Heimbewohnern und Mitarbeitern. Man werde alles Mögliche tun, die Besucherzahlen behutsam zu steigern, sofern es die Situation zulasse.

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