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Die Chefin im Wald

Hilfreich, aber gefährlich: Wie es im Rheintal um die Buche steht

Die Rotbuche dominiert unsere Wälder und half den Menschen beim Überleben, aber jetzt kann sie für Waldspaziergänger zur Gefahr werden.

Die Rotbuche ist der verbreitetste deutsche Laubbaum. Ließe man sie, würde die Buche die Wälder noch stärker dominieren – wenn es nicht noch heißer wird.
Die Rotbuche ist der häufigste deutsche Laubbaum. Ließe man sie, würde die Buche die Wälder noch stärker dominieren – wenn es nicht noch heißer wird. Foto: Smileus/Adobe Stock

Sie half der Kriegsgeneration beim Überleben, produziert vielfach verwendbares Holz und ist deutlich deutscher als die Eiche, die seit Jahrhunderten als nationales Symbol herhalten muss. Die Buche, genauer: die Rotbuche, ist eindeutig die Chefin in unseren Wäldern. Das hängt mit ihrem immensen Durchsetzungsvermögen zusammen. Allerdings schwächelt sie seit ein paar Jahren – so sehr, dass sie für Spaziergänger zur Gefahr werden kann. Eine Bestandsaufnahme:

Toni Walter ist noch ein kleines Kind, als die Buche ihr viel Arbeit macht: Sie muss mit in den Karlsruher Weiherwald, um „Buchelen“, also Bucheckern zu sammeln. Mühsam ist es, erinnert sich die heute 84-Jährige. Es dauert viele Stunden, bis sie genug der dreikantigen, nur gut einen Zentimeter großen Nüsschen in der Tasche hat.

Doch das, was sie vom Waldboden zusammenklaubt, hilft der Familie in der Kriegszeit beim Überleben: In der Mühle in Altrüppurr wird aus den Bucheckern Öl gepresst – wertvolles Fett, für das man keine Lebensmittelkarten braucht. Ein bisschen nussig schmeckt es, weiß sie noch heute.

Ganze Scharen Menschen [...] schleppten Abends ihre Säckchen Buchenkerne nach Hause.
Wilhelm Löffler /Grünwettersbacher Förster vom 1927 bis 1963

Besonders lohnend war das Bucheckern-Sammeln gleich nach dem Krieg: „Im Jahr 1946, da die größte Lebensmittelknappheit noch herrschte, war im Gemeindewald eine Buchenvollernte wie seit Menschengedenken keine war“, schreibt der Wilhelm Löffler in seiner Chronik.

Er war von 1927 bis 1963 Förster im Grünwettersbacher Wald in Karlsruhe. „Es wurden schätzungsweise von den den Gemeindebewohnern weit mehr als 100 Zentner Bucheln gelesen. Ganze Scharen Menschen [...] schleppten abends ihre Säckchen Buchenkerne nach Hause“, so Löfflers Erinnerung. Die Intention auch hier: Die Versorgung mit Fett ohne Bezugsschein.

Was man von der Buche essen kann

Heute gilt Öl aus Bucheckern als Delikatesse zum Verfeinern von Salaten, Pilz- und Wildgerichten oder Pasta. Etwa 18 Euro bezahlt man bei Spezialanbietern für ein Fläschchen mit 100 Millilitern. Klar, die Ernte und Verarbeitung der Bucheckern ist aufwendig – etwa 25.000 der Nüsschen ergeben, gereinigt und getrocknet, einen Liter Öl. Das hat rund 40 Prozent Fett, viele ungesättigte Fettsäuren sowie Vitamine und Mineralstoffe in hoher Konzentration, weiß Heike Rösgen.

Wenn die Leiterin der Karlsruher Waldpädagogik mit Schulklassen unterwegs ist, wird schon einmal probiert, was der Wald hervorbringt. Die Blätter der Buche beispielsweise. Frisch und lecker schmecken die, auch als Salat, findet sie. Allerdings müsse man die „Blätter mit Bart“ nehmen, die jungen mit dem weißen Haarrand. Später werden die Buchenblätter dunkler und schmecken bitter, so Rösgen.

Bucheckern, aus denen Öl gepresst werden kann. Das Sammeln kann sehr mühsam sein.
Bucheckern, aus denen Öl gepresst werden kann. Das Sammeln kann sehr mühsam sein. Foto: vk446/Adobe Stock

Bucheckern zu pellen und zu knabbern ist ebenfalls möglich – aber in Maßen. Das enthaltene Fagin ist leicht giftig und verursacht beim Verzehr größerer Mengen zumindest Bauchschmerzen, erklärt Rösgen. Beim Rösten in der Pfanne (ohne Fettzugabe) wird das Fagin neutralisiert, danach können die Kerne Salate und Suppen verfeinern. Oder sie werden im heißen Wasser unschädlich gemacht – und anschließend geschrotet für Brot, Kekse und Müslis verwendet.

Warum es Jahre ohne Bucheckern gibt

Freilich ernährt die Buche heute vor allem viele Waldbewohner. „Das Eichhörnchen müsste eigentlich Buchhörnchen heißen“, sagt Heike Rösgen schmunzelnd. Zudem legen viele Singvögel mithilfe der Bucheckern ihre Fettvorräte für den Winter an. Mäuse und Wildschweine goutieren die Nüsschen ebenfalls, führt sie aus. Auch Hausschweine ernährten die Früchte der Buche über Jahrhunderte: Die Tiere wurden zur Mast in den Wald getrieben. Aber nur in sogenannten „Mastjahren“ wurden die Schweine hier satt, erklärt Bernd Struck.

Dann nämlich tragen die Bäume reichlich Frucht, wie dies offensichtlich auch 1946 der Fall war, so der Karlsruher Revierleiter. Er ist heute für den Grünwettersbacher Wald verantwortlich. In anderen Jahren stecken die Buchen ihre Energie vor allem in ihr Wachstum und bringen kaum Bucheckern hervor. War früher etwa jedes fünfte Jahr ein Mastjahr, ist es inzwischen schon jedes zweite Jahr so weit, berichtet Struck. „Das liegt am Klimawandel und hat mit den deutlich milderen Wintern zu tun“, erklärt er.

Die im Frühjahr wohlschmeckenden Buchenblätter mit ihren unreifen Fruchtkapseln.
Die im Frühjahr wohlschmeckenden Buchenblätter mit ihren unreifen Fruchtkapseln. Foto: Scisetti Alfio / Aobe Stock

Dass die Buche ihre Früchte unregelmäßig produziert, ist grundsätzlich eine clevere Taktik: „In den Mastjahren sind es so viele Früchte, dass nicht nur die Tiere satt werden, sondern auch noch genug Samen für die Naturverjüngung übrig bleiben“, erklärt der Forstmann. Das heißt, dass aus vielen Bucheckern neue Bäume sprießen, von denen einige noch im Wald der nächsten Generationen wachsen.

Die Buche wächst alles um sich herum tot.
Ulrich Kienzler, Karlsruher Forstamtsleiter

Wenn die Samen aufgehen und die Versorgung mit Wasser und Nährstoffen stimmt, ist die Buche vielen anderen Bäumen überlegen. „Sie wächst auch mit wenig Licht und überragt ihre Konkurrenz“, erklärt Struck. „So ist es in der Waldgesellschaft: Der Stärkere gewinnt – und die Buche ist gewalttätig.“

Junge Eichen etwa hätten neben jungen Buchen keine Chance, weil die ihnen das Licht nehmen. „Die Eichen vegetieren dann vor sich hin, und nach zwei Jahren ist Schluss“, erklärt er. „Die Buche wächst alles um sich herum tot“, formuliert es der Karlsruher Forstamtsleiter Ulrich Kienzler.

Bei allen Vorteilen hat die Buche seit ein paar Jahren aber ein Problem: Sie kommt mit der Trockenheit nicht zurecht. Drei „Trockensommer“ 2018 bis 2020 haben Spuren hinterlassen. „Wenn der Baum zu wenig Wasser bekommt, reicht der Druck in den Zellen nicht, um die oberen Regionen zu versorgen“, erklärt Kienzler.

Die Folge: Die Buchen trocknen von oben herunter. Anders als andere geschädigte Bäume fallen sie aber nicht beim nächsten Sturm um, sondern „reduzieren“ ihre Krone. Mächtige Äste brechen einfach ab, auch wenn der Baum auf den ersten Blick gar nicht so schlecht dasteht. „Das geht sehr schnell“, sagt Kienzler.

In den Wäldern um Karlsruhe haben vor allem Buchen Trockenschäden und drohten zu brechen. In der Waldstadt mussten daher 2019 viele Wege gesperrt werden.
In den Wäldern um Karlsruhe haben vor allem Buchen Trockenschäden und drohten zu brechen. In der Waldstadt mussten daher 2019 viele Wege gesperrt werden. Foto: Uli Deck/dpa

Dann droht den Waldbesuchern Gefahr von oben. So mussten etwa im Sommer 2019 viele Wege in der Karlsruher Waldstadt gesperrt werden, bis der Forst die größten Gefahrenquellen beseitigt hatte.

Bernd Struck ließ vorsorglich einen Wanderweg beim Karlsruher Bergwald verlegen, der an einer Gruppe alter, dicker Buchen vorbeiführte. Gerade rechtzeitig: Wenig später stürzten die ersten dicken Äste zu Boden. Viele kaputte Bäume wurden seitdem gefällt, und der eher feuchte Sommer 2021 brachte eine „Verschnaufpause“, so Kienzler.

Alles gerettet hat er aber nicht. „Es braucht ein, zwei Vegetationsperioden, bis sich die Feinwurzeln, mit denen der Baum Wasser und Nährstoffe aufnimmt, wieder nachbilden“, erklärt Kienzler. Ein Blick nach oben beim Waldspaziergang kann also weiterhin nicht schaden.

Wie die Buche genutzt wird

Die Nachfrage nach Buchenholz ist aktuell groß. Eben weil in den Vorjahren so viele geschädigte Bäume gefällt werden mussten, war das Angebot zuletzt eher knapp, berichtet Struck. 70 bis 150 Euro bringt der Festmeter Buchenholz, Tendenz: steigend.

Verwendet wird das Holz für Möbel, Fußböden, Furniere, Leimholz für die Bauindustrie, Paletten, Zellstoff, Papier..., zählt er auf. Außerdem werde Buchenholz wegen seines guten Brennwertes als Feuerholz geschätzt.

Ein älterer Buchenstamm mit ausgeprägtem Rotkern, der so für die Möbelproduktion nicht mehr geeignet ist
Ein älterer Buchenstamm mit ausgeprägtem Rotkern, der so für die Möbelproduktion nicht mehr geeignet ist Foto: Jürgen Vogt JRG - stock.adobe.com

„Hiebreif“ ist eine Buche, die gut 300 Jahre alt werden kann, mit 100 bis 120 Jahren. Danach bildet sich im Holz ein roter Kern aus, der seinen Wert für die Möbelproduktion mindert – weil der Farbverlauf sehr unregelmäßig ist. Dem rötlichen Ton des Holzes verdankt die Rotbuche auch ihren Namen, erklärt Struck.

Die Buche mit den roten Blättern ist die Blutbuche. Und die „Hainbuche“ mit einer sehr ähnlichen Blattform ist eng mit der Birke verwandt, erklärt Biologin Heike Rösgen. Anders als die Rotbuche, deren Bucheckern zu Boden fallen, verteile die Hainbuche ihre Samen mithilfe des Windes.

Wo die Buche den Abgang macht

Langfristig wird die Rotbuche zwar nicht komplett verschwinden, ihre führende Rolle in unseren Wäldern aber wohl einbüßen, so Kienzler. In ganz Baden-Württemberg ist die Buche mit 22 Prozent Anteil die Nummer zwei nach der Fichte (34 Prozent) und deutlich vor der Eiche (7,1 Prozent).

Würde der Mensch nicht eingreifen, gäbe es in Deutschland fast nur ausgedehnte Buchenwälder – eben weil die Buche sich so gut durchsetzen kann. Zumindest wenn die Versorgung stimmt, wie etwa in den Ausläufern des Schwarzwaldes mit ihren Lössböden, erklärt Struck.

Nicht gut zurecht kommt die Buche mit zu viel Wasser wie in den Auen oder aber auf den inzwischen zu trockenen Sandböden wie beispielsweise im Hardtwald. Die Forstliche Versuchsanstalt des Landes sieht die Buche zumindest in der Rheinebene an ihrer ökologischen Grenze. Wird es um anderthalb Grad bis zwei Grad wärmer, sei sie hier bis 2050 „abgängig“.

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