Skip to main content

Unkraut ist eine Frage der Sichtweise

Ein bisschen Wildnis im Garten ist erwünscht

Löwenzahn, Hahnenfuß, Klee und Co wird in vielen Gärten der Kampf angesagt. Immer häufiger aber wird vermeintliches Unkraut auch gehegt. Eine Bestandsaufnahme.

Löwenzahn
Löwenzahn gilt als Unkraut, wird aber auch gegessen. Wie also mit dem Gewächs umgehen? Foto: Peggy Boegner

Es wuchert wieder: Nach dem ergiebigen Regen der vergangenen beiden Wochen hat die Natur viel neues Grün hervorgebracht. Aber nicht nur Tomaten, Zucchini, Gurken und Co geht es nun sichtlich besser. Auch Hahnenfuß, Klee, Schachtelhalm, Wilde Möhre und massenweise weitere Gewächse, die zumindest argwöhnisch beäugt werden, machen sich nun wieder breit. Und manchem Hobbygärtner viel Stress beobachtet Rainer Schieler-Stenftenagel. Er schaut eher entspannt auf den rund 140 Quadratmeter großen Hausgarten in Lichtenau-Scherzheim, in dem viel Obst und Gemüse gedeihen. Was aber nicht heißt, dass auch alle Unkräuter fröhlich vor sich hin wachsen dürfen. „Die Quecke muss man in Schach halten, sonst übernimmt sie den Garten“, sagt er über das Kraut mit den aggressiven unterirdischen Kriechtrieben. Auch die Ackerwinde hindert er an ihrem Siegeszug. „Ihre ausgedehnten Ausläufer schlingen sich sonst um alles, was wächst“, erklärt er.                          

Unkraut konkurriert mit den gewünschten Pflanzen – und gewinnt

Was aber ist Unkraut überhaupt? Zunächst einmal eine Sache der Definition, sagt Rainer Bussmann. Der Biologe, der die Botanik-Abteilung des Staatlichen Naturkundemuseums in Karlsruhe leitet, ist Professor für Ethno-Botanik und beschäftigt sich mit der Nutzung von Pflanzen in den verschiedenen Kulturen. Ein Gewächs, das nicht nur nutzlos, sondern auch schlecht ist, stecke im deutschen Wort „Unkraut“ oder auch im spanischen „Maleza“, erklärt er. Was eigentlich für kein Kraut gelte.

Gemeint sind Pflanzen, die der Mensch dort, wo sie wachsen, gerade nicht haben will. Nicht unbedingt aus optischen Gründen: Das Unkraut konkurriert mit dem gewünschten Bewuchs um Licht und Nährstoffe – und gewinnt häufig. Pasquale Lüthin, der den Baden-Württembergischen Verband der Kleingärtner führt, vermeidet die Vokabel Unkraut, spricht von „Spontankräutern“ und „Beikräutern“. Oft sei die Beurteilung eine Frage der Sichtweise, findet er.  

Am Löwenzahn scheiden sich die Geister

Löwenzahn ist so ein Fall, eventuell auch ein Streitfall. Zeigen sich die ersten der gezackten Blättchen im Rasen, wird schleunigst die Gartenkralle aus dem Schuppen geholt und eingedreht, um auch die tiefgehende Pfahlwurzel zu erwischen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die Gartenpächterin, die die krautigen Gewächse bewusst anbaut – weil sie gerne Löwenzahnsalat isst, weiß Lüthin. Vor allem die frischen, jungen Blätter ergeben einen wohlschmeckenden Salat.

Der Nachbar ist womöglich weniger begeistert – die Samen des Löwenzahns machen an der Grundstücksgrenze nun mal nicht Halt. Im Gegenteil: Wenn sich die Samen ausbilden, entwickelt sich der Löwenzahn zur „Pusteblume“. Jedes einzelne Samenkorn hat dann sein eigenes „Schirmchen“, sodass es bei Wind kilometerweit durch die Luft gleiten kann. Und so zumindest den Nachbargarten erreicht. Was der Pächter übrigens tolerieren muss. „Das ist Natur“, sagt Lüthin.

Zu viel Spontanvegetation verstößt gegen das Bundeskleingartengesetz

Grundsätzlich hat sich in den Kleingarten-Anlagen die Einstellung zu Löwenzahn, Taubnessel und Co geändert – ihr Nutzen wird heute gesehen, sagt Lüthin. Blüten für den Salat, Blätter für Tee, Öl aus den Kernen: „Wir begrüßen das – aber nur, wenn die Pflanzen gezielt genutzt werden“. Ist ein Garten ungepflegt, sind Gemüsebeete flächig verunkrautet, steht der Rasen hoch und hat viel „Spontanvegetation“, ist das ein Verstoß gegen die Gartenordnung.

„Eine Kleingartenparzelle ist nach dem Bundeskleingartengesetz zum Bewirtschaften da, um Obst und Gemüse anzubauen“, erklärt Lüthin. Ein Drittel der Fläche sei für den Anbau, ein Drittel für Rasen und Gehölze und ein Drittel für Erholungszwecke, also Laube, Spielgeräte und ähnliches, vorgesehen. Ist der Garten zugewuchert, widerspricht das der Grundidee, Obst und Gemüse zu ziehen. Durch diese aber ist der Schutz durch das Bundeskleingartengesetz und die damit verbundene sehr geringe Pacht gerechtfertigt, legt er dar.

Naturnahes Gärtnern macht weitaus mehr Arbeit, als ein geschniegelter grüner Rasen.
Pasquale Lüthin
Vorsitzender Verband der Kleingärtner Baden-Württemberg

Auch nicht mehr gewollt aber ist der klassische Englische Rasen, sagt Lüthin. Positiv sehe es der Verband, wenn gezielt ein Stück Wildblumenwiese mit Spontankräutern für Insekten stehen bleiben, wenn mit Totholz ein Käferkeller angelegt wird und der Garten naturnah bewirtschaftet wird, auf Artenvielfalt und heimische Pflanze geachtet wird. „Das macht weitaus mehr Arbeit, als ein geschniegelter grüner Rasen“, sagt Lüthin. Auch die Blumenwiese etwa sollte am Rand gemäht sein, damit man sieht, dass das Stück Wildnis gewollt ist, führt er aus.

Kein Unkraut, sondern Wildpflanzen

„Ein Rasen ist eigentlich nur eine große tote Fläche“, finden Gartenbauingenieur Schieler-Stenftenagel. Heute hält er das Gras nur noch rund ums Haus kurz und lässt in der Wiese die Wildblumen gedeihen, von denen Bienen und viele weitere Insekten profitieren. Für den Artenschutz und aus ökologischen Aspekten sei dies sinnvoll. Zudem verbraucht die Wiese deutlich weniger Wasser, weil weniger verdunstet. „Letztlich gibt es gar kein Unkraut, das sind alles Wildpflanzen“, sagt er.

Letztlich gibt es gar kein Unkraut, das sind alles Wildpflanzen.
Rainer Schieler-Stenftenagel
Gartenbesitzer aus Lichtenau-Scherzheim

Dass sich die Sichtweise zum Thema Unkraut geändert hat, bestätigt auch das Karlsruher Gartenbauamt. „Früher wurde mehr auf ‚saubere Grünflächen‘ geachtet, heute steht man ‚unerwünschter spontaner Vegetation` viel toleranter gegenüber, da man um die Nützlichkeit der Wildblumen weiß und sie mehr achtet“, teilen die Verantwortlichen mit. Für die Arbeit an den Grünflächen im Stadtgebiet bedeutet das: In Schmuckbeeten wird alles, was nicht angepflanzt wurde, gezielt entfernt. Auf einer Wiese hingegen – die heute seltener gemäht wird - sind Wildblumen „sehr schön und erwünscht“.

Pasquale Lüthin
Pasquale Lüthin, Vorsitzender des Verbands der Kleingärtner Baden-Württemberg und des Bezirksverbands der Gartenfreunde Karlsruhe Foto: Lüthin

Karlsruher Gartenbauamt bekämpft Jakobskreuzkraut

Trotz aller Bekenntnisse zu den „Spontankräutern“: In Gärten und Grünflächen, am Wegesrand und in Gehwegritzen gedeihen auch Gewächse, die beim besten Willen keiner haben möchte. Selbst an den Wiesen müssen die Karlsruher Stadtgärtner gelegentlich jäten: Entfernen müsse man dort aktuell das giftige Jakobskreuzkraut. Das ist im öffentlichen Grün unerwünscht, genau wie die Ambrosia, die heftige Allergien auslösen kann, der Riesenbärenklau, der Hautentzündungen hervorruft und der Japanknöterich, der als invasive Art alles zuwuchert. „Das ist ein gewaltiges Unkraut“, findet Botaniker Bussmann.

„Jede Pflanze, die nicht mehr in ihrem originalen Ökosystem ist, kann Unkraut werden“, sagt er. Auch im Garten könnten gebietsfremde Pflanzen enorm wuchern und damit lästig werden. „Nicht klumpender Bambus ist eine ganz schlechte Idee“, warnt er. Weil die mächtigen Ausläufer auch die Nachbarn noch intensiv beschäftigen.

Jede Pflanze, die nicht mehr in ihrem originalen Ökosystem ist, kann Unkraut werden.
Rainer Bussmann
Kurator Botanik im Naturkundemuseum Karlsruhe

Giersch und Quecke erobern den Garten

Das gilt auch für Giersch, der zwar heimisch und essbar ist, sich aber wie die Quecke über seine Samen und über seine Wurzeln, sogenannte Rhizome, flächig verbreitet. Hat er den Garten erst einmal erobert, wird man ihn kaum wieder los. Nimmt der Giersch überhand, ist das für die Kleingärtner auch ein Zeichen mangelnder Pflege. Probleme macht in vielen Gärten auch Springkraut, so Lüthin. Lässt man das dominierende Kraut blühen und seine Samen ausbilden, breitet es sich rasant aus: Bei Wind oder leichte Berührung springt die Fruchtkapsel auf und schleudert ihre Samen mehrere Meter weit.

Im Karlsruher Stadtgebiet breitet sich die Mäusegerste aus

Warum aber verbreitet sich das, was kaum einer haben will, so schnell? Die Samen vieler Unkräuter überwintern im Boden und keimen, so bald genug Licht und Wärme das sind, sagt Bussmann. Zudem seien viele aus dem mediterranen Raum eingeschleppt und hitzebeständiger als viele heimischen Gewächse. Viele Gänsefüße und Amarante etwa mögen es warm und sind nun heftig zugange, sagt der Botaniker – und bekennt, dass er diese Gewächse ungern im Garten hätte. Ein Gewinner der aktuellen klimatischen Veränderungen sei auch die Mäusegerste, die etwa im Karlsruher Stadtgebiet „recht invasiv auftritt“, so das Gartenbauamt. „Die Samen tun Hunden in der Nase weh“, weiß Bussmann.

Rainer Bussmann
Rainer Bussmann, Kurator Botanik im Karlsruher Naturkundemuseum Foto: Jörg Donecker

Mit Handarbeit gegen Unkraut

Führt zur Frage, mit welchen Mitteln der wenig geschätzte Bewuchs bekämpft wird. „Nur durch Handarbeit“, stellt Rainer Schieler-Stenftenagel klar. Das Mulchen der Flächen und das Ausbringen etwa vom Rasenschnitt in den Beeten wirke zudem nicht nur gegen ungewünschten Bewuchs, sondern nutze auch dem Boden, den es abdeckt. „Nicht mit Herbiziden“, heißt es beim Gartenbauamt. Sondern: in Beetflächen durch Jäten und Hacken; auf Wegen mit speziellen Wildkräuterbürsten. Auch in den Kleingärten muss mit Fugenkratzer, Gartenkralle, Hacke und Unkrautstecher agiert werden – Spritzen sei ebenso tabu wie Salz und Co. „Das sind wir sehr hinterher“, stellt Lüthin klar.

Auch der Unkrautbrenner schadet mehr, als er hilft

Dass das nicht jeder Hobbygärtner so sieht, lässt das Arsenal an „Pflanzenschutzmitteln“ im Handel vermuten. „Wenn ich mein Unkraut dauernd spritze, ist die einzige Konsequenz, dass es irgendwann resistent wird“, gibt Bussmann zu bedenken. Auch das gängige Abfackeln mit dem „Unkrautbrenner“ ist kein Allheilmittel: „Amarant-Samen sind hitzeresistent und ziemlich hart – da passiert gar nichts“, so der Botaniker.

Dafür werden viele Bodenlebewesen Opfer der Hitze, weiß Lüthin. Der feuchte Wurzelstrang des Zielobjekts hingegen überlebe den – in Kleingarten verbotenen – Flammenangriff meistens. „Das einzige ist, sich ein bisschen mit dem Unkraut zu arrangieren und zu sehen, dass es nicht zu viel wird“, sagt Bussmann. Dieser Weg hat auch für die Gärtner Vorteile: Er macht, schätzt Reiner Schieler-Stenftenagel, gut 25 Prozent weniger Arbeit.  

Giersch
Übernimmt den Garten: Giersch bildet einen Teppich-ähnlichen Bodenbelag und verbreitet sich sowohl über seine Samen als auch über unterirdische Triebe, sogenannte Rhizome. Foto: Susanne Jock
Mäusegerste
Plagt Hunde: Mäusegerste verteilt ihre Samen mithilfe ihrer Grannen, die sich etwa im Fell von Tieren verhaken. Sie jucken, können Entzündungen auslösen und die Schleimhäute reizen. Foto: Rainer Bussmann
Drüsiges Springkraut
Katapultiert Samen: Die Fruchtkapsel des Drüsigen Springkrauts springt bei Berührung auf und schleudert die Samen bis zu sieben Meter weit. Foto: Knopp-Pictures/Adobe Stock
Weißer Gänsefuß
Raubt Nährstoff: Der Weiße Gänsefuß gilt als konkurrenzstarkes Unkraut, da er sich auch gegen Nutzpflanzen durchsetzt. Foto: Rainer Bussmann
Zurückgebogener Amarant
Überlebenskünstler: Zurückgebogener Amarant hat harte Samenkapseln, denen weder Frost noch Feuer etwas ausmacht. Foto: Rainer Bussmann
nach oben Zurück zum Seitenanfang