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Angespannte Versorgungslage

Medikamenten-Knappheit: Kunden im Raum Bruchsal fahren bis zu 20 Kilometer

Im Dezember war es am schlimmsten. Fiebersäfte und Schleimlöser für Kinder waren rar in den Apotheken. Die Lieferengpässe für Medikamente haben nur leicht nachgelassen.

Eine öffentliche Apotheken in der Innenstadt von Emden.
Von Apotheke zu Apotheke: Viele Kunden müssen sich durchfragen, um ein rezeptpflichtiges Medikament schnell zu erhalten. Noch immer gibt es Lieferengpässe. Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

Am Ende war die Bruchsaler Familie erleichtert. Sie bekam das vom Arzt verschriebene Antibiotikum für die an Scharlach erkrankten Kinder noch rechtzeitig. „Viele Apotheken in der Stadt haben wir abgeklappert, aber ohne Erfolg“, berichtet der Vater, dessen Name der Redaktion bekannt ist.

„Mir ist da bewusst geworden, was viele andere Familien wohl schon öfter durchgemacht haben. Wir waren zum ersten Mal mit so einem Engpass konfrontiert“.

Immerhin, nach einem Tag Suche war der Saft Infectocilin in einer bestimmten Dosis und Menge zu haben. Eher zufällig in einer Karlsdorfer Apotheke, ohne dass vom Arzt ein neues Rezept für einen anderen Stoff ausgestellt werden musste.

„Sie sind die fünfte Apotheke, bei der wir jetzt fragen“: Diesen Satz hört Ulla Bruch weiter regelmäßig von Kunden in ihrer Schloss-Apotheke in Bruchsal.

Bruchsaler Apothekerin: Es gibt 500 Produkte mit Engpässen

Bei Medikamenten für Erwachsene wie Kinder heißt es jetzt oft „von Pontius zu Pilatus“ zu laufen, so lautet eine alte Redewendung. Bestimmte Antibiotika sind immer noch rar. Wenngleich sich die Versorgungslage seit Dezember 2022 etwas verbessert habe, als Fiebersäfte und Schleimlöser sehr knapp waren, berichtet Ulla Bruch. Die aktuelle Liste umfasse 500 Produkte mit Liefer-Engpässen.

Die aktuelle Situation bringt zudem betriebswirtschaftliche Herausforderungen. „Wir wollen in dieser Situation unsere Kunden weiterhin möglichst gut versorgen und brauchen deshalb eine tiefere Lagerhaltung. Um Produkte lange vorzubestellen, muss ich mit mehr Geld in Vorlage gehen können“, berichtet Carola Oberst, die Eigentümerin der Markgrafen-Apotheke in Kraichtal. Einige zehntausend Euro braucht es dann zusätzlich im Alltag.

Außerdem muss von Münzesheim aus viel mehr Zeit in die Beschaffung investiert werden. Stundenlange Telefonate mit Firmen sind nötig, wenn man sich ein bestimmtes Polster an Medikamenten schaffen will, berichtet Oberst. Sie kennt Kunden, die 20 Kilometer fahren, um einen bestimmten Hustensaft endlich zu finden. Für die Versorgung helfen sich die Kraichtaler Apotheken in Unteröwisheim, Menzingen und eben Münzesheim untereinander.

Im Dezember war die Situation am schwierigsten

Und warum kommt es zur Knappheit, was sagt die Pharmazeutin? „Mal begründen es die Firmen einfach damit, dass es keine Glasflaschen oder Pappe für Verpackungen gibt“, hat Oberst festgestellt. Für die Unternehmen lohne es sich ihrer Ansicht nach nicht, die günstigen Generika herzustellen, also die Medikamente die jeder produzieren kann, wenn der Patentschutz abgelaufen ist. Stattdessen werfen sie ihre lukrativeren Original-Arzneien auf den Markt.

Deshalb gibt es politische Bestrebungen, dass die Hersteller für bestimmte Mittel wieder mehr Geld bekommen sollen, wenn die Lieferkette sicherer ist. Außerdem sollen Pillen und Säfte wieder verstärkt aus Europa und nicht mehr vorrangig aus Indien und China kommen.

Kunden wie Apotheken haben viel mehr Aufwand

Bei rund 100.000 gelisteten Medikamenten, so zählt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte offiziell, erscheinen 500 fehlende Produkte als geringe Quote. Aber die ist trotzdem ungewöhnlich hoch.

Die Techniker Krankenkasse (TK) schreibt in ihrem „Lieferklima-Report März 2023“: „Seit Herbst 2021 sind steigende Liefer-Engpassquoten zu beobachten. Im Dezember 2022 gab es so viele Produkt-Engpässe wie noch nie. Hieraus sind vereinzelt Wirkstoff-, jedoch keine Therapie-Engpässe entstanden.“ Allerdings wäre die Lage noch besser, wenn es höchstens Produkt-Engpässe gebe, so die Krankenkasse.

Was aber macht eine Apotheke, wenn Ibuflam für Kinder rar ist? Wenigstens immer wieder eine kleine Menge bestellen, einen Vorrat anlegen wenn es geht, sich mit der Apotheke zusammentun, die in gleichem Besitz ist wie die Schloss-Apotheke, auf andere Stärke oder Packungsgrößen ausweichen, so gut es geht.

Wie Ulla Bruch haben fast alle in der Branche derzeit die Erfahrung: „Es kostet deutlich mehr Zeit und Kraft, die Kunden zufrieden zu stellen und alles zu organisieren.“

Krankenkasse sagt voraus: Liefer-Engpässe lassen 2023 nach

Das Bundesinstitut für Arzneimittel unterscheidet zwischen kurzfristigen Problemen, wenn zwei Wochen ein Produkt nicht ausreichend lieferbar ist, und dem längeren, heikleren Versorgungs-Engpass von besonders wichtiger Medizin. Den gab es zuletzt beispielsweise bei einem Krebsmittel. Wenn so etwas passiert, reicht es nicht, den Mangel offiziell zu registrieren: Die staatlichen Stellen sind dann zum Handeln aufgefordert.

Immerhin rechnet die Techniker-Krankenkasse in den nächsten zehn Monaten mit besseren Lieferketten und damit tendenziell wieder weniger Aufwand bei den Patienten – und den Apotheken.

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