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Neue Aufgabe für Bahnhofshotel

Eleganter Ursprungsbau wird wieder zum Solitär

Eines der schönsten Bühler Gebäude aus dem 19. Jahrhundert erhält eine neue Aufgabe. Aus dem einstmals vornehmen Bahnhofshotel Wenk wird das neue Verwaltungs- und Schulungszentrum der Hilfsorganisation Pallium, die sterbende Menschen und deren Angehörige betreut. Diese Architekturkritik beschäftigt sich mit der Sanierung des Baudenkmals und dem neuen Erweiterungsbau.

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Das ehemalige Bahnhofshotel Wenk in Bühl erhielt einen schlichten kubischen Erweiterungsbau. Es wird in Zukunft als Verwaltungs- und Schulungszentrum der Hilfsorganisation Pallium dienen. Foto: Ulrich Coenen

Es war eine schwierige und mutige Entscheidung. Das Ergebnis gibt der Bauherrschaft und ihrem Architekten recht. Im Sommer 2018 wurde der rückwärtige Anbau des früheren Bahnhofshotels Wenk in Bühl abgerissen. Dieser Anbau des Acherner Baumeisters Josef Schnurr von 1902 erweiterte das vornehme Hotel des renommierten Baden-Badener Villenarchitekten Julius Knoderer (Knoderer und Haunz) aus dem Jahr 1869 zu einem Gebäude über T-förmigem Grundriss.

„Tor zur Welt”

Das Bahnhofshotel bildet den Abschluss der Eisenbahnstraße, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts als Villenstraße zwischen Altstadt und Bahnhof angelegt wurde. Jeder der modern sein wollte und das nötige Geld hatte, wollte am neuen „Tor zur Welt” wohnen. In städtebaulich prominenter Lage plante Knoderer das Hotel, das beim Publikum sehr erfolgreich war, als Eckhaus. Gut drei Jahrzehnte nach seiner Eröffnung war die Erweiterung notwendig, die dem eleganten Ursprungsbau des kurstädtischen Architekten nicht gerecht wurde. Der Anbau lag einen halben Meter tiefer als der Altbau, sein Satteldach schnitt ungeschickt in dessen Walmdach. Im Laufe der Jahrzehnte kamen entlang der Güterstraße weitere Anbauten hinzu, die Knoderers Solitär völlig verunklarten.

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Das ehemalige Bahnhofshotel Wenk vor der Sanierung. Foto: Ulrich Coenen

Entwurf von Volker Leppert

Die Initiative für den Abriss ging von Projektleiter Sepp Meister aus, der gemeinsam mit dem Bühler Architekten Volker Leppert die Verantwortung für das anspruchsvolle Projekt übernommen hat. Das baulich vernachlässigte und längst vom Bahnhofshotel zur Gaststätte „Alte Post” abgestiegene Kulturdenkmal wurde zum Verwaltungs- und Ausbildungszentrum für die Hilfsorganisation Pallium umgebaut, die schwerkranke und sterbende Menschen und deren Angehörige betreut. Dies war nur durch das finanzielle Engagement des Bühler Ehrenbürgers Ernst Kohlhage möglich.

Glasfuge trennt Alt- und Neubau

Durch den Abriss der späteren „Zutaten” wurde der Ursprungsbau frei gestellt und entfaltet wieder seine ursprüngliche Schönheit. Entlang der Güterstraße plante Leppert einen schlichten zweigeschossigen Kubus mit Putzfassade, der über eine breite Glasfuge, die Haupteingang und Aufzug aufnimmt, mit dem Denkmal verbunden ist. Nicht nur in der Höhenentwicklung ordnet sich der bewusst unspektakuläre Neubau, in dem Büroräume untergebracht sind, dem Bestand eindeutig unter. Im Gegensatz zum abgerissenen Anbau von 1902 befinden sich jetzt beide Baukörper auf einer Ebene, angesichts des Klientels von Pallium geradezu ein Muss.

Festerformen

Im Hinblick auf die Fassadengliederungen der Villen in der Eisenbahnstraße und auch des Bahnhofshotels wären im Neubau allerdings statt der großen querrechteckigen Fenster kleinformatigere hochrechteckige die angemessenere Lösung gewesen. Mit einem gläsernen Aufzug würde die Glasfuge außerdem noch transparenter wirken als mit der Stahlbetonlösung. Ohne Zweifel hat die Eckbebauung Eisenbahnstraße/Güterstraße durch Lepperts Entwurf aber deutlich gewonnen.

Fast nüchtern

Die Innenräume sind zweckmäßig, fast nüchtern, auch im Altbau. Das ist aber nicht dem Architekten anzukreiden. Während der Sanierung stellte sich heraus, dass vieles leider nicht zu erhalten war. Das gilt für Fenster, Türen, Holzfußböden und leider auch das Treppenhaus des 19. Jahrhunderts, das der Schreiner durchaus gelungen nachempfunden hat.

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Das Treppenhaus im denkmalgeschützten Altbau konnte nicht erhalten werden. Der Schreiner hat in Anlehnung an das historische Vorbild eine neue Treppe gebaut. Foto: Ulrich Coenen

Prägende Säulen aus Eisen

In der ehemaligen Gaststube ist der Seminarraum als ein Herzstück des Pallium-Zentrums entstanden. Erhalten blieben die beiden charakteristischen eisernen Säulen, prägend ist auch das große bodentiefe rundbogige Fenster an der Güterstraße, das bislang durch einen entstellenden Anbau verschlossen war.

Lochplatten für bessere Akustik

Ein Problem war die schwierige Akustik in der Gaststube, auf die der Architekt mit einer abgehängten Akustikdecke mit Lochplatten, hinter der sich die Klimatisierungstechnik verbirgt, reagierte. Weil der Boden wegen der Fußbodenheizung einen Kunststoffbelag in Holzoptik erhielt, ist vom zuletzt ein wenig morbiden Charme der Gaststube nichts mehr zu spüren. In Hinblick auf die spezielle Aufgabe des Seminarraums, in dem Menschen mit den gerne verdrängten Themen Krankheit und Tod konfrontiert werden, hat seine Ausstattung und Möblierung für Pallium einen hohen Stellenwert.

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Das bodentiefe Fenster des 19. Jahrhunderts wurde in der ehemaligen Gaststube wiederhergestellt. Die neue Lochdecke lässt vom früheren Charme dieses Raums allerdings wenig spüren. Foto: Ulrich Coenen

Schöne Heimat

Von der geglückten Sanierung profitiert die ganze Stadt. Das gilt im Zusammenhang mit der „Erhaltungssatzung westliche Eisenbahnstraße”, in der das alte Bahnhofshotel liegt, nicht nur aus städtebaulicher Sicht, sondern vor allem auch, weil eine wichtige Organisation wie Pallium eine schöne Heimat erhält.

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Entwurf des Architekten Josef Schnurr aus Achern für die Erweiterung des Bahnhofshotels Wenk aus dem Jahr 1902. Der Anbau wurde für den neuen Erweiterungsbau von Volker Leppert abgerissen. Foto: Stadtgeschichtliches Institut Bühl

Zur Baugeschichte des Bahnhofshotels Wenk

Die Entwürfe von Julius Knoderer sind im Stadtgeschichtlichen Institut Bühl erhalten. Knoderer, der in Karlsruhe Architektur studierte, ist ein namhafter Architekt, der alleine und mit seinem Partner in Baden-Baden wichtige Villen realisierte, unter anderem die Villa Hohenbaden (1868/69). Dass ein angesehener Baden-Badener Architekt beauftragt wurde, unterstreicht den Anspruch des Bauherrn. Dabei handelt es sich um den Brauereibesitzer Hermann Wenk.

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Entwurf von Julias Knoderer für das Bahnhofshotel Wenk aus dem Jahr 1869. Foto: Stadtgeschichtliches Institut Bühl

Als das Bahnhofshotel entstand, war die westliche Eisenbahnstraße mit Ausnahme der Villa Walchner und des Kontorhauses der Firma Massenbach noch unbebaut. Das Gebäude stand also frei in unmittelbarer Bahnhofsnähe. Diesen Ort hatte Hermann Wenk ganz bewusst gewählt. Er wollte von der modernen Form des industrialisierten Reisens profitieren. Damit orientiert sich Wenk an englischen Vorbildern. Im Mutterland der industriellen Revolution und der Eisenbahn waren Bahnhofshotels bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts üblich. Sie entstanden in großer Zahl am Rand oder außerhalb der Städte.

Die in England errichteten „Eisenbahnhotels“ unterschieden sich in ihren Dimensionen und der Ausstattung erheblich von den Gasthäusern des 18. Jahrhunderts. Zu den frühesten Großbauten dieser Art zählen drei Hotels in London: Das „Bridge House Hotel“ wurde 1835 von G. Allen errichtet, das „Victoria“ und das „Euston“ Hotel sind Werke von Ph. Hardwick.

Wegen der nur langsam fortschreitenden Industrialisierung lag der Hotelbau in den deutschen Großstädten weit hinter dem in Frankreich und England zurück. Die Kurstädte und vor allem auch Baden-Baden haben bei der Ausprägung der neuen Bauaufgabe in eutschland eine wichtige Rolle gespielt. Es ist also kein Zufall, dass in Bühl ein Baden-Badener Architekt beauftragt wurde. Einen eigenen Bautyp bildeten die Hotels in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht. Sie orientierten sich an der Wohnhausarchitektur.

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Das Bahnhofshotel Wenk in Bühl im frühen 20. Jahrhunderts. Foto: Stadtgeschichtliches Institut Bühl

Das Bahnhofshotel Wenk ist ein typisches Beispiel. Es folgt dem Typus der Villa, für die es in der Eisenbahnstraße mit den Villen Massenbach, Bielefeld und Walchner bereits Vorbilder gab. Die beiden Hauptfassaden des Eckhauses gegen die Eisenbahnstraße und die Güterstraße werden durch übergiebelte Mittelrisalite akzentuiert. Die vorgelagerten Terrassen für die Bewirtung werden durch eine Pergola begleitet. Dabei zeigt das Gebäude deutliche Anklänge an das sogenannte „Schweizerhaus“, das damals in Baden-Baden Mode war.

Dabei handelt es sich nicht um eine Übernahe eines schweizerischen Bautyps, vielmehr prägt Holz als Baustoff diese Häuser. Das Schweizerhaus ist allerdings keine volkstümliche Architektur, sondern hat einen akademischen Ursprung. Der bedeutende badische Bahnhofsarchitekt Friedrich Eisenlohr hat in Baden-Baden erheblich zu seiner Verbreitung beigetragen.

1892 wurde das Bühler Bahnhofshotel unter der Bauherrschaft von Franz Wenk, dem Sohn des Gründers, erstmals erweitert. Damals wurde das rückwärtige Treppenhaus umgestaltet. Für diese Aufgabe wurde mit Leonhard Treusch erneut ein Baden-Badener Architekt hinzugezogen. 1894 erhielt erneut Treusch den Auftrag, an die Westseite des Hotels gegen die heutige Güterstraße einen nicht erhaltenen eingeschossigen Pavillon über rechteckigem Grundriss anzufügen.

Weniger gelungen war die rückwärtige Erweiterung des Achenerner Architekten Josef Schnurr von 1902, die im Zuge der jetzigen Sanierung abgerissen wurde. Die geringere gestalterische Qualität mag auch damit zusammenhängen, dass die Bauherrschaft nun eine preiswerte Lösung suchte und dafür auf einen Provinzbaumeister zurückgriff.

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