Der Abriss der Gebäude auf dem Pfleiderer-Areal hat begonnen. In den kommenden Monaten soll das überwiegend mit Quecksilber belastete Gelände dekontaminiert werden - allerdings nicht vollständig. Der Zeitplan für die 4,5 Millionen Euro teure Sanierung steht. BNN-Redakteur Dominic Körner hat sich mit dem Altlasten-Experte Michael Reinhard auf dem Pfleiderer-Areal getroffen. Er erklärt, wie die Dekontaminierung abläuft und wie gefährlich das Gift für den Menschen ist.
Auf dem Pfleiderer-Areal will die Krause-Gruppe für 62 Millionen Euro Wohnungen, zwei Lebensmittelmärkte und Naherholungsflächen bauen. Das Projekt ist umstritten, da für den festgelegten Kostendeckel von 4,5 Millionen Euro mit hoher Wahrscheinlichkeit nur ein Teil der Chemikalien ausgehoben werden kann.
Aushubmenge bleibt ungewiss
Wie viel genau, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Untersuchungen haben ergeben, dass die Belastung im Bereich der früheren Industrie-Tauchbecken am höchsten ist. Dort sollen die Parkplätze für die geplanten Lebensmittelmärkte entstehen (siehe rote Fläche in der Grafik).
Auf dem Gelände stand von 1858 bis 1952 ein Imprägnierwerk, in dem unter anderem Bahnschwellen mit dem hochgiftigen Quecksilber-Chlorid behandelt wurden. Dabei kam es, vermutlich durch Unachtsamkeit und undichte Tauchbecken, zu Verunreinigungen des Erdreichs. Schlimmer noch: Bei Umbauarbeiten ab Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die belastete Erde auf dem Grundstück verteilt. Deshalb sind weite Teile des Areals verunreinigt. Nach dem Abriss der Bestandsgebäude, der am Mittwoch begonnen hat , soll das Gelände saniert werden.
Kernfläche soll weitgehend saniert werden
Die am stärksten kontaminierte Kernfläche unterhalb der künftigen Parkplätze soll für bis zu 4,5 Millionen Euro weitgehend saniert werden. Bleibt dabei Geld übrig, wird es nach städtischen Angaben zur Dekontaminierung weiterer Flächen auf dem Pfleiderer-Areal eingesetzt. Die Kostenschätzungen für eine Komplettsanierung belaufen sich auf bis zu 25 Millionen Euro.
Eine Sanierung ist rechtlich nicht vorgeschrieben.Altlasten-Experte Michael Reinhard über die Situation auf dem Pfleiderer-Areal
Derzeit sollen vier Brunnenanlagen auf dem Gelände verhindern, dass Gift in die Murg gelangt. Sie pumpen das belastete Grundwasser in eine Anlage am Nordende des Pfleiderer-Areals, wo es gereinigt und in den Fluss geleitet wird. „Eine Sanierung ist deshalb rechtlich nicht vorgeschrieben“, erklärte Michael Reinhard vom Fachbüro Arcadis bei einem Ortstermin mit den BNN. Sie sei vielmehr eine freiwillige Leistung der Investorengruppe Krause.
Experte sieht keine Gefahr auf dem Pfleiderer-Areal
Die Stadt hatte die Firma Arcadis damit beauftragt, das Gelände auf die Belastung mit Chemikalien zu untersuchen. Reinhard sieht darin kein Gesundheitsrisiko: „Es handelt sich nicht um flüchtige Stoffe. Eine Ausgasung ist also nicht möglich.“
Allein der direkte Kontakt mit dem Gift könne für Menschen gefährlich sein. Allerdings werde das Gelände im Zuge der Bauarbeiten um rund einen Meter angehoben. Eine Gefahr bestehe daher nicht, so Reinhard.
Kernbereich ist massiv belastet
Der Altlasten-Experte hält den Sanierungsplan für die Konzentrationsfläche nach eigenen Angaben für „seriös“. Er gehe davon aus, dass zumindest an dieser Stelle kein Gift im Boden zurückbleibt. Der Aushub am früheren Standort der Tauchbecken, der voraussichtlich drei bis vier Monate dauern wird, umfasst eine Fläche von rund 2.100 Quadratmetern. Die Belastung im Kernbereich ist massiv: „Sie beginnt schon nach wenigen Zentimetern und ist sehr tiefreichend“, sagt Reinhard.
Aushub wird überwacht
Die ausgehobene Erde wird mit Spezial-Transportern in eine Deponie gebracht. Auch davon gehe keine Gefahr für die Bevölkerung aus: „Die Erde bleibt während der Fahrt komplett unter Verschluss“, betont Reinhard. Ferner achteten Fachleute darauf, dass beim Aushub keine Staub-Emissionen entstünden.
Was aber, wenn das Budget für die Sanierung der Kernzone doch nicht ausreicht? „Dann müssten Stadt und Investor nachverhandeln“, sagt Reinhard. Eine Garantie, dass das Gift dort komplett ausgehoben wird, gibt es nicht.
Brunnen reinigen Grundwasser
Allerdings habe der Investor auch ein wirtschaftliches Interesse daran, die Chemikalien im Kernbereich zu entfernen. „Wenn diese Zone vollständig dekontaminiert wird, kann man die Pumpen in einigen Jahren abschalten“, sagt Reinhard. Bis dahin dürfte das Grundwasser vollständig von Giftresten bereinigt sein. Der Betrieb der Brunnen kostet den Investor Geld, das er künftig einsparen könnte.
Erdaustausch auch auf belasteten Grünflächen
Auch die geplanten Grünflächen einschließlich der Murg-Böschung würden auf eine Belastung geprüft. Werden dort Chemikalien gefunden, soll die Erde laut Reinhard bis auf eine Tiefe von mindestens 60 Zentimetern ausgetauscht werden.
Die Untersuchung von Arcadis hatte ergeben, dass die Belastung außerhalb des Kernbereichs vergleichsweise gering ist. Am niedrigsten ist sie nach Reinhards Einschätzung im Süden des Pfleiderer-Areals, wo Wohnungen für Betreutes Wohnen entstehen sollen. Im Bereich der künftigen Lebensmittelmärkte trat bei den Probebohrungen eine mittlere Belastung auf.
Emotionale Debatte
Die Debatte rund um das Pfleiderer-Areal ist auch für einen erfahrenen Experten wie Michael Reinhard ungewöhnlich. Er habe „selten derart intensive Diskussionen in einem Gemeinderat erlebt“. Sie seien aber im Hinblick auf die geplante Nutzung des Grundstücks verständlich. „Das Projekt ist ziemlich einzigartig“, so Reinhard: „Hier wird eine belastete Industriebrache einer hochwertigen Nutzung zugeführt.“ Der nächste Schritt dahin ist nun der Abriss der Bestandsgebäude.