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Ohne Papiere und ohne Hoffnung

Illegal in Baden-Württemberg: Betroffene sprechen über Angst vor Karlsruhe

Illegal in Baden-Württemberg. Das war schon vor Corona ein hartes Leben. Ohne Papiere, ohne Geld und ohne Hoffnung. Jetzt kommt noch die Angst vor der Krankheit dazu und die Furcht, das Virus zu den Freunden zu tragen, die einen seit Monaten verstecken und durchfüttern. Ein Bericht aus der Illegalität.

Etwas besseres als den Tod findest du überall: Daniel hält sich illegal in Deutschland auf. In Nigeria droht ihm der Tod. Doch was er in Baden-Württemberg gefunden hat, ist nicht wirklich ein gutes Leben.
Etwas besseres als den Tod findest du überall: Daniel hält sich illegal in Deutschland auf. In Nigeria droht ihm der Tod. Doch was er in Baden-Württemberg gefunden hat, ist nicht wirklich ein gutes Leben. Foto: Weisenburger
Illegal in Baden-Württemberg. Das war schon vor Corona ein hartes Leben. Ohne Papiere, ohne Geld und ohne Hoffnung. Jetzt kommt noch die Angst vor der Krankheit dazu und die Furcht, das Virus zu den Freunden zu tragen, die einen seit Monaten verstecken und durchfüttern.

Für Joy hat das Wort Karlsruhe einen beängstigten Beiklang. Hört sie den Namen der Stadt, dann denkt sie nicht an Baustellen, Hochtechnologie und einen blühenden Schlossgarten. Sie denkt auch nicht an das Bundesverfassungsgericht. Obwohl, an Menschenrechte denkt sie schon, und daran, dass sie auch gerne welche hätte.

Karlsruhe macht Illegalen Angst

Wenn Joy von Karlsruhe spricht, dann spricht sie von ihrem abgelehnten Asylantrag und von den Polizisten, die versuchen sie einzufangen und nach Nigeria abzuschieben.

Der Name der Stadt hat unter Geflüchteten auch deshalb einen dunklen Klang, weil das Karlsruher Regierungspräsidium für ganz Baden-Württemberg jene Fälle verwaltet, in denen die abgelehnten Asylbewerber letztlich abgeschoben werden.

Deshalb hat Joy Angst, wenn sie an Karlsruhe denkt. Doch Karlsruhe ist auch die einzige Hoffnung, die sie noch hat. Joy ist 42 Jahre alt und lebt seit über 18 Monaten in der Illegalität. Joy ist auch nicht ihr richtiger Name. Aber das bisschen Freude hat sie sich gegönnt, als sie sich für diesen Bericht einen Namen aussuchen durfte.

Sie haben gesagt, ich hätte ihn verhext
Joy, abgelehnte Asylbewerberin, über den Grund ihrer Flucht aus Nigeria

Ihr Leben ist geprägt von Angst. Angst vor der Pflegemutter, Angst vor dem Ehemann, Angst vor den Behörden. „Ich habe nichts gelernt, war nie auf einer Schule.“ In ihrer Heimat Nigeria wurde sie als Waisenkind von einer Pflegemutter aufgezogen und noch sehr jung an einen deutlich älteren Ehemann vermittelt.

„Er hat mich geschlagen und misshandelt.“ Doch als er starb, wurde ihr Leben nicht leichter. Sie wurde beschuldigt, ihren Peiniger ermordet zu haben. „Sie haben gesagt, ich hätte ihn verhext.“

Verfolgung als Hexe ist kein Asylgrund

Sie rettete ihr Leben durch ihre Flucht nach Deutschland. Doch die Verfolgung als Hexe reicht nicht für politisches Asyl.

Um überhaupt eine kleine Chance zu haben, in Deutschland bleiben zu dürfen, müsste Joy zurück nach Karlsruhe und einen zweiten Asylantrag stellen. „Ich bräuchte ein Gutachten, Hilfe des Flüchtlingsrates, vielleicht eine Therapie.“ Doch ihre Angst vor Polizei und Abschiebung ist zu groß.

Es war früher Morgen, 4 Uhr, als die Polizei kam. „Sie hatten sogar einen passenden Schlüssel zum Zimmer.“ Joy hatte sicherheitshalber in einem anderen Zimmer der Karlsruher Flüchtlingsunterkunft geschlafen.

Die Abschiebung misslang, Joy floh nach Göppingen. Der Stadt, in der die wenigen Menschen leben, denen sie vertrauen kann. Drei Familien, die sie aus ihrer Kirche kennt.

Unterschlupf bei anderen Flüchtlingen

Und diesen drei Familien fällt sie seither zur Last. „Ich helfe im Haushalt, ich schau nach den Kindern, aber meistens versuche ich mich unsichtbar zu machen.“ Anfangs hatte sie noch ein wenig Geld und konnte helfen, den Kühlschrank zu füllen. Längst liegt sie ihren Helfern vollständig auf der Tasche.

„Vor Corona war es schlimm. Jetzt ist es schlimmer.“ Ihre Freunde sind Flüchtlinge wie sie und leben beengt. Die Kinder und die Eltern sind den ganzen Tag zu Hause. Auch Joy traut sich nicht auf die Straße. „Ich kann doch nicht raus, mich anstecken und den Virus dann zu denen tragen, die mich aufgenommen haben.“

Ich habe keine Krankenversicherung. Ich habe nur Gott.
Joy, illegal im Untergrund

Sich unsichtbar zu machen, wird immer schwieriger. Sie weiß nicht, wie lange ihre Freunde sie noch ertragen. Manchmal geht sie spazieren. Doch zu der Angst vor der Polizei kommt nun auch noch die Angst vor der Krankheit. „Ich habe keine Krankenversicherung. Ich habe nur Gott.“

Daniel hat keine Angst mehr, seinen echten Namen zu nennen. Er wird auch nicht nervös, als der Bahnhofsvorsteher das Interview immer misstrauischer beäugt.

Hoffnung auf Termin in Karlsruhe

Daniel ist 64 Jahre alt. Auch seine Flucht begann in Nigeria und drohte in Karlsruhe zu enden. Dorthin hatte ihn das Landratsamt geladen, um gemeinsam mit der nigerianischen Botschaft bürokratische Probleme zu lösen.

Daniel hatte große Hoffnung, sein Asylverfahren könnte beschleunigt werden. Doch bei dem Termin ging es gar nicht um seine Chancen zu bleiben, sondern um die Vorbereitung seiner Abschiebung.

„Der Vertreter der Botschaft hat nur bestätigt, dass ich aus Nigeria bin. Warum ich von dort fliehen musste, hat niemanden interessiert.“

Ich hatte Sex mit einem anderen Mann
Daniel, abgelehnter Asylbewerber, über den Grund seiner Flucht aus Nigeria

In Nigeria hatte Daniel Sex mit einem anderen Mann. Das ist dort verboten und der Bruder des Partners, ein Offizier der nigerianischen Armee, versuchte Daniel umzubringen.

Als er die beiden in einem Hotelzimmer erwischte, hatte er sein Armeegewehr dabei und schoss auf Daniel. Der rettete sich durchs Fenster und floh.

Keine Chance auf Asyl

„Der Offizier hat geschworen, mich zu töten. Und ginge ich zurück, er würde ganz schnell davon erfahren. Ich hatte einen Gebrauchtwagenhandel in Nigeria. Der ist jetzt tot. Gehe ich zurück, bin ich es auch.“

Auch für Daniel gibt es keine Chance auf politisches Asyl in Deutschland. Doch eine Chance auf Leben in Nigeria hat er auch nicht. „Es geht mir hier nicht gut. Ich würde doch heim, wenn ich könnte.“

Dass sein Asylantrag abgelehnt wurde, erfuhr er von seinem Arbeitgeber. Er dürfe nicht mehr arbeiten, seine Arbeitserlaubnis sei erloschen.

Der Ablehnungsbescheid kam nie an

Erst da wurde ihm klar, dass die lang ersehnte Entscheidung über seinen Antrag ergangen war, ihn aber nie erreicht hat. Ob sein Anwalt das Schreiben der Behörde bekommen hat, kann er nicht sagen.

„Der hatte meine telefonischen Nachfragen satt und ließ sich verleugnen.“ Daniel hörte auf, ihn zu bezahlen.

Im Februar kam die Polizei, um ihn zu holen. „Aber ich war nicht zu Hause.“ Seither schlägt er sich bei Freunden durch. Wirklich zur Ruhe kommt er auf deren Wohnzimmercouch aber nicht.

Arbeitserlaubnis oder Falle?

„Ich kann seit Wochen nicht mehr schlafen.“ Die Tage schlägt er sich auf der Straße um die Ohren, mit schwarzer Haut in einer ausgestorben wirkenden schwäbischen Kleinstadt.

Das Landratsamt hat ihm eine neue Arbeitserlaubnis ausgestellt. Er könnte wieder arbeiten. Aber dann weiß auch die Polizei, wo man ihn finden kann. Er glaubt, die Behörde wolle ihn austricksen.

Und Corona? Ja, davor hat er Angst. Seine Gesichtsmaske trägt er vorbildlich. Seine Sorge ist kleiner, seit er diesen Brief von der Krankenkasse bekam.

Falsche Hoffnung

„Ich glaube, da steht drin, dass ich wieder versichert bin.“ Wie er darauf gekommen ist, kann er nicht sagen. Er kann kein Deutsch. Aber es stehen Zahlen in dem Brief, seine geleisteten Beiträge des vergangenen Jahres.

Eigentlich bestätigt die Krankenkasse nur, dass er diese Beträge von seiner Steuer absetzen könnte. Es ist ein automatisch erstelltes Schreiben, ausgestellt ohne jede Kenntnis seiner speziellen Situation.

Und ganz sicher kein Hinweis, dass Daniel krankenversichert ist.

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