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Traumatische Erfahrung

Am Ende ihrer Kraft: Bühler Hotelchefin schenkt Ehepaar aus dem Ahrtal eine Auszeit

Zwei Eheleute aus dem Ahrtal nehmen derzeit eine Auszeit in Bühl. Sie sind im Hotel am Froschbächel zu Gast. Warum der Aufenthalt für sie kostenlos ist.

drei Personen
Hotelchefin Renate Haag (rechts), die Flutopfer noch immer wochenweise gratis in ihrem Hause beherbergt, mit Jörg und Susanne Holler. Foto: Katrin König-Derki

Jörg und Susanne Holler aus Ahrweiler sind taffe Menschen. Sie haben diese Aura von Personen, die entschlossen vorangehen, Verantwortung übernehmen. Dieser erste Eindruck ist nur noch bedingt richtig: Seit der Flut im Ahrtal ist das Dasein der Hollers, derzeit im Hotel am Froschbächel zu Gast, ins Wanken geraten.

Nach der Katastrophe im Juli 2021 erst im Einsatz für jene, die es noch schlimmer traf als sie, zehrte der Kampf um eine neue Existenz das Ehepaar zusehends aus. Begleitet von Hotelchefin Renate Haag, die das kostenlose Erholungsangebot für Flutopfer noch immer aufrecht hält, sprechen die zwei über die Wendung, die ihr Leben nahm. Und die Perspektivlosigkeit.

Gründe dafür gibt es viele: der Bürokratismus bei den Behörden. Der Mangel an Handwerkern für den Wiederaufbau. Teils zahlungsunwillige Versicherungen. Ein Staat, der Versprechen nicht einlöste. Ein Umfeld, in dem wenig so ist, wie es einmal war, beginnend mit fehlenden Brücken und Radwegen.

Hohe Selbstmordrate in der Region nach der Flut

Dass unzählige Menschen die Region verließen, wundert die Hollers nicht, ebenso wenig die hohe Selbstmordrate. „Hab und Gut und Job sind mit der Flut davongeschwommen, nur der Kredit aufs eigene Haus nicht“, beschreibt Jörg Holler die Situation vieler. „Wenn man zudem Angehörige verloren hat, kann man sehr plötzlich sehr tief fallen.“ Sie selbst, sagt er, seien auch gefallen. Aber langsamer. „Wir wollten es lange nicht wahrhaben, hatten ja im Vergleich auch Glück: Wir hatten unseren gastronomischen Betrieb gerade verkauft, als die Flut kam; das Haus von Freunden, wo wir vorübergehend wohnten, wurde nicht zerstört; unsere Familie überlebte.“

Dennoch verloren die Hollers ihr Wirtschaftsgebäude mit ihrem dort eingelagerten materiellen Besitz. „Da steckte mein Leben drin“, sagt sie. „Ich war Gesangspädagogin und Komponistin. All meine Noten, weg. Heute kann ich nicht mehr singen.“ Hinzu kam, dass sie sich in der Flutnacht allein in dem Haus in Ahrweiler befand: Ihren Mann hatte das Hochwasser, im Auto unterwegs, weggerissen. Er konnte sich zwar retten, aber nicht zu ihr gelangen.

„Ich glaubte, ertrinken zu müssen“, sagt sie. „Mental habe ich mich damals von meinen Liebsten verabschiedet. Was danach geschah, weiß ich nicht mehr. Blackout.“ Nachdem sie sich lange ehrenamtlich an einem Kaffee-Stand für Flutopfer engagiert hatte, musste sie Ende 2022 erkennen, selbst Hilfe zu benötigen. Diagnostiziert wurden ihr eine posttraumatische Belastungsstörung und eine Depression. „Ich war früher stark“, sagt sie.

Existenzsichernder Tourismus im Ahrtal bleibt bis heute weitgehend aus

„Heute habe ich Angst vor Menschen und Plätzen. Ich kann mich nicht konzentrieren und nichts genießen, schlafe trotz Tabletten sehr schlecht, fühle mich kraftlos. Nach Monaten im Krankenhaus muss ich bald in die Reha. Dennoch tut die Woche hier im Schwarzwald gut. Ein bisschen loslassen, spazieren.“ Ihr Mann, der nach der Flut zunächst in einer Behelfsküche für die Betroffenen kochte, hat zwar beruflich wieder Fuß gefasst. Er spricht aber mit Blick auf die fehlende Normalität von einem „Nervenkrieg“.

Der Tourismus, für viele existenzsichernd, bleibe weitgehend aus. Auch sei der Alltag schwierig. Exemplarisch erzählt er von einem Häuschen, das er nach langer Suche als neue Bleibe erwarb und für das er Fenster bestellte. „Die kamen nach sechs Monaten. Es waren die falschen.“ Vor allem aber vermisst er seine Frau.

„Wir waren 25 Jahre lang immer zusammen, jetzt sehen wir uns kaum.“ Regen verursache bei ihnen nun Panik, sagt er. Und die Auszeit in Bühl habe ihnen eine ehemalige Mitarbeiterin vermittelt, weil sie erkannte, wie es um sie beide steht. Ihm laufen Tränen die Wangen hinunter. Jürgen Holler, ein Berg von einem Mann, wischt sie nicht weg.

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