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Über die Zukunft Mittelbadens

Regionaldirektor: "Wichtig bleibt, dass Bühl und Ottersweier nicht endgültig zusammenwachsen"

Der Regionalverband Mittlerer Oberrhein arbeitet an einem neuen Regionalplan, der die Basis für die kommunale Bauleitplanung bietet. Die Bürgermeister in Mittelbaden haben hohe Erwartungen. Die Regionalverband übt sich im Spagat zwischen den dem Wunsch nach Wachstum und dem Auftrag den Flächenfraß zu stoppen. Unser Redaktionsmitglied Ulrich Coenen sprach mit Verbandsdirektor Gerd Hager.

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Der Baden-Badener Stadtteil Varnhalt mit der denkmalgeschützten Pfarrkirche im Zentrum ist ein typisches Dorf im Rebland. Foto: Ulrich Coenen

Der Regionalverband Mittlerer Oberrhein arbeitet an einem neuen Regionalplan, der die Basis für die kommunale Bauleitplanung bietet. Die Bürgermeister in Mittelbaden haben hohe Erwartungen. Die Regionalverband übt sich im Spagat zwischen den dem Wunsch nach Wachstum und dem Auftrag den Flächenfraß zu stoppen. Unser Redaktionsmitglied Ulrich Coenen sprach mit Verbandsdirektor Gerd Hager über neue Stadtbahnhaltepunkte, Weltkulturerbe Baden-Baden, Schwarzwaldhochstraße und vieles mehr.

Die Verwaltungsgemeinschaft Bühl/Ottersweier fordert dringend Neubaugebiete. Bürgermeister Jürgen Pfetzer sagt, dass die Bauflächen „vorne und hinten nicht reichen“.

Hager: Das ist eine klassische Bürgermeister-Formulierung. Die Gemeinden haben gerne mehr Flächen in ihren Flächennutzungsplänen, weil sie dann mehr Handlungsspielraum gewinnen. Das kann jeder nachvollziehen, aber man muss auch sehen: Wir leben im Zeitalter des Flächensparens und können uns nicht unendlich in die Landschaft ausdehnen.

Das klingt nach Zoff.

Hager: Es wird einen Diskurs geben. Wir müssen darüber sprechen, was möglich und was sinnvoll ist. Das wird der Verband im Rahmen der Aufstellung des neuen Regionalplans tun. Viele Wünsche der Bürgermeister nach neuen Wohn- und Gewerbeflächen sind das tägliche Brot eines Verbandsdirektors. Solange es Regionalplanung gibt, wird es diese Diskussion geben. Die Region wird manche, aber nicht alle Träume erfüllen können.

Ein konkretes Beispiel: In Ottersweier will die Gemeinde auf einer Brachfläche neben den Sportanlagen Gewerbeflächen ausweisen. Der Regionalverband ist dagegen.

Hager: Es handelt sich um eine Grünzäsur. Grünzäsuren sind strategische Flächen, die das endgültige Zusammenwachsen der Siedlungskörper verhindern. Bühl und Ottersweier bewegen sich an dieser Stelle mehr und mehr aufeinander zu. Gerade im Bereich der Bahnlinie liegen die beiden Kommunen auf Sicht beieinander. Für den schleichenden Prozess der Zersiedlung besitzt eine Sportfläche eine andere Wertigkeit, als eine gewerbliche Fläche. Übrigens gibt es für das Ottersweierer Industriegebiet noch planerische Optionen, die nicht voll genutzt sind.

Wichtig bleibt, dass Bühl und Ottersweier nicht endgültig zusammenwachsen

Bühl ist eine erfolgreiche Industriestadt, mit weitgehend erschöpften Gewerbeflächen. Ist dieser wirtschaftliche Erfolg nicht bedeutender als einige Wiesen?

Hager: Wichtig bleibt, dass Bühl und Ottersweier nicht endgültig zusammenwachsen. Grünzäsuren sind zentral, wenn wir langfristig und nachhaltig denken. Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass diese Freiflächen viele Aufgaben erfüllen: angefangen beim tagtäglichen Spaziergang, aber auch das Kleinklima und die genetische Durchgängigkeit stehen auf dem Spiel. Das Verfahren für den neuen Regionalplan hat gerade erst begonnen. Ich kann noch nicht sagen, wie es ausgehen wird. Aber eine Sportanlage ist nun einmal etwas anderes als eine Industriefläche.

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Gerd Hager ist Verbandsdirektor des Regionalverbands Mittlerer Oberrhein. Gleichzeitig lehrt der Jurist als Honorarprofessor am Institut für Regionalwissenschaft des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Foto: Thomas Riedel

Es ist in der Tat bedrückend, wie klassische Tourismusstandorte verschwinden

Die leer stehenden Hotels an der Schwarzwaldhochstraße sind ein riesiges Problem. Das Kurhaus Hundseck ist traurige Ruine, das Hotel Sand steht leer und ist baulich in keinem guten Zustand. Bühlerhöhe als Flaggschiff der Schwarzwaldhochstraße ist seit zehn Jahren geschlossen.

Hager: Es ist in der Tat bedrückend, wie klassische Tourismusstandorte verschwinden. Alleine über raumplanerische Maßnahmen ist dieser Trend nicht zu stoppen. Wir brauchen Investoren und neue Ideen. Tourismuseinrichtungen an der Schwarzwaldhochstraße haben aufgegeben, weil sich die Gäste anderen Zielen zuwandten. Nötig ist ein modernes Profil, das sich am Markt durchsetzt. Ein einzelnes Hotel besitzt selten die Ausstrahlung, die eine ganze Raumschaft prägt. Es gibt Impulse durch den Nationalpark, den Naturpark und das EU-Förderprojekt Leader Plus. Alles zusammen gehört in ein neues Teilraumkonzept. Was ich ungern an der Schwarzwaldhochstraße sehen würde, ist mehr Rummel, Ballermann oder Gotscha-Anlagen. Diese passen nicht dort hin. Der Nordschwarzwald punktet mit seiner Naturnähe.

Wird der Regionalverband ein Teilraumkonzept für die Schwarzwaldhochstraße vorbereiten?

Hager: Nicht alleine. Der Impuls muss vor Ort entstehen. Notwendig sind ein überzeugendes Konzept, viel Akzeptanz, ein langer Atem und nicht zuletzt gutes Geld.

Gewonnen haben das Fahrrad und das Auto

Bietigheim, Rastatt, Bühl (für das Industriegebiet Bußmatten) und Ottersweier wünschen weitere Stadtbahnanschlüsse. Ist das sinnvoll?

Hager: Wir werden abwarten müssen, wohin die Nachfrage nach der Corona-Pandemie geht. Gewonnen haben das Fahrrad und das Auto. Ob das auf Dauer so bleibt, ob daraus längerfristige Trends entstehen, muss man abwarten. Planer wissen, dass die Siedlungsentwicklung in Verdichtungsräumen entlang der Stadtbahnlinie verläuft. Deshalb waren und bleiben Stadtbahnanschlüsse zentral. Allerdings braucht ÖPNV eine gewisse Dichte. Ohne sie gibt es keine Bedienungsqualität, keine kurzen Takte, keine Angebot in der Abendzeit und keine Auslastung.

Haben die vier Kandidaten also schlechte Chancen?

Hager: Wir müssen über Qualität und damit auch über Geld reden. Der Staat türmt derzeit gewaltige Schuldenberge auf. Dass die Kommunen mehr Stadtbahn wollen, ist keine Frage. Die Träger müssen abwägen, welche Anschlüsse am meisten bringen. Im ÖPNV wird es wegen der leeren Kassen einen härteren Verteilungskampf zwischen den Standorten geben. Neue Haltepunkte machen dort Sinn, wo viele Menschen leben und an den Verknüpfungspunkten der Verkehrsinfrastrukturen. Gerade junge Menschen sind multimodal unterwegs.

Wenn der Stern an der Jacke haftet, geht es erst richtig los

Wie sehen Sie die Bemühungen Baden-Badens für das Weltkulturerbe?

Hager: Baden-Baden ist eine Stadt, die nicht nur in die Region, sondern weit darüber hinaus strahlt. Eine solche Stadt verdient das Prädikat Weltkulturerbe. Die Erfahrung lehrt, dass wir uns auf einem weiten und steinigem Weg befinden. Für einen Regionalplaner stellen sich eine ganze Fülle von Fragen: Welche Impulse gehen davon aus? Wie geht man künftig mit dem städtebaulichen Erbe um? Was darf Neues hinzukommen? Sind in der Umgebung Windenergieanlagen erlaubt? Baden-Baden bewirbt sich mit anderen europäischen Kurstädten. Diese Gruppe ist nicht nur eine Beutegemeinschaft, sondern auch eine Entwicklungsgesellschaft. Wenn der Stern an der Jacke haftet, geht es erst richtig los.

Die Schwarzwaldgemeinden in Mittelbaden, in denen praktisch keine Industrie möglich ist, haben völlig andere Probleme als die boomenden Gemeinden im Rheintal. Kann der neue Regionalplan helfen?

Hager: Ein Patentrezept gibt es nicht. Der Oberrheingraben erlebt seit den 70er Jahren einen Dauerboom. Nahe dabei befinden sich Kommunen, die nicht uneingeschränkt an dieser wirtschaftlichen Blüte teilnehmen. Sie liegen in engen Täler, verkehrlich schwer erschließbar, bauen ist dort mühsam und teuer, größere Gewerbeansiedlungen kaum möglich.

Gibt es für die Schwarzwaldgemeinden keine Hoffnung?

Hager: Das ist zu schwarz gemalt. Wohnen im Oberrheintal bleibt teuer, die Schwarzwaldgemeinden bieten erschwingliche, naturnahe Wohnqualität. Übrigens verlieren diese Gemeinden heute keine Einwohner mehr. In anderen Gegenden Deutschlands sieht das ganz anders aus. Bei uns gilt schon als schwierig, wenn eine Gemeinde nicht mehr wächst. Viele fragen: müssen alle Gemeinden in Mittelbaden immer wachsen? Meine Antwort lautet: nicht zwingend. Aber eine gute Grundversorgung sicherstellen, mit Kindergärten, Schulen, Lebensmittelhandel, Ärzten, ÖPNV-Anschluss, das sollte immer gelingen.

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