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„Das ist mehr als nur Armut“

Nach Tod einer Obdachlosen in Gaggenau sucht Pfarrer nach Angehörigen

Der Tod einer stadtbekannten Obdachlosen hat in Gaggenau Bestürzung ausgelöst. Die Suche nach Angehörigen führt Pfarrer Tobias Merz in die Slowakei.

Menschen haben am Bahnhof in Gaggenau Kerzen und Blumen hingestellt.
Menschen haben am Bahnhof in Gaggenau Kerzen und Blumen hingestellt. Pfarrer Merz hatte ähnliche Fotos auf seiner Slowakei-Reise dabei. Foto: Thomas Senger

Der Tod der einer stadtbekannten wohnungslosen Frau am Gaggenauer Bahnhof vor einigen Wochen hat eine Welle der Anteilnahme ausgelöst. Auch Pfarrer Tobias Merz kannte die verstorbene Julia persönlich. Er machte sich auf die Suche nach ihren Verwandten, um ihnen mitzuteilen, dass Julia gestorben ist. Außerdem wollte er eine Bestattung der Frau ohne Grabmal und Namen verhindern.

„Wir haben alle mitbekommen, dass Julia gestorben ist“, sagt Pfarrer Tobias Merz. Sein erster Schritt: die Kontaktaufnahme mit der Stadt Gaggenau. „Es muss geprüft werden, ob es dort Verwandte gibt“, berichtet Merz. „Man hat aber niemanden gefunden.“ Damit gibt er sich aber nicht zufrieden.

Wohnungslose stammte aus der Slowakei und hatte fünf Kinder

Anhand der Sterbefallmeldung wusste er bereits, dass die Verstorbene aus der Slowakei stammte. Sie wurde 64 Jahre alt, war geschieden und hatte fünf Kinder. „Ich wollte ihnen sagen, dass ihre Mutter gestorben ist“, schildert Merz sein Anliegen. In den Unterlagen stand auch ein Ort: Rimaska. Merz gibt den Namen in eine Websuche ein und stellt fest: Den gibt es so nicht.

„Vielleicht ein Übertragungsfehler“, vermutet der Pfarrer. Was er stattdessen findet, ist eine Stadt mit einer ähnlichen Schreibweise, nämlich Rimavska. „Dann habe ich bei der Caritas in der Slowakei angerufen“, sagt der Pfarrer.

Die Wohlfahrtsorganisation ist international tätig. Direkt vor Ort gibt es keine Niederlassung der Caritas, dafür aber einige Kilometer entfernt in Poprad. Merz hat Glück, eine der Mitarbeiterinnen dort spricht sehr gut deutsch. „Sie hat mir die Handynummer vom örtlichen Pfarrer gegeben. Der kannte Julia zwar nicht, hat mir aber das Rathaus gezeigt“, berichtet Merz von seinem Slowakei-Besuch.

Dort wendet er sich schließlich an das Tourismusbüro – und hat wieder Glück. Eine der Angestellten spricht Englisch. Sie kann ihm weiterhelfen und findet sogar die Adresse von einer der Töchter heraus. Dort fährt Merz hin und findet ein baufälliges Haus in einer kleinen Siedlung vor. „Es war total verfallen. Nur das Erdgeschoss ist bewohnbar.“

Gaggenauer Pfarrer überbringt in der Slowakei die traurige Todesnachricht

Das Gebäude gehört zu einer Sinti-und-Roma-Siedlung. Ein großer Teil der Roma in der Slowakei lebt in solchen gettoähnlichen Siedlungen. Im Haus wohnt eine von Julias Töchtern. Sie ist schätzungsweise 40 Jahre alt. „Ich habe ihr Fotos von ihrer Mutter und von den Blumen und Kerzen am Bahnhof gezeigt“, erzählt Merz. „Ich war froh, jemanden angetroffen zu haben.“ Danach sind sie gemeinsam zum Vater gefahren, um ihm die traurige Nachricht zu überbringen.

Roma und Sinti machen rund zehn Prozent der slowakischen Bevölkerung aus. Sie leben oft in bitterer Armut in eigenen Slums – so wie mutmaßlich auch Julia damals – und werden von anderen Slowaken ausgegrenzt. „Das ist mehr als nur Armut“, schildert Merz seinen Eindruck.

Ein Handy besitze die Tochter nicht, nimmt der Pfarrer an. Der Kontakt zur Familie sei vermutlich schon vor vielen Jahren abgebrochen. Aufgrund der sprachlichen Barriere habe er jedoch nicht viel über die familiären Verhältnisse herausfinden können.

Tod einer Obdachlosen: Anonyme Bestattung sollte verhindert werden

„Julia hat schon seit vielen Jahren in Gaggenau gelebt“, weiß Merz. Sie hielt sich zuletzt meistens am Bahnhof auf. „Eine Zeit lang kam sie im Pfarrhaus unter“, sagt der Pfarrer. Davor wohnte sie nach Informationen der Redaktion einige Zeit in Selbach und später in der Großen Austraße in Gaggenau.

Menschen ohne festen Wohnsitz werden normalerweise anonym bestattet. Dabei wird an der Beisetzungsstelle auf jeglichen Namenshinweis verzichtet. Das wollte Merz nicht, der die Frau persönlich kannte: „Wir wollten eine anonyme Bestattung verhindern.“ Die Tafel wurde von der katholischen Kirchengemeinde bezahlt. Julia ist auf dem Gaggenauer Waldfriedhof begraben. „Zehn Leute waren bei der Bestattung.“

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