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Einrichtung mit Vorbildcharakter

Kehler Praxis für Suchtmedizin feiert 10-jähriges Bestehen

Nicht unumstritten war die Praxis für Suchtmedizin in Kehl anfangs. Daran erinnerte der damalige Oberbürgermeister der Stadt bei den Feierlichkeiten am Mittwoch. Heute gibt es für die Praxis viel Lob.

Gruppenbild
Lob für die Praxis: Oberbürgermeister Wolfram Britz, Anil Batra, Oliver Kaiser und Hannes Krüger (von links) Foto: Hubert Röderer

Im September 2013 wurde in der Kehler Bankstraße, mitten in einem Wohn- und Schulgebiet, die Praxis für Suchtmedizin eröffnet, seinerzeit nach Offenburg die zweite ihrer Art im Ortenaukreis.

Mit einem kleinen Festakt im Freien wurde an diesem Mittwoch an die Hürden erinnert, die vor zehn Jahren aus dem Weg geräumt werden mussten, auf dass die Drogenabhängigen aus Kehl und dem Hanauerland nicht mehr nach Offenburg fahren mussten, um Ersatzdrogen wie Methadon oder Subutex zu bekommen.

Suchtpraxis in Kehl erfährt großes Interesse auch aus Frankreich

Sogar aus der französischen Hauptstadt waren damals Experten angereist, um sich ein Bild von dem innovativen, grenzüberschreitenden Projekt zu machen: Vorbild für das künftige Engagement war die Arbeit des Vereins Ithaque in Straßburg, der mit Beginn des neuen Millenniums die „Microstructure“ entwickelt hat, das nun erstmals auch auf deutschem Boden zum Zug kommen sollte: Ein Arzt, ein Psychiater und ein Sozialarbeiter kümmern sich gleichzeitig um den Patienten, der Kampf gegen die Drogensucht als gebündelte medizinisch-psychologisch-soziale Betreuung.

Männer der ersten Stunde, und daran hat Hannes Krüger, seit 2021 Leiter der Jugend- und Drogenberatungsstelle Kehl und auch der Praxis für Suchtmedizin, erinnert, seien vor allem Patrick Gassmann gewesen, erfahrener Arzt aus dem Elsass, außerdem dessen Kehler Kollegen Frieder Baldner und Claus-Dieter Seufert, früherer Ärztlicher Direktor des Kehler Krankenhauses.

Letzterer, bereits 76-jährig, freute sich bei der Eröffnung, drogenabhängige Patienten nun intensiver betreuen zu können. Krüger nannte die Eröffnung 2013 rückblickend eine ausgezeichnete „Chance für Opiatabhängige“, den Sucht-Kreislauf zu durchbrechen, die Arbeits- und Erziehungsfähigkeit zu erhalten oder wieder zu erreichen.

Kehler Bürger hatten anfangs Bedenken

Die Substitution senke erheblich die Sterblichkeitsrate, verhindere Neuansteckungen mit Hepatitis C und HIV, helfe beim Ausstieg aus der Schmuddelzone und, erst recht, aus der Kriminalität. Sie gelte heute „als die wesentliche Behandlung, um Drogenabhängigen zu helfen, die nicht oder nicht in der Lage oder bereit sind, sich einer Abstinenztherapie zu unterziehen“.

So sah es damals auch der amtierende Kehler Oberbürgermeister Günther Petry, der einräumte, „dass dieses Projekt nicht unumstritten war“. Nicht eben wenige Bürgerinnen und Bürger hätten Ängste entwickelt, weil sie mit der Problematik nicht vertraut waren: „Sucht ist aber keine Charakterschwäche, sondern eine Erkrankung, deshalb ist es sehr gut, dass wir diese Praxis eröffnen können.“

Wir sind seitens der Stadt stolz auf diese Einrichtung.
Wolfram Britz
Oberbürgermeister Kehl

Der heutige OB Wolfram Britz übte den Schulterschluss mit seinem Vorvorgänger: „Wir sind seitens der Stadt stolz auf diese Einrichtung.“ Seien die Patientenzahlen anfangs „vage“ gewesen, so hätten sie sich stabil bei rund 120 eingependelt.

Wolfgang Hirrle, stellvertretender Leiter des Amtes für Soziale und psychologische Dienste beim Landratsamt, sprach von einer „erfolgreichen Dekade“, an der viele Organisationen und Einrichtungen ihren Anteil hatten – und auch in Zukunft haben dürften.

Oliver Kaiser vom BWLV, dem Landesverband für Prävention und Rehabilitation, klagte, dass es im Land immer schwieriger werde, genügend Ärzte für die Substitutionsarbeit zu gewinnen: „In manchen Landkreisen ist diese leider völlig zusammengebrochen.“ Bei vielen Patienten drohten nun „kritische Rückfälle und das Abrutschen in die Kriminalität“. Kehl sei ein absolutes Best-Practice-Beispiel, ein Modell mit Vorbildcharakter.

Die Substitution sichert das Überleben.
 Anil Batra
Professor der Uniklinik Tübingen

Viel Lob für die konzertierte Aktion in Kehl gab es auch von Anil Batra, Professor in der Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung der Uniklinik Tübingen, der die Kehler Einrichtung anfangs fachlich stark begleitet hat. Mögen die Zuschüsse und Spenden Dritter weiterhin angemessen fließen, „denn die Substitution sichert das Überleben“.

Er habe den Eindruck, „dass diese Praxis akzeptiert ist“. Anbei verhehlte Batra nicht, dass Tübingen von Kehl „abgekupfert“ habe: Mit dem Suchtzentrum West sei eine ähnliche Einrichtung geschaffen worden wie das „Kompetenzzentrum in Kehl“.

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