Skip to main content

Unwort des Jahres

„Remigration“ polarisiert: Was die Öffentlichkeit in der Ortenau vom Unwort hält

Es polarisiert. Das Unwort des Jahres ist „Remigration“. In Achern und den umliegenden Gemeinden gibt es ganz unterschiedliche Meinungen.

ILLUSTRATION - Das Wort "Unwort" ist am Montag (18.01.2010) im Duden mit einem Textmarker orange hervorgehoben. Am Dienstag (19.01.2010) wird in Frankfurt am Main das Unwort des Jahres 2009 bekanntgegeben. Foto: Marc Müller dpa/lhe ++ +++ dpa-Bildfunk +++
Das Unwort des Jahres ist „Remigration“. Es wird seit 1991 gekürt und anschließend bekannt gegeben. Foto: Marc Müller picture alliance / dpa

„Remigration“ ist offiziell das Unwort des Jahres. Ein Begriff von Rechtsaußen, der polarisiert. Unsere Redaktion hat aus diesem Anlass Persönlichkeiten des öffentlichen, politischen oder gesellschaftlichen Lebens aus Achern und Umgebung über ihre Gedanken und Assoziationen zum Begriff „Remigration“ befragt.

Die Reaktionen sind unterschiedlich. Sie betreffen zum einen die Bereitschaft, überhaupt ein Statement abzugeben, zum anderen die Bewertung des Begriffs und seiner Wahl zum Unwort des Jahres.

Kein Kommentar aus dem Rathaus

Der Oberbürgermeister von Achern, Manuel Tabor (CDU), ließ wissen: „Ich halte die jährliche Debatte um das Unwort des Jahres für überzogen und beteilige mich daher auch nicht daran. Die Auswahl erscheint mir recht willkürlich und das Gremium ist – soweit ich informiert bin – auch nicht institutionell oder demokratisch legitimiert, was eine derartige gesellschaftliche Wertung für mich allerdings voraussetzt.“ Aus dem Bürgermeisteramt Sasbach gab es den Hinweis, man habe dafür keine Zeit.

Anders die Reaktion des Bürgermeisters von Renchen, Bernd Siefermann (CDU). Seiner Meinung nach suggeriere das Wort „Remigration“, dass Menschen in ihren Heimatländern wieder integriert würden.

In Wirklichkeit sei aber damit die undifferenzierte Abschiebung gemeint; die aber sei mit unserem Asylrecht nicht vereinbar. „Die missbräuchliche und verharmlosende Verwendung des Begriffs Remigration ist für mich Beispiel für eine gefährliche, die Demokratie gefährdende Tendenz. Daher ist es zu Recht Unwort des Jahres“.

Dieser Meinung ist auch die Vorsitzende des Vereins „Achern Miteinander“, Monika Huber: „Durch meine ehrenamtliche Arbeit für Achern Miteinander und auch im privaten Umfeld habe ich Menschen mit Migrationshintergrund kennengelernt, die hier schon lange leben oder geboren sind, die hier arbeiten und sich integriert haben, die sich in die Gesellschaft einbringen und die häufig auch deutsche StaatsbürgerInnen sind“, sagt Huber.

„Ich schätze diese Menschen sehr, sie sind Freunde geworden und ich empfinde sie als Bereicherung. Und nun werden sie diskriminiert und diffamiert und sollen abgeschoben werden! Das verstößt gegen die Menschenwürde und gegen die Prinzipien der Demokratie. Es ist bestürzend und empört mich, dass das in Deutschland von bestimmten politischen Akteuren wieder geplant wird und möglich sein könnte!“ 

Katholischer Pfarrer aus Achern weist aufs Grundgesetz hin

Der Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde Achern, Christoph Scherer, weist auf das Grundgesetz und das darin verankerte Asylrecht hin. Das sei ein wohlüberlegtes Element des Grundgesetzes, das deutschen Bürgern Verantwortung für Menschen auf der Flucht gibt. Daher widerspreche die Idee, die hinter dem Begriff „Remigration“ stehe, der Rechtsstaatlichkeit.

Das Wort spiegele vor, ein neutraler, technischer Begriff zu sein, es klinge harmlos und verschleiere, dass es um menschliche Schicksale gehe. Es gehöre zur rechtsradikalen Ideologie zusammen mit dem Antisemitismus, der leider immer noch überall kursiere.

Auf die Frage nach einem persönlichen Unwort gehen alle Antworten in die gleiche Richtung: Abgelehnt werden Begriffe, die für Abwertung, Diskriminierung und Egoismus stehen. Klemens Merkle, stellvertretender Vorsitzender des SV Oberachern, zum Beispiel nennt „Gewinnoptimierung, weil viele den Hals nicht voll genug bekommen“, Monika Huber entscheidet sich für „Gutmensch, weil mich das persönlich trifft“.

Wörter des Jahres: Mut, Zuversicht und Liebe

Die meisten der Interviewten stellen auch ihren persönlichen Gegenentwurf vor: Gefragt, was für sie das „Wort des Jahres“ sei, nennen sie Mut und Zuversicht. Pfarrer Scherer weist auf das neue Leitwort der katholischen Seelsorgeeinheit hin: „Gott, bei dir ist die Quelle des Lebens“, aus der Kraft geschöpft werden könne, wenn die Umstände Widerstand und Zivilcourage erforderten.

Bürgermeister Siefermann zitiert aus dem Neujahrsempfang der evangelischen Kirchengemeinde Renchen das biblische Jahresmotto von Pfarrer Andreas Moll: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“, und leitet daraus ab: „Liebe beinhaltet Werte wie die Toleranz für andere, Verständnis und Geduld sowie verzeihen können. Diese Gedanken haben mich sehr beeindruckt und sollten uns alle das Jahr hindurch begleiten. Die Welt können wir so, also jeder von uns, ein bisschen friedlicher machen.“

Seit 1991 wird immer Anfang Januar das „Unwort des Jahres“ gewählt. Im Laufe eines Jahres kann jeder Bürger Vorschläge per Mail bei der Redaktion „Unwort des Jahres“ einreichen. Gesucht werden Wörter, deren Inhalt gegen die grundlegenden Werte der Gesellschaft verstößt, gegen die Menschenwürde oder gegen Prinzipien der Demokratie.

Eine Jury aus vier Sprachwissenschaftlern und einer Journalistin wählt aus den Begriffen, die jeweils zehn oder mehr Nennungen haben, dann das sogenannte Unwort aus.

Bekanntgabe des Begriffs fällt mit geheimem Treffen Rechtsradikaler zusammen

Die Bekanntgabe des ausgewählten Wortes fiel zeitlich mit der Aufdeckung des Geheimtreffens von AfD- und CDU-Politikern, Unternehmern und Rechtsradikalen in einem Hotel in Potsdam zusammen. Der frühere Kopf der rechtsextremistischen Identitären Bewegung Österreichs, Martin Sellner, sprach bei dem Treffen im November nach eigenen Angaben über ein Konzept zur sogenannten Remigration.

Gemeint ist damit, dass Menschen ausländischer Herkunft – auch unter Zwang – in ihr Herkunftsland zurückkehren müssen. Bundesweit demonstrieren – in Karlsruhe waren es am vergangenen Samstag mehr als 20.000 Menschen – seither für Demokratie und Menschenrechte, gegen Ausgrenzung und Rassismus.

nach oben Zurück zum Seitenanfang