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Bürger und Soldaten

175 Jahre Badische Revolution: Rastatter Wirtshäuser waren Treffpunkt zweier Lebenswelten

Die Wirtshäuser haben in der Badischen Revolutionszeit vor 175 Jahren eine besondere Bedeutung besessen. Diese beleuchtet eine Führung durch Rastatt.

Führung durch Rastatt. Blick auf die dortige Fußgängerzone.
Nicht am Rand der Stadt, sondern mittendrin zettelten die Rastatter Bürger 1848/49 die Badische Revolution an, erläutert Eric Schütt (Zweiter von rechts) bei seiner Führung entlang der Wirtshäuser. Foto: Martina Holbein

60 Wirtshäuser und 60 Brauereien, so präsentierte sich die Festungsstadt vor 175 Jahren den Soldaten aus dem gesamten Deutschen Reich, die in der Bundesfestung stationiert waren.

Sie waren Treffpunkte, um sich über politische Entwicklungen auszutauschen, Neuigkeiten zu erfahren, Zeitung zu lesen oder mit anderen die Nächte durchzudiskutieren. Und sie waren Versammlungsorte für die vielen Vereine, die sich im frühen 19. Jahrhundert gründeten: Gesang- und Turnvereine, Leseclubs und Kulturvereine, Volksbildungsvereine und die Freiwillige Feuerwehr, die in Rastatt noch Pompiers-Corps hieß.

Sie alle brauchten große Säle, möglichst ohne Spitzel – und die Wirtshäuser hatten welche. Und meistens Wirte, die diesen fortschrittlichen Bewegungen positiv gegenüberstanden, ja selbst Mitglied waren.

Wirt sein war damals ein so angesehener Berufsstand, dass der Stadtapotheker Johann Baptist Gromer diesen Titel verkaufte, um Wirt in der eigenen Gromer´schen Bierbrauerei zu werden.

Führung „Rastatter Wirtshäuser um 1848: Debatten, Rauch und Gerüche“

Welchen besonderen Stellenwert diese in der badischen Revolution eingenommen hat, das erläuterte Museumspädagoge Eric Schütt bei seiner Führung „Rastatter Wirtshäuser um 1848: Debatten, Rauch und Gerüche“.

Vor dem Stadtrundgang gab ein Besuch der aktuellen Ausstellung im Stadtmuseum „Für die Freiheit! Die Rolle der Wirtshäuser zu Beginn der Badischen Revolution 1848“ erste Informationen.

Im Foyer des Stadtmuseums hängt ein Gemälde von Johann Peter Hasenclever aus dem Jahr 1843, das die aufgeheizte Atmosphäre im schummrigen, rauchgeschwängerten Licht in solch einem Wirtshaus eingefangen hat.

Bier und Tabakqualm taten ein Übriges, um sich in Rage zu reden.
Eric Schütt
Stadtführer in Rastatt

„Es wurde nicht nur, aber auch heiß diskutiert“, so Eric Schütt, „Bier und Tabakqualm taten ein Übriges, um sich in Rage zu reden und die Gerüchteküche brodelte“ Nicht alle Wirtshäuser waren offen für republikanisches und somit revolutionäres Gedankengut, doch viele, die von honorigen Bürgern besucht wurden, die eigentlich das Rückgrat des Staates bildeten.

Diese waren gebildet, belesen, wie die Wirte übrigens auch, und standen der demokratischen Bewegung, die von jenseits der Grenze nach Baden geschwappt war, offen gegenüber. Sie wünschten sich Freiheit, an den politischen Entscheidungen beteiligt zu werden, wollten nicht mehr den Fürsten untertan sein.

Selbstbewusst waren sie, wie sich an ihrem Auftritt bei der Bürgerwehr in Uniform ablesen ließ. Und sie trafen in Rastatt auf Soldaten, die mit der Versorgung und Bezahlung durch ihre Dienstherrn unzufrieden waren.

Die Wirtshäuser waren also auch Treffpunkt zweier Lebenswelten: Hier die Bürger der Stadt, die mehr staatsbürgerliche Rechte einforderten, und dort die unzufriedenen Soldaten.

„Die Wirtshäuser, in der sich die Bürger trafen, um sich zu informieren und zu debattieren, lagen nicht am Rande der Stadt, sondern mittendrin“, so Eric Schütt, dessen Führung auf den Rechercheergebnissen von Stadtarchivar Oliver Fieg und der Leiterin des Stadtmuseums, Johanna Kätzel, aufbaute.

Bürger und Soldaten verbrüderten sich im Mai 1949 nach einer flammenden Rede

Die Schlossgaststätte war die erste Station: Als sich Amalie Struwe, eine der wenigen bekannten Frauen der Revolution dort von ihrer Winterhaft erholte, die sie wegen Aufwiegelung des Volkes anzutreten hatte, hieß sie noch „Zum grünen Berg“ und lag wie heute in Sichtweite des Residenzschlosses.

Weitere waren die „Blume“ mit ihrem Wirt Fidel Frey, heute Sanitätshaus Krux, das Gasthaus mit Bierhalle „Ritter“ im Dörfel, das bis in die 1990er-Jahre noch existierte, und die Gromer’sche Bierbrauerei in der Kehlerstraße 23, wo sich Bürger und Soldaten bei der Verbindungsfeier im Mai 1949 nach einer flammenden Rede verbrüderten. Die Offiziere konnten unbehelligt abziehen.

Es gab noch den „Wilden Mann“ in der Schlossstraße und die „Linde“ an der Badner Brücke oder den „Karpfen“, dessen Wirtshausschild auch heute noch am Gebäude beim Paradeplatz hängt. Auch das Hotel „Schwert“ bot den demokratischen Ideen Unterschlupf. Sie alle hatten Säle, in denen sich die demokratisch Gesinnten weitgehend unbehelligt von Spitzeln treffen konnten.

Nicht jeder Revolutionär blieb nach der Niederschlagung des Aufstandes dem demokratischen Gedanken treu, manch einer wurde zum Nationalisten, wie Eric Schütt erläuterte. Und betonte, dass Demokratie kein Selbstläufer ist, sondern ständig neu gedacht und verteidigt werden muss. Deshalb sei das Gedenken an den Aufstand von 1848/49 nicht nur Historie, sondern bedeute, dass Demokratie immer verteidigt werden muss.

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