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Ausstellung im Pädagogium

Schicksale in Großformat: Fotograf Oliver Hurst porträtiert Wohnungslose in Rastatt und Baden-Baden 

Fotos sind nie nur Bilder: Hurst erzählt gemeinsam mit der Caritas die Geschichten hinter Menschen, die ihr normales Leben verloren haben – und richtet einen Appell an seine Branche.

Ein Mann sitzt in seinem Foto-Atelier
Oliver Hurst hat sich gemeinsam mit der Caritas der Aufgabe angenommen, Wohnungslose in Rastatt und Baden-Baden mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Foto: Ursula Becky

Ein Zimmer ganz für mich alleine: Was sich zunächst – frei nach Schriftstellerin Virginia Woolf – wie ein Wunsch aus großbürgerlichem Milieu nach Flucht in freiheitliche Denkräume anhört – steht in großen Lettern auf einem Pappkartonschild, gehalten von einem Mitbürger aus Rastatt, der einfach nur ein Einzelzimmer will.

Und schon ist man mittendrin in einer von zahllosen Geschichten, für die Oliver Hurst eine fotografische Sprache findet. Fotos sind nie nur Bilder. Der Kunstfotograf aus Rastatt hat gemeinsam mit den Caritasverbänden Baden-Baden und des Landkreises Rastatt sowie dem Pädagogium Baden-Baden zwölf Wohnungslose aus der Kurstadt und Rastatt porträtiert – in freier Natur und an exponierten Stellen inmitten des städtischen Lebens.

Parallel dazu sind aus beiden Städten Making-of-Kurzvideos über Hursts Arbeit von Birgit Gerlicher entstanden, die im Internet auf Gerlichers YouTube-Channel unter der Schlagworten „Wohnungslos in Baden-Baden“ sowie „Wohnungslos in Rastatt zu finden sind.

Die Arbeiten werden mit speziell dazu angefertigten Interviews bei der Ausstellung „DAsein“ im Pädagogium Baden-Baden der Öffentlichkeit gezeigt – Vernissage ist am Freitag, 15. März, ab 17 Uhr. Der Rastatter Künstler ist derzeit in seinem Studio noch bei den letzten Vorbereitungen.

Hurst fotografiert breites Spektrum an Wohnungslosen

Hursts Arbeiten zeigen durchweg souveräne und selbstbewusste Menschen. Teilweise in den sogenannten besten Jahren, einige darüber: Ein junger Typ mit Undercut, tätowierten Armen, ein anderer mit Ellenbogenflicken auf seinem Sweatshirt und mit Schildkappe und dann der Mann in Muscle-Shirt, Camouflage-Hose und saloppem Hut.

Ein Fotograf steht mit einem Motiv in der Stadt.
Für seine Shootings hat Oliver Hurst nicht nur nur besonders signifikante Orte ausgewählt, sondern ist auch auf Motivetour in den Innenstädten unterwegs gewesen. Foto: Ursula Becky

Hurst ließ die Protagonisten der Geschichten, die hier erzählt werden sollen, vor einer schwarzen, mobilen Textilwand auf einem gewöhnlichen Stuhl sitzen. Mal frontal, mal seitlich und mit in die Kamera gedrehtem Blick oder mit Blick aus dem Bild heraus. Bilder machen Leute.

Wohnungslose haben keinen mietvertraglich abgesicherten Wohnraum (mehr), sind darauf angewiesen, dass sie privat oder in der Wohlfahrtspflege unterkommen – und werden gerade immer mehr. Wieso schwenkt Hurst seine Kamera auf diese Menschen? Welche Geschichte will er erzählen, wenn er Männer und Frauen mit diesem biografischen Merkmal in unterschiedlichem Alter posieren lässt?

Die Bilder konkurrieren nicht. Sie werden nicht verkauft.
Oliver Hurst
Kunstfotograf

Fotograf steigt für Shooting auch in die Murg

Der Fotograf überlegt einen Moment, bevor er das zusammenfasst, was er wichtig findet: „Wenn ich so etwas mache, möchte ich frei sein, etwas zu zeigen. Die Bilder konkurrieren nicht. Sie werden nicht verkauft. Die Ausstellung muss keine Gewinne erzielen.“ Hurst wünscht sich mehr Kollegen, die diesem Motto folgen und weniger im Fahrwasser der rein gewerblichen Fotografie fahren. Deshalb erzählt er die Geschichte. Und tut dies in der ihm eigenen Art.

Die Shootings haben an Baden-Badens Hotspots und an Rastatts schöner Uferpromenade stattgefunden. Mit der Sackkarre für das gesamte Fotoequipment und dem Foto-Team zog Hurst durch Baden-Badens Fußgängerzone über den Leopoldsplatz vors Eiscafé Capri und zur Sophienstraße.

In Rastatt stand die Fotowand auch in der Kaiserstraße am Bernhardusbrunnen. Für einige Fotos ging es für Hurst und sein „Model“ auch rein in die Murg. Auf dem Bild gab es nasse Füße. Bei künstlerischer Betrachtungsweise kann man dies alles unumwunden als ein Statement interpretieren.

Auf den öffentlichen Grünanlagen am Rastatter Murgufer vor sauber weiß eingezäunten Vorgärten sind auf Wunsch der Wohnungslosen zusätzlich Bilder mit Plakataufschriften entstanden. Achtung! Jetzt wird es politisch: „Keine Wohnungsräumung auf die Straße“ steht da beispielsweise, „nicht über, sondern mit uns sprechen“ und auch der Spruch mit dem Einzelzimmer findet sich hier: „Ein Zimmer für mich alleine.“

Hurst fordert stärkere Berücksichtigung der Nöte im Alltag

Das sind sie also, die eigentlichen Geschichten hinter den Menschen, deren häufigste Parallele oftmals die ist, dass es im entscheidenden Moment niemanden gab, der einen vom falschen Weg abgehalten hatte. Spätestens an dieser Stelle zeige sich, dass Wohnungslosigkeit einen schneller betreffen kann, als man denkt – und dass auch politische Verwerfungen bei manchen wohnungs- und hoffnungslosen Biografien hierfür mit ursächlich seien.

Auch ein Grund, das Thema in den öffentlichen Fokus zu stellen: Für das Projekt wurden keine Aussteiger oder durch alle Maschen Gefallenen unter der Brücke hervorgezogen und vor die Linse gezerrt, sondern Menschen porträtiert, die ihr Zuhause und damit ihr normales Leben verloren haben.

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