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Katze Mimi sitzt vor der Katzenklappe in der Wohnung ihrer Besitzerin Regina Tredwell.

Schutz der Haubenlerche

Ärger in Walldorf: Katzen-Besitzer wehren sich gegen Ausgangsverbot

Die Empörung war groß, als im Mai in Walldorf eine deutschlandweit einzigartige Ausgangssperre für Katzen angeordnet wurde. Noch bis Ende August müssen die Katzen und ihre Halter leiden. Ein Schlupfloch bleibt ihnen aber.
von Christian Johner (dpa)
4 Minuten
von Christian Johner (dpa)
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Wut, Enttäuschung, Verzweiflung – auch Tränen flossen in den vergangenen Wochen, weil Regina Tredwell es einfach nicht ertragen konnte.

Denn ihre Katze Mimi und ihr Kater Fluffy, beide 13 Jahre alt, waren seit Mitte Mai in Walldorf wochenlang eingesperrt. Um die vom Aussterben bedrohte Vogelart Haubenlerche vor den Vierbeinern zu schützen, hatte der Rhein-Neckar-Kreis einen Katzen-Lockdown beschlossen. Bis Ende August sowie die nächsten drei Jahre jeweils von April bis August dürfen Katzen im Süden der Stadt Walldorf nicht mehr vor die Tür.

Die Katzen einzusperren sei Tierquälerei, findet Tredwell. „Das ist das Allerletzte!“ Die 55-Jährige stand nach eigenen Angaben unter Schock, als sie von dem Katzen-Lockdown erfuhr.

Auch an Mimi und Fluffy ging die Ausgangssperre nicht spurlos vorbei. „Sie fressen wirklich schlecht. Sie verlieren richtig schlimm Fell. Und sie sind aggressiv.“ Die Katze und der Kater seien aufeinander losgegangen. „Ich versuche natürlich mit ihnen zu spielen. Ich versuche sie abzulenken, aber es geht nicht.“

Katze Mimi putzt sich, während sich ihre Besitzerin Regina Tredwell unterhält.
Katze Mimi putzt sich, während sich ihre Besitzerin Regina Tredwell unterhält. Foto: Marijan Murat/dpa

Während es im Hause Tredwell „miaut“, beobachtet Hans-Joachim Fischer mit einem Fernglas die Haubenlerchen in Walldorf und füttert sie – mit Mehlwürmern, Fliegenlarven oder Mottenlarven. Im Auftrag der Stadt beschäftigt sich Fischers Firma seit einigen Jahren mit dem Haubenlerchen-Monitoring. Weil die Vogelart als gefährdet gilt, werden laut dem Experten in Baden-Württemberg sämtliche Vorkommen beobachtet. „Wenn Bruten da sind, müssen wir täglich kontrollieren.“

Zunächst flogen in diesem Jahr drei Brutpaare durch Walldorf, inzwischen sind es aber nur noch zwei. Wo das dritte Paar ist und ob es noch lebt, weiß niemand so genau. Der Diplom-Biologe macht sich aber keine Sorgen um die Vögel. Es sei nicht ungewöhnlich, dass sich der Bestand im Laufe der Brutzeit verändert. „Und im nächsten Frühjahr sind sie dann wieder da.“

Bürgermeister von Walldorf findet Entscheidung nicht nachvollziehbar

Nicht nur bei den Katzenbesitzern sorgt die Allgemeinverfügung für Kopfschütteln, auch der Bürgermeister der Stadt Walldorf Matthias Renschler (FDP) kann die Entscheidung nicht nachvollziehen: Aus seiner Sicht ist die Ausgangssperre nicht verhältnismäßig, auch wenn der Schutz der bedrohten Haubenlerche sein vollstes Verständnis findet. Renschler hofft, dass der Landkreis bessere Lösungen findet, um die kleine Haubenlerchen-Population in Walldorf zu schützen.

Dabei ist Walldorf, das als Sitz des Softwarekonzerns SAP bekannt ist, längst nicht der einzige Ort im Südwesten mit einem Brutrevier. Nach Angaben des Umweltministeriums existierten hiervon im vergangenen Jahr 63. Dass ausgerechnet in Walldorf die Katzen eingesperrt werden müssen, liegt laut Hans-Joachim Fischer daran, dass sich die Haubenlerchen in der Nähe eines Wohngebiets aufhalten. An anderen Standorten sei das nicht so, sagt der Projektleiter des Monitorings.

Eine seltene Haubenlerche sitzt an einem Schutzzaun, der um ihr Brutgebiet gespannt ist.
Eine seltene Haubenlerche sitzt an einem Schutzzaun, der um ihr Brutgebiet gespannt ist. Foto: Marijan Murat/dpa

Doch wie hoch ist die Überlebenschance für die gefährdeten Vögel in Walldorf? Laut Umweltministerium zeigt ein Brut-Monitoring aus dem Jahr 2021, dass jedes zweite Jungtier nicht überlebt. Hauskatzen seien dabei „ein wesentlicher Risikofaktor“. Die Naturschutzorganisation Nabu hingegen sieht im Menschen den größten Feind der Haubenlerche: Weil Flächen versiegelt oder überbaut und Pestizide eingesetzt werden, seien Haubenlerchen vom Aussterben bedroht. In den 1970er-Jahren sei die Haubenlerche noch eine in Städten und Dörfern häufige Vogelart gewesen, doch dann sei ihr Lebensraum zerstört worden, erklärt eine Sprecherin.

An einem Zaun um ein Gebiet mit Haubenlerchen-Brutplätzen hängt ein Schild mit der Aufschrift „Bitte dieses Grundstück aufgrund Haubenlerchen-Vorkommen nicht betreten!“
An einem Zaun um ein Gebiet mit Haubenlerchen-Brutplätzen hängt ein Schild mit der Aufschrift „Bitte dieses Grundstück aufgrund Haubenlerchen-Vorkommen nicht betreten!“ Foto: Uwe Anspach/dpa

Auch das Wohngebiet in Walldorf-Süd wurde nach Angaben der Stadt erst ab 2010 erschlossen – und es soll künftig noch erweitert werden. Ohne die Stadt hätten die Katzen nicht leiden müssen, ist sich Regina Tredwell sicher. „Hätten die dort kein Neubaugebiet ausgewiesen, wäre der Mensch der Haubenlerche gar nicht so sehr auf den Leib gerückt.“

Wird eines der bräunlichen Tiere mit heller Brust von ausgebüxten Vierbeinern erwischt, droht den Haltern eine saftige Geldbuße von bis zu 50.000 Euro. Bislang hat die Untere Naturschutzbehörde des Landkreises nach eigenen Angaben ein einziges Zwangsgeld in Höhe von 500 Euro wegen des Verstoßes gegen die Ausgangssperre verhängt.

Ausgangsverbot für Katzen: Fragliche Datensammlung der Vierbeiner

Die ganze Sache hatte aber einen Beigeschmack, denn die Grundlage für das Zwangsgeld sind laut Landkreis Angaben der Firma von Hans-Joachim Fischer. Die FDP im Landtag schaltete deshalb den obersten Datenschützer im Land, Stefan Brink, ein.

Es stelle sich die Frage, ob eine private Firma unerlaubt umfangreiche Daten von Katzen und ihren Besitzern erstellt und gesammelt hat, so der Landtagsabgeordnete Christian Jung. „Wir sind mit der Stadt und dem Landratsamt im Gespräch und werden anschließend mit dem beauftragten Unternehmen sprechen“, teilt ein Sprecher des obersten Datenschützers mit. Hans-Joachim Fischer wollte sich zu dem Vorwurf gegenüber der Deutschen Presse-Agentur nicht äußern.

Hans-Joachim Fischer, Projektleiter des Haubenlerchen-Monitorings in Walldorf, steht vor einem Elektro-Schutzzaun am Brutgebiet seltener Haubenlerchen.
Hans-Joachim Fischer, Projektleiter des Haubenlerchen-Monitorings in Walldorf, steht vor einem Elektro-Schutzzaun am Brutgebiet seltener Haubenlerchen. Foto: Marijan Murat/dpa

Gegen die Allgemeinverfügung wehren sich die Katzenhalter wie Regina Tredwell. Dem Landkreis zufolge wurden 43 Widersprüche eingelegt, die die Verwaltung derzeit prüft. Inzwischen landeten im Landratsamt auch drei Anträge zur Befreiung von der Ausgangssperre, heißt es. Zwei seien genehmigt worden, einen dritten Antrag prüft die Verwaltung.

Katzen müssen getrackt werden

Trotz der Befreiung müssen Katzenhalter Auflagen einhalten: Jeder Freigang muss mit Hilfe eines GPS-Trackers überwacht werden. Die Daten müssen wöchentlich an die Behörde übermittelt werden. Sobald sich eine Katze im „Gefahrenbereich“ aufhält, muss die Behörde umgehend informiert werden. „Die Befreiung gilt für das Jahr 2022 und kann jederzeit widerrufen werden“, teilt ein Sprecher mit.

Ein Steckperlen-Bild mit dem Zusatz „Schämt euch!“ hängt an einem Hundekot-Mülleimer am Brutgebiet seltener Haubenlerchen.
Ein Steckperlen-Bild mit dem Zusatz „Schämt euch!“ hängt an einem Hundekot-Mülleimer am Brutgebiet seltener Haubenlerchen. Foto: Marijan Murat/dpa

Regina Tredwell hat für Mimi und Fluffy erfolgreich um eine Befreiung gekämpft. Ein Halsband mit Tracker sei zwar alles andere als angenehm für die beiden, sagt die Walldorferin: „Da wird jetzt der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben.“ Dennoch sei die Katzenhalterin erleichtert gewesen, als sie erfuhr, dass sie ihre Haustiere nicht mehr einsperren muss. „Das war wie Weihnachten, Silvester und Geburtstag auf einmal“, so Tredwell.

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