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Neuer Baden-Württemberg-Check

Meinungsforscher sehen „fatale“ Entwicklung in der Flüchtlingspolitik in Baden-Württemberg

Die neueste Umfrage für den Baden-Württemberg-Check der Zeitungsverlage zeigt: Die Sorgen und das Protestpotenzial gegen die Flüchtlingspolitik ist groß.

Flüchtlinge warten in einer Landeserstaufnahmestelle in einer Schlange. Der Landkreistag spricht sich für die Prüfung von Asylanträgen an den EU-Außengrenzen und die Beendigung freiwilliger Aufnahmeprogramme aus.
Wie wäre es, wenn eine große Flüchtlingsunterkunft in der eigenen Nachbarschaft eingerichtet würde? Die Allensbacher Demoskopen haben festgestellt: Viele Bürger würden sich dagegen zur Wehr setzen. Foto: Stefan Puchner/dpa

Die Stimmung im Land ist gekippt – und zwar in doppelter Hinsicht: Einerseits schauen die Baden-Württemberger wieder deutlich optimistischer in die Zukunft als noch im Krisenherbst 2022. Andererseits beunruhigt die Flüchtlingspolitik die Bürger immer stärker: Eine überwältigende Mehrheit von 78 Prozent sagt, dass die aktuelle Entwicklung ihnen Sorgen bereitet. 

BNN
Wie viel Zukunftsoptimismus gibt es unter den Befragten? Foto: BNN

33 Prozent der Befragten sprechen sogar von „großen Sorgen“. Nur eine kleine Gruppe von 18 Prozent der Befragten zeigt sich angesichts der vielen Schutzsuchenden völlig unbesorgt. Zu diesem Ergebnis kommt die neue Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der baden-württembergischen Zeitungsverlage. Die Meinungsforscher stellen ein „beachtliches Protestpotential“ in der Bevölkerung fest und werten Einzelergebnisse sogar als fatal.

Von einer Willkommenskultur ist im Land nicht mehr viel zu spüren – obwohl die Baden-Württemberger den Zustrom der ukrainischen Kriegsflüchtlinge im vergangenen Herbst noch relativ entspannt hingenommen haben. Allein 146.000 Menschen aus der Ukraine suchten 2022 im Südwesten eine Zuflucht, nachdem der russische Präsident Wladimir Putin seinen Angriffskrieg begonnen hatte. 

Doch offensichtlich machen die Bürger hierzulande große Unterschiede zwischen den ukrainischen Kriegsflüchtlingen und den Flüchtlingen aus anderen Weltregionen und Kulturkreisen: 33 Prozent der befragten Baden-Württemberger erklärten, ihre Sorgen hätten zugenommen, weil neben den Ukrainern vermehrt wieder Menschen aus anderen Ländern kommen.

Wohl der Flüchtlinge wichtiger als Wohl der Bürger?

Als „fatal“ werten die Meinungsforscher ein anderes Ergebnis: Immerhin 39 Prozent der Befragten haben häufiger den Eindruck, die Landesregierung stelle das Wohl der Flüchtlinge über das Wohl der Menschen in Baden-Württemberg. „Dies ist für die Akzeptanz der Flüchtlingspolitik ein fataler Eindruck, der auch einen Nährboden für größere Unzufriedenheit und Unmut bilden könnte“, urteilen die Demoskopen aus Allensbach.

Sorgen über Flüchtlingssituation
Wieweit bereitet den Befragten die Flüchtlingssituation Sorgen? Die Grafik zeigt es. Foto: BNN

„Beachtliches Protestpotenzial“ – besonders im Dorf

Mit erheblichem Widerstand muss die Politik inzwischen rechnen, wenn sie eine große Zahl von Flüchtlingen in Wohnvierteln einquartiert. Jeder dritte Bürger würde sich angeblich zur Wehr setzen, falls in seiner näheren Umgebung eine große Flüchtlingsunterkunft gebaut würde. Weitere 27 Prozent der Befragten sind in dieser Frage unentschieden. 

Erheblicher Widerstand
Wie viel Widerstand würde es gegen den Bau einer großen Flüchtlingsunterkunft in der näheren Umgebung geben? Foto: BNN

Nur 41 Prozent sagen: Ich würde das akzeptieren. „Insgesamt ist das Protestpotenzial beachtlich“, so das Fazit der Meinungsforscher. Wobei es deutliche Unterschiede zwischen der Landbevölkerung und den Stadtmenschen gibt: Rund 40 Prozent der Dorfbewohner würden gegen eine große Flüchtlingsunterkunft protestieren, aber nur rund ein Viertel der Großstadtbewohner.

53 Prozent trauen keiner Partei eine Lösung zu

Alarmierend für alle demokratischen Parteien ist ein anderes Ergebnis der aktuellen Juni-Umfrage des Baden-Württemberg-Checks: Das Vertrauen in die Politik ist enorm gering. Auf die Frage, welche Partei in Baden-Württemberg das beste Konzept für die Flüchtlingspolitik habe, nennt eine Mehrheit von 53 Prozent entweder „keine Partei“ oder zeigt sich „unentschieden“.

Vertrauen
Wie steht es um das Vertrauen in die Parteien in der Flüchtlingspolitik? Foto: BNN

Die größte Kompetenz beim Umgang mit der Flüchtlingssituation sehen die Befragten noch bei CDU und AfD, die sich Platz eins teilen – allerdings mit jeweils mageren 12 Prozent. Auf Platz zwei folgen die Grünen (10 Prozent) vor SPD (8 Prozent) und FDP (2 Prozent). Inwieweit die Bürger über die bisherige Politik enttäuscht sind oder inwieweit auch der Eindruck eine Rolle spielt, dass die weltweiten Fluchtbewegungen von einzelnen Staaten und Parteien kaum beeinflusst werden können, bleibt Spekulation. 

Kritikpunkt Nummer eins: Straftäter werden zu selten abgeschoben

Wo die Landespolitik im Einzelnen versagt – dazu gibt es allerdings ein klares Meinungsbild. 66 Prozent der Befragten, sagen: „Baden-Württemberg sollte straffällig gewordene Ausländer konsequenter abschieben.“ Weitere 41 Prozent teilen den Vorwurf, Innenminister Thomas Strobl (CDU) setze sich nicht ausreichend dafür ein, dass abgelehnte Asylbewerber zur Ausreise gezwungen werden. Und nur 22 Prozent sind der Meinung, dass Baden-Württemberg die hohe Zahl der Flüchtlinge verkraften kann.

Ernüchterung herrscht offenbar auch mit Blick auf den Arbeitsmarkt. Dass mit den Flüchtlingen aus der Ukraine viele einsatzfähige Fachkräfte kommen und viele offene Stellen besetzt werden können, glaubt nur eine Minderheit: 25 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, dass der Zuzug von ukrainischen Flüchtlingen große Chancen für den Arbeitsmarkt biete.

Vom Krisenmanagement am eigenen Wohnort hängt es auch entscheidend ab, ob die Menschen den Eindruck haben: Wir können niemanden mehr aufnehmen. 48 Prozent der befragten Baden-Württemberger denken inzwischen, dass die Aufnahmekapazitäten in ihrer näheren Umgebung erschöpft sind – im November 2022 waren es hingegen nur 27 Prozent. Von den Menschen, die aktuell überzeugt sind: „Nichts geht mehr“, erleben 67 Prozent ihre eigene Wohngemeinde als überfordert.

Aufnahmekapazitäten/Überforderung
Wie viel Aufnahmekapazitäten und wie viel Überforderung gibt es in den Gemeinden? Foto: BNN

Dass die Plätze nur noch für wenige weitere Flüchtlinge ausreichen, meinten bei der aktuellen Juni-Umfrage weitere 28 Prozent. Nur 15 Prozent meinen: Ja, wir können ohne weiteres mehr Flüchtlinge am Ort oder in der näheren Umgebung aufnehmen. 

Mehr Widerstand gegen Turnhallen-Belegung

Gedreht hat sich das Stimmungsbild auch, wenn es um die Zweckentfremdung von Turnhallen oder Gemeindehallen geht: 49 Prozent der Befragten finden es nicht in Ordnung, dass Flüchtlinge in solchen Gebäuden untergebracht werden, nur 35 Prozent sind einverstanden mit dieser Nutzung. Im vergangenen Herbst waren die Verhältnisse fast umgekehrt. Damals waren noch mehr Baden-Württemberger bereit, auf Schulsport und Vereinstreffen zugunsten der zugewanderten und obdachlosen Menschen zu verzichten.

Haben die Bürger persönlich schon einmal Nachteile durch die Flüchtlingssituation erfahren? Darauf antworteten in der Juni-Erhebung nur 26 Prozent mit Ja. Fast zwei Drittel, genau 63 Prozent, sagen: Nein, das ist noch nicht vorgekommen. 

Mehrheit spürt Unbehagen im Umfeld

Zugleich registrieren die Menschen in ihrem Umfeld eine wachsende Beunruhigung. „Nimmt die Sorge über die Flüchtlingssituation in Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis zu?“ – auf diese Frage antwortet eine Mehrheit von 53 Prozent mit Ja. Nur 27 Prozent registrieren keine wachsenden Sorgen, 20 Prozent können keine klare Antwort geben.

Fühlen sich die Menschen wegen der Flüchtlinge an ihrem Wohnort weniger sicher als früher? Auch dazu befragten die Meinungsforscher eine repräsentative Gruppe von Baden-Württembergern. Das Ergebnis: 33 Prozent fühlen sich heute unsicherer, aber eine knappe Mehrheit von 51 Prozent sagt: Nein, ich fühle mich nicht weniger sicher als früher. 

Ganz anders fällt das Stimmungsbild bei jenen Menschen aus, die persönlich Nachteile durch die Zuwanderungssituation erlebt haben. Unter ihnen erklärt eine deutliche Mehrheit von 65 Prozent, dass sie sich heute weniger sicher in ihrer Wohngemeinde fühlt.

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