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„Kompass 4“ in Mathe und Deutsch

Neue Tests für Viertklässler – damit Eltern die heikle Schulwahl leichter fällt

Die Grundschulempfehlung ist ein neuralgisches Thema, seit Eltern sich darüber hinwegsetzen dürfen. Im neuen Schuljahr sollen die Kinder deshalb zusätzliche Tests schreiben.

Klappt es mit der Rechtschreibung? Das können Grundschulen im neuen Schuljahr erstmals mit den zusätzlichen „Kompass 4“-Tests ausloten.
Klappt es mit der Rechtschreibung? Das können Grundschulen im neuen Schuljahr erstmals mit den zusätzlichen „Kompass 4“-Tests ausloten. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Bekommt das Kind eine Gymnasialempfehlung? Reicht es für die Realschule? Und falls nicht: Sollen sich die Eltern über die Grundschulempfehlung der Lehrer hinwegsetzen? Das sind die großen Fragen, die Familien von Viertklässlern umtreiben.

Und immer wieder gibt es politischen Streit darüber, ob die Eltern wirklich das letzte Wort über die Schulwahl haben sollten. Nun startet ein Versuch, mit dem Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) mehr Ruhe in die heikle Angelegenheit bringen will: „Kompass 4“ soll Eltern klarer den Weg weisen.

Arbeiten und Lesetests sollen Stärken und Schwächen aufzeigen

Der Name steht für eine neue „Lernstandserhebung“. Die Jungen und Mädchen schreiben im November und Dezember mehrere zusätzliche Arbeiten, die zeigen sollen, wo ihre Stärken und Schwächen liegen. Und es gibt auch mündliche Tests. Im neuen Schuljahr steht „Kompass 4“ erstmals allen Grundschulen in Baden-Württemberg zur Verfügung – allerdings ist die Teilnahme noch freiwillig.

Gerhard Brand, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), rechnet mit einer guten Beteiligung. „Unsere Rückmeldungen sind positiv“, sagt er. „Viele Schulleitungen haben gesagt: Wir machen freiwillig mit, damit wir uns das schon mal anschauen können.“ Die Teilnehmerzahlen will das Ministerium im Oktober nennen.

Es droht kein „Mini-Abitur“: Noten gibt es nicht

Falls Mütter und Väter nun fürchten, dass eine Art „Mini-Abitur“ in der Grundschule eingeführt wird, können sie sich sofort wieder entspannen: Die „Kompass 4“- Arbeiten werden nicht benotet. Sie sollen laut Kultusministerium ergänzend zur „fundierten Entscheidung“ der Eltern beitragen.

„Selbstverständlich bieten die Ergebnisse auch ohne Ziffernbenotung einen Erkenntnisgewinn über den jeweiligen Leistungsstand, der zumindest Hinweise bei der Erarbeitung der formalen Grundschulempfehlung geben kann“, erklärt eine Sprecherin Schoppers.

Diese Arbeiten müssten verpflichtend sein.
Ralf Scholl
Philologenverband

Dem Philologenverband (PhV) geht das nicht weit genug. „Diese Arbeiten müssten verpflichtend sein“, sagt Landesvorsitzender und Gymnasiallehrer Ralf Scholl. Und die Ergebnisse sollten nach seiner Auffassung auch klar in die Empfehlung für den Schulwechsel einfließen: „Sonst haben die Grundschullehrer nur einen Zusatzaufwand fürs Korrigieren – aber die Eltern machen am Ende doch, was sie wollen.“

ILLUSTRATION - Das Formular einer Grundschulempfehlung wird in einem Klassenzimmer einer Grundschule gehalten (gestellte Szene). (zu dpa "Jedes neunte Kind wechselt aufs Gymnasium ohne Empfehlung dafür") +++ dpa-Bildfunk +++
Das Ziel ist eine treffende Grundschulempfehlung, die auch Eltern überzeugt. Deshalb sollen Viertklässler dieses Jahr neuartige Tests schreiben – zunächst ist das „Kompass 4“-Angebot für die Schulen freiwillig. Foto: Bernd Weissbrod /dpa

Wie viele „Kompass 4“-Tests die Kinder durchlaufen müssen? Das lasse sich aktuell nicht genau sagen, teilt die Ministeriumssprecherin mit. „Die Schulen werden im Oktober über die konkrete Durchführung informiert.“ Fest steht, dass Deutsch und Mathematik im Mittelpunkt stehen.

Es wird ums Lesen, um Aufgaben zur Klein- und Großschreibung, das Erklären von Schreibweisen und um Textverständnis gehen. In Mathematik sollen die Schüler unter anderem zeigen, ob sie die Grundrechenarten beherrschen und fit in Geometrie und Kombinatorik sind.

Gemischte Gefühle bei Elternvertretern

Beim Landeselternbeirat (LEB) löst „Kompass 4“ gemischte Gefühle aus. Einerseits seien die Tests ein „wertvolles Werkzeug zur Orientierung“, erklärt der stellvertretende Vorsitzende Peter Buchmann. „Doch ohne die notwendige Verbindlichkeit wird dieses Instrument seiner potenziellen Wirkung beraubt. Eltern benötigen Klarheit und Zuverlässigkeit, wenn es um die Bildungsentscheidungen ihrer Kinder geht.“

Außerdem nütze die Diagnose allein nicht viel – weil Lehrer fehlten, um die Lerndefizite bei den Schülern auszugleichen.

Kritik am Termin im Spätherbst

VBE-Chef Brand steht der Neuerung in Klasse vier offen gegenüber: „Da es zentrale Arbeiten mit landesweit einheitlichen Standards sind, eignen sie sich als Beratungsinstrument“, sagt der Bundes- und Landesvorsitzende der Lehrergewerkschaft. Allerdings gebe es auch Kritik von Grundschullehrern: Ihnen wäre es lieber, wenn die neuen Tests nicht im Spätherbst, sondern im nächsten Februar geschrieben würden – dann lägen sie viel näher an den Terminen für die Elterngespräche.

„Kinder können in dem Alter innerhalb einiger Monate noch deutliche Entwicklungsschritte machen“, betont Brand. Da schwingt auch die Befürchtung mit, dass manche Mütter und Väter unangenehme Testergebnisse mit genau diesem Argument nicht akzeptieren.

Eltern sollten auch begründen, warum sie von der Grundschulempfehlung abweichen.
Gerhard Brand
VBE-Vorsitzender

Ein Zurück zur streng verpflichtenden Grundschulempfehlung will Brand trotzdem nicht. „Seit der Abschaffung haben wir in Klasse vier eine merkliche Entspannung“, sagt er. „Das hat Druck von den Kindern genommen.“ Aber der VBE-Vorsitzende plädiert für eine deutlich intensivere Beratung der Familien. „Eltern sollten auch begründen, warum sie von der Grundschulempfehlung abweichen“, meint er. Auch zusätzliche Schulleistungstests für das Kind seien mitunter sinnvoll.

In einem Punkt stimmt Brand mit Philologen-Chef Scholl überein: Eltern dürften nur eine Stufe höher oder tiefer gehen, wenn sie ihr Kind bei der weiterführenden Schule anmelden – aber nicht zwei Stufen, meinen sie.

Realschule statt Hauptschule wäre dann zulässig. Aber ein Kind mit Hauptschulempfehlung könnte nicht aufs Gymnasium gehen. Solche Fälle führten zu einer fatalen Überforderung, sagt PhV-Chef Scholl: „Die kreuzunglücklichen Kinder werden zwei oder drei Jahre mitgeschleppt, müssen dann doch die Schule wechseln – und haben eine Schulphobie.“

Wir sind der Überzeugung, dass Eltern das Beste für ihre Kinder wollen.
Theresa Schopper
Kultusministerin

Die Gymnasiallehrer-Gewerkschaft fordert hartnäckig eine Rückkehr zur verbindlichen Grundschulempfehlung: Nur mit einem Notendurchschnitt von 2,5 oder besser durfte ein Kind früher aufs Gymnasium, mit 3,0 oder besser auf die Realschule. Im Jahr 2012 kippte die grün-rote Landesregierung diese Regelung.

Eine Kehrtwende ist von Kultusministerin Schopper nicht zu erwarten: „Wir sind der Überzeugung, dass Eltern das Beste für ihre Kinder wollen und bemüht sind, die richtige Entscheidung über die passende Wahl der weiterführenden Schule zu treffen“, erklärte sie wiederholt. Mit „Kompass 4“ will sie die Mütter und Väter unterstützen.

Ab 2024/25 sollen die neuen Tests womöglich verpflichtend sein – aber vor der Entscheidung will Schopper die gesammelten Erfahrungen von Runde eins auswerten.

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