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Sterbehilfe-Drama „Gott“ im Ersten

Darf ein kerngesunder Mensch sterben? ARD lässt das Publikum entscheiden

Darf ein kerngesunder Mensch auf eigenen Wunsch sterben? Die Rechtslage ist klar: Ja. Die ethische Diskussion ist offen - und wird in dem ARD-Film „Gott“ mit den Mitteln des Gerichtsdramas geführt.

ARD Degeto GOTT VON FERDINAND VON SCHIRACH, am Montag (23.11.20) um 20:15 Uhr im ERSTEN.
Der Deutsche Ethikrat berät über einen Fall zum Thema Sterbehilfe. Links der medizinische Sachverständige Prof. Sperling (Götz Schubert), links Richard Gärtner (Matthias Habich), sein Anwalt Biegler (Lars Eidinger, Mitte) und die Vorsitzende (Barbar Auer, 2. v. re.)
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Ethische Diskussion in Gerichtsverhandlungs-Atmosphäre: Szene aus dem Sterbehilfe-Drama „Gott“ mit Götz Schubert als medizinischen Sachverständige, Lars Eidinger als Anwalt, Barbara Auer als Vorsitzende und Matthias Habich als Sterbewilliger. Foto: ARD Degeto/Moovie GmbH/Julia Terjung

Er kann nicht mehr. Und er will auch nicht mehr. „Ich will sterben“, sagt Richard Gärtner, 78 Jahre alt, früher Architekt. Dabei ist er fit und gesund, wird von keinerlei Krankheiten geplagt. Doch nach 42 Ehejahren ist vor drei Jahren seine Frau Elisabeth an einem Hirntumor gestorben, ihre letzten Jahre waren eine Qual.

Seitdem sieht Richard Gärtner keinen Sinn mehr in seinem Leben. Mit dem Tod der Frau habe sich alles geändert. „Ich bin allein, das kann ich nicht. Sie fehlt mir“, klagt er. „Sie ist weg und ich bin noch da. Das ist nicht richtig, nicht nach 42 Jahren.“ Und er gibt zu: „Ich bin mir selber ganz und gar abhanden gekommen.“ Das Leben bedeute ihm nichts mehr, „Ich will einfach nur in Ruhe sterben.“ Das sei weder amoralisch noch egoistisch und erst recht nicht krank, sondern sein gutes Recht.

Alle Argumente kommen auf den Tisch

Darum hat er seine langjährige Hausärztin gebeten, ihm ein tödliches Medikament zu verschreiben und ihm beim Suizid beizustehen. Doch die Ärztin weigert sich. „Ich will keine Beihilfe zum Suizid leisten“, sagt sie. Nun steht Richard Gärtner vor dem Deutschen Ethikrat, der über seinen Fall entscheidet.

Das ist die Ausgangslage des aktuellen Dramas „Gott“ des Juristen, Strafverteidigers, Schriftstellers und Dramatikers Ferdinand von Schirach, das die ARD mit einer hochkarätigen Besetzung verfilmt hat und an diesem Montag um 20.15 Uhr ausstrahlt. 90 Minuten lang wird unter der Leitung der Ethikrat-Vorsitzenden (Barbara Auer) der Fall Gärtner (Matthias Habich) und dessen Ärztin (Anna Maria Mühe) verhandelt. Eine Jura-Professorin und Verfassungsrichterin (Christiane Paul), ein Arzt und Präsidiumsmitglied der Bundesärztekammer (Götz Schubert) sowie ein Bischof (Ulrich Matthes) beleuchten die Sterbehilfe aus juristischer, medizinischer und religiöser Sicht und tauschen dabei alle sattsam bekannten und oft zitierten Argumente aus, die für und gegen den selbstbestimmten Tod sprechen.

Das Publikum trifft die Entscheidung

Das Ende des Stücks ist dabei offen – die ganze (Fernseh-)Nation darf sich als Mitglied des Ethikrates fühlen und ist aufgefordert, eine Entscheidung über Leben und Tod zu treffen. Hier folgt „Gott“ der Struktur des Schirach-Erfolgsstücks „Terror“, in dem vor einem Gericht gegen einen Luftwaffenmajor verhandelt wird, der ein Passagierflugzeug abgeschossen hat, damit es Terroristen nicht über einem voll besetzten Fußballstadion abstürzen lassen.

„Terror“ wurde 2016 in der ARD gezeigt. Wie damals wird nun auch nach „Gott“ das Publikum zur Abstimmung aufgerufen - diesmal zur Frage, ob Richard Gärtner sterben darf. Und im Anschluss daran diskutiert TV-Talker Frank Plasberg in seiner Sendung „Hart aber fair“ über das ebenso emotionale wie ethisch-moralisch umstrittene Thema Sterbehilfe.

Dabei ist die Rechtslage klar und eindeutig. Wenn Richard Gärtner sterben will, dann darf er auch sterben. Niemand kann es ihm verwehren. Mehr noch, er hat sogar einen Anspruch auf das todbringende Rezept und auf Hilfe beim Selbstmord. Mit seinem spektakulären Urteil vom 26. Februar 2020 hob das Bundesverfassungsgericht nicht nur das vom Bundestag beschlossene Verbot von gewerbsmäßiger Sterbehilfe auf, sondern ging einen radikalen Schritt weiter und formulierte ein Recht des Menschen auf selbstbestimmtes Sterben.

Arzt und Bischof von Beginn an auf verlorenem Posten

Und das gilt nicht nur für alte und kranke, sondern auch für junge und gesunde Menschen. Allerdings kann kein Arzt verpflichtet werden, Beihilfe zum Suizid zu leisten. Und der Gesetzgeber wurde aufgefordert, dieses Grundrecht in einen Rahmen einzubetten und beispielsweise eine Pflicht zur Beratung sowie eine strenge Dokumentation eines jeden Falles verbindlich vorzuschreiben.

Gerade diese juristische Eindeutigkeit aber nimmt dem Drama „Gott“ die eigentliche Brisanz. Vor dem Ethikrat gibt es im Grunde nichts mehr zu verhandeln. Er ist auch kein Gericht, wie der Film suggeriert, in dem der Sterbewillige wie ein Angeklagter behandelt wird, der sich verteidigen muss. Die Sache ist durch den Karlsruher Richterspruch höchstrichterlich und abschließend geklärt.

Entsprechend schwer tut sich Ina Weisse als Anwältin des Lebens, Argumente für ein Weiterleben bis zum natürlichen Tod zu finden. Dagegen kann Lars Eidinger als Verteidiger von Richard Gärtner mit geradezu diabolischer Lust an der Provokation und am Widerspruch die Argumente der Medizin und der Religion entkräften und widerlegen. Der Arzt und der Bischof stehen von Anfang an auf verlorenem Posten, mögen sie noch so eindringlich auf den Wert des Lebens und auf die ethisch-moralischen Grundüberzeugungen hinweisen. So warnt der Arzt: „Wenn wir beim Sterben helfen, wird sich die Gesellschaft verändern.“ Und der Bischof ergänzt: „Wir werden schon bald über die Tötung auf Verlangen diskutieren.“

Emotionale Attacke und flehentlicher Appell

In der stärksten Szene des Filmes geht der sterbewillige Gärtner den Repräsentanten der Ärzteschaft frontal an: „Ihr verdammtes Ethos steht nicht über dem Ethos der Gesellschaft. In diesem Lande leben freie Menschen, sie dürfen über ihr Leben und Sterben selbst entscheiden. Warum glauben Sie, Sie dürfen sich für Gott halten?“ Und auch der Theologe hat dem nichts entgegenzusetzen. Er kann nur fast flehentlich appellieren, das Leben in seiner Ganzheit anzunehmen. „Leben heißt leiden. Die moderne Gesellschaft glaubt, im Glück liege der Sinn des Lebens. Das ist grundfalsch. Das Kreuz zu tragen, das ist der echte Sinn des Lebens.“

Nach 90 Minuten sind alle Argumente ausgetauscht, neue sind im Verlauf der Befragung nicht hinzugekommen. Da die juristische Frage geklärt ist, bleibt nur die ethische. Was wiegt mehr: Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen? Oder die gesellschaftliche Norm? Und wer entscheidet: Der Betroffene? Oder andere? Die Antwort geben am Ende die Zuschauer. Aber in allen Umfragen gibt es seit vielen Jahren eine stabile Mehrheit für ein Recht auf Sterbehilfe.

Im TV

„Gott“ läuft am Montag, 23. November ab 20.15 Uhr im Ersten und ist in der ARD-Mediathek abrufbar

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