Skip to main content

Mit Sopranistin aus Karlsruhe

Schubert im Olivenhain

Beim Molyvos International Music Festival auf der Insel Lesbos hört man kein Klirren von Champagnergläsern, sondern die Glöckchen einer Schafherde – und exzellente Klassik.

Ein Cellist und ein Violinist musizieren auf einer Bühne umgeben von Bäumen in einem Olivenhain beim  9. Molyvos International Music Festival auf der Insel Lesbos.
Beim Molyvos Festival gibt es Open-Air Konzerte mit anspruchsvollen, zum Teil selten gespielten klassischen Werken auf hohem Niveau auf einer Insel, die vor dem 2015 gegründeten Festival gar keine Tradition mit klassischer Musik hatte. Foto: Eleonora Pouwels

Die Blätter rauschen im Wind. Man sitzt auf Plastikstühlen in einem Olivenhain mit Blick auf die genuesische Krimasti-Brücke aus dem 14. Jahrhundert. Plötzlich tauchen fünf Reiter auf, umkreisen mit ihren Pferden das Publikum und stellen sich vor der Bühne in einer Linie auf. Das mittlere scharrt mit dem Huf und senkt den Kopf – das 9. Molyvos International Music Festival auf der Insel Lesbos ist eröffnet. Hier hört man kein Klirren von Champagnergläsern, sondern die Glöckchen einer Schafherde. Und hochkarätige Musik in einer außergewöhnlichen Umgebung. Open-Air nicht als massentaugliches Klassikevent, sondern als echtes Erlebnis.

Schafherde statt Champagner

Das junge griechische Brüderpaar Stavros und Evripides Samaras spielt sich bei den acht Stücken für Violine und Cello op. 39 von Reinhold Glière die Bälle zu. Nur für dieses eine, gut einstündige Vorkonzert wurde die Bühne mitten in der Natur aufgebaut. Für das zweite am Folgeabend hat man sogar einen Flügel auf die Burg der Inselhauptstadt Mytilene gewuchtet. Die Sturmböen pfeifen in den Zinnen, aber nicht in den Lautsprecherboxen. Kiveli Dörken sitzt barfuß am Klavier, weil ihre Konzertschuhe voller Steinchen sind. Zum Abschluss kommt ihre vier Jahre ältere Schwester Danae neben sie, um unter dem Sternenhimmel fünf Ungarische Tänze von Johannes Brahms mit viel Temperament, aber auch intensiv ausgekosteten lyrischen Momenten zu interpretieren.

Die Sängerin Danae Kontora steht am Flügel mit einer Pianistin beim Molyvos International Music Festival auf der Insel Lesbos
Danae Kontora verlieh dem Lied „Kaddisch“ aus den „Deux mélodies hébraïques“ von Maurice Ravel Eindringlichkeit beim Eröffnungskonzert des Molyvos Festivals auf Lesbos . Die Sängerin beginnt in der kommenden Spielzeit am Badischen Staatstheater als festes Ensemblemitglied. Foto: Eleonora Pouwels

„Symbiosis“ ist das Motto des diesjährigen Festivals. Es geht um die Symbiose zwischen Mensch und Natur, aber auch um die Gefährdung der Lebensgrundlage. Das Klassikfestival haben Danae und Kiveli Dörken gemeinsam mit ihrer Mutter Lito Dakou im Jahr 2015 in Molyvos gegründet. Hier, wo ihre Großmutter lebte, verbrachten die deutsch-griechischen Schwestern in ihrer Kindheit jeden Sommer. Die klassische Musik entdeckten die ehemaligen Studentinnen der bekannten Klavierprofessoren Karl-Heinz Kämmerling und Lars Vogt in Deutschland. Im Molyvos International Music Festival vereinen sie beide Welten. Mit viel Aufwand und Leidenschaft bringen die beiden Pianistinnen jeden Sommer klassische Musik in höchster Qualität auf die drittgrößte griechische Insel und führen zusätzlich Vermittlungsprogramme an Schulen durch. „Molyvos Musical Moments“ heißen die kurzen Pop-Up-Konzerte, die jeden Tag an einem anderen Ort stattfinden – vom Hotelpool bis zum Strand. Danach geht es mit den Künstlern und Stammgästen zum Lunch in eines der zahlreichen Restaurants. Die starke Einbindung der Bevölkerung war von Beginn Teil des Konzepts. „Das Festival ist für uns eine echte Herzensangelegenheit“, sagt Danae Dörken. „Die Künstlerinnen und Künstler zeigen sich hier von ihrer offensten Seite“, bemerkt ihre Schwester Kiveli. „Und lassen sich ein auf die zum Teil wenig bekannten, dramaturgisch eng miteinander verknüpften Werke.“

Festival als Herzensangelegenheit

Beim mit „Alienation“ (Entfremdung) betitelten Eröffnungskonzert trifft David Orlowskys „Lyra“ für Klarinette und Streichquartett auf „Kaddisch“ aus den „Deux mélodies hébraïques“ von Maurice Ravel, dem Danae Kontora mit ihrem schlackenlosen Koloratursopran Eindringlichkeit verleiht. Die Sängerin beginnt in der kommenden Spielzeit am Badischen Staatstheater als festes Ensemblemitglied. Auch ein Repertoirestück wie Franz Schuberts Streichquintett wird, exzellent geführt von Antje Weithaas an der ersten Violine, zu einem tief bewegenden Wechselspiel zwischen Idylle und Abgrund. Weil die neue Bühne für die Burg in Molyvos, wo das Festival die ersten Jahre stattfand, immer noch nicht genehmigt ist, hat man einen ausgedienten Tennisplatz im Park des Hotels Delfinia in einen stimmungsvollen Konzertort verwandelt. Das Zirpen der Zikaden mischt sich mit der Meeresbrandung und, je nach Windstand, auch dem leisen Brummen des Generators zu einer echten Symbiose.

Treffen mit Lito Dakou im idyllischen Ortskern. Gerade hat Kirill Troussov noch mitten in der Basargasse in Badelatschen Paganinis 24. Caprice spektakulär zelebriert. Die temperamentvolle, umtriebige Mutter der beiden Schwestern kennt jeder im Ort. Das Budget von 270 000 Euro für das Festival muss die studierte Volkswirtin jedes Jahr neu auftreiben. Die Ticketpreise finanzieren nur rund 5 Prozent davon. 40 Prozent sind öffentliche Gelder, der Rest ist Sponsoring. Eigentliche läge das Budget deutlich höher, aber sie selbst, ihre Töchter und RBB-Toningenieur Kaspar Wollheim arbeiten neben den vielen Helferinnen und Helfern ehrenamtlich. Für die Zukunft wünscht sie sich eine gesicherte Finanzierung und die Rückkehr des Festivals auf die Burg. „Wir sind hier am Rande von Europa und repräsentieren mit unserem Festival europäische Kultur.“

Der Autor war auf Einladung des Festivals vor Ort.

nach oben Zurück zum Seitenanfang