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Aus für Herbstmess' Karlsruhe?

Alle Riesenräder stehen still: Manche Schausteller fürchten endgültiges Karriere-Aus

Nie wieder Jahrmarkt? Corona droht die Existenz zahlreicher Schausteller weg zu fegen. Im Herbst vergangenen Jahres haben sie ihr letztes Geld verdient. Die Pandemie zwingt sie, in ihrem Winterschlaf zu verharren. Einige glauben, dass ihr Geschäft gar nie mehr aufwacht.

Alle Räder stehen still: Beckers Riesenrad ist derzeit in Oldenburg geparkt. Geld bringt es ihm keines ein. Die Leasingraten für das Fahrgeschäft kann er kaum noch aufbringen.
Alle Räder stehen still: Beckers Riesenrad ist derzeit in Oldenburg geparkt. Geld bringt es ihm keines ein. Die Leasingraten für das Fahrgeschäft kann er kaum noch aufbringen. Foto: pr
Nie wieder Jahrmarkt? Corona droht die Existenz zahlreicher Schausteller wegzufegen. Im Herbst vergangenen Jahres haben sie ihr letztes Geld verdient. Die Pandemie zwingt sie, in ihrem Winterschlaf zu verharren. Einige fürchten, dass ihr Geschäft gar nie mehr aufwacht.

Der Rummel ist sein Leben. Enrico Becker ist Schausteller in der fünften Generation. Ein Leben ohne Riesenrad, gebrannte Mandeln und das schrille Gekreische der Jugend im Break-Dance-Karussell kann er sich nicht wirklich vorstellen.

Und doch könnte Enrico der letzte Schausteller in der Familie der Beckers sein. Die Branche steht vor dem Aus. „Corona hat uns kalt erwischt, im wahrsten Sinne des Wortes.“

Frustriert im pfälzischen Winterquartier

Frustriert sitzen die Beckers beim Kaffee. So wie sich das für den Berufsstand gehört, im eleganten Wohnwagen, neben dem Haus, im Winterquartier im pfälzischen Jockgrim. Und dieser Winter droht nie zu Ende zu gehen.

„Wir haben in diesem Jahr noch keine Einnahmen erzielt“, sagt Becker. Jeder Winter ist schwer zu überstehen. Im Sommerhalbjahr zieht das Unternehmen von Jahrmarkt zu Jahrmarkt.

Vage Hoffnung auf Karlsruher Herbstmess'

„Wir haben zwei Riesenräder, das Break-Dance-Fahrgeschäft und den Restaurationsbetrieb Almhütte.“ Das Karlsruher Frühlingsfest ist der traditionelle Auftakt in den Teil des Jahres, in dem die Schausteller ihre Brötchen verdienen.

Jetzt bleibt ihnen nur noch eine vage Hoffnung auf die Karlsruher Herbstmess’. Das Pforzheimer Frühlingsfest, das Bühler Zwetschgenfest, der Rastatter Jahrmarkt und der Gaggenauer Herbstjahrmarkt sind fest eingeplante Umsatzbringer.

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Ausgetanzt: Enrico Beckers Break-Dance-Karussell ist auf der Karlsruher Mess’ ein Renner – nicht in diesem Jahr. Foto: Weisenburger

Sie sind schon allesamt ausgefallen und abgesagt, wie so gut wie alle Jahrmärkte und Volksfeste. „Wir hatten erst Hoffnung, dass das alles schnell wieder vorbei geht.

Aber mit der Absage des Münchner Oktoberfestes ist ein Damm gebrochen“, so Becker. Seither hagelt es Absagen.

Karlsruher Herbstmess'? Ich habe große Bedenken.
Armin Baumbusch, Leiter des Karlsruher Marktamtes

"Ich hatte noch eine Resthoffnung für unsere Herbstmesse Ende Oktober“, sagt Armin Baumbusch, Leiter des Karlsruher Marktamtes. Doch dann verschob die Landesregierung die Aussicht auf Volksfeste von „nach dem 31. August“ auf „derzeit nicht absehbar“.

Damit schwindet auch die Zuversicht des Marktamtsleiters. „Ich habe große Bedenken“, sagt er.

Mehr als nur Bedenken hat Susanne Filder, Vorsitzende des Karlsruher Schaustellerverbandes. „Die Absagen im Frühjahr habe ich verstanden, die Gesundheit geht vor. Doch wenn die Absagen jetzt über den 31. August hinaus gehen, dann bekomme ich Angst.“

Die Soforthilfe für Schausteller ist längst aufgebraucht

Viele ihrer Kollegen seien bereits seit dem vergangenen Oktober in der Winterpause. Die Soforthilfe des Staates in Höhe von 9.000 Euro sei längst verbraucht.

„Nicht wenige Kollegen haben Hartz IV beantragt, viele bangen um ihre Krankenversicherung. Sie ist dankbar, dass das Marktamt die Herbstmesse noch nicht offiziell abgesagt hat. „Außerdem wurde auf unsere Bitte hin der Christkindlesmarkt für den kommenden Winter um eine Woche verlängert.“

Riesenräder kosten 25.000 Euro Leasing im Monat

Doch auf den Christkindlesmarkt kann Enrico Becker nicht warten. Mit seinen Zulieferern und Banken hat er kurzfristige Stillhalteabkommen verhandelt.

„Doch die Leasingraten für meine Riesenräder muss ich in voller Höhe leisten.“ Das ist mit 25.000 Euro monatlich kein Pappenstiel.

Eines seiner Riesenräder wurde im polnischen Posen von der Pandemie überrascht. „Wir durften nicht mahl mehr hinfahren, um es abzubauen.“

Auch ohne Fahrgäste müssen Fahrgeschäfte gewartet werden

Ein Mitarbeiter ist jetzt vor Ort, um es planmäßig zu schmieren und jeden dritten Tag eine Probefahrt zu unternehmen – ohne Publikum. Sein zweites Riesenrad war beim Hersteller zur Inspektion. „Es steht jetzt vor dem Tierpark eines Bekannten in Oldenburg.“

Ohne weitere Hilfe des Staates halte er allenfalls noch bis Juli oder August durch. „Alleine können wir nicht überleben.“

Seine Saisonarbeitskräfte hat er gar nicht erst eingestellt, die drei Festangestellte in Kurzarbeit geschickt. Für KfW-Kredite sei er zu klein.

Dass Freizeitparks aufmachen dürfen, ist ein Schlag ins Gesicht.
Enrico Becker, Schausteller aus Jockgrim

Es sei jetzt schwer zu sehen, wie alle anderen wieder loslegen dürften. „Dass sogar Freizeitparks aufmachen dürfen, ist für uns ein Schlag ins Gesicht. Für alle geht das normale Leben wieder los, nur für uns bleibt alles stehen.“

Wer diese Krise jetzt nicht überstehe, so Becker, der sei dauerhaft aus dem Geschäft. „Da wird sich für einen Neuanfang nach Corona keine Bank mehr finden und auch keinen jungen Schausteller, der dieses Risiko noch einmal eingehen will.“

Im schlimmsten Fall also, so Becker, müssten sich die Menschen auf eine Welt vorbereiten, in der es dann eine ganze Weile keine Achterbahnen, Riesenräder, Rummel und Jahrmärkte mehr gibt. Auch wenn sich Enrico Becker ein solches Leben nicht vorstellen will und eigentlich auch gar nicht kann.“

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