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Bestürzung in der Deutsch-Russischen Gesellschaft

Projekte mit Pforzheims Partnerstadt Irkutsk müssen verschoben werden

Der Krieg in der Ukraine macht auch die Mitglieder der Deutsch-Russischen Gesellschaft Pforzheim fassungslos. Unter den etwa 50 Frauen und Männern sind auch Menschen aus der Ukraine.

Ein Friedenszeichen: Beim 70. Jahrestag der Zerstörung Pforzheim beteiligten sich Sergej Elojan, Regina Prisjaschnikowa und Slawa Glinskij aus Irkutsk an der Mosaik-Aktion der Stadt auf dem Marktplatz.. ; Quelle: DRG-Archiv
(Die Namen stehen in dieser Reihenfolge im mittleren oberen Feld
Ein Friedenszeichen: Anlässlich des 70. Jahrestags der Zerstörung Pforzheims beteiligten sich im Jahr 2015 Sergej Elojan, Regina Prisjaschnikowa und Slawa Glinskij aus Irkutsk an der Mosaik-Aktion der Stadt auf dem Marktplatz. Foto: Katharina Leicht

Gerade begannen die Mitglieder der Deutsch-Russischen Gesellschaft (DRG) wieder über Projekte nachzudenken, die sie gemeinsam mit Pforzheims sibirischer Partnerstadt Irkutsk nach zweijähriger Zwangspause aufnehmen wollten.

Erst hatte die Pandemie alle Begegnungen verhindert, nun sorgt der russische Angriff auf die Ukraine dafür, dass in absehbarer Zeit kaum etwas davon umgesetzt werden kann.

„Die Stimmung ist ganz schlecht“, sagt Katharina Leicht, Vorsitzende der Deutsch-Russischen-Gesellschaft Pforzheim Enzkreis. „Wir haben natürlich auch Mitglieder, die aus der Ukraine stammen“, ergänzt sie und beschreibt, was Menschen aus Russland und der Ukraine verbunden hatte: „Neben den familiären Verbindungen war es auch die russische Sprache und die Literatur.“

Beides fasziniere auch die Mitglieder des vor 35 Jahren gegründeten Vereins, dem aber vor allem die Völkerverständigung am Herzen gelegen hatte.

Zentrales Anliegen war die Völkerverständigung

Leicht spricht von einer großen Trauer unter den Mitgliedern. „Es ist furchtbar.“ Sie kennt Ukrainer, die in Pforzheim arbeiten und nun um ihre Familien in der einstigen Heimat bangen. Sie alle seien völlig neben der Spur.

Leicht steht auch weiterhin in Kontakt mit der Familie von Georgij Kulikov, dem Sohn einer ehemaligen Zwangsarbeiterin aus der früheren Sowjetunion in Pforzheim. Dieser hatte im vergangenen Herbst mit Tochter Tatjana Kulikova seine Geburtsstadt Pforzheim besucht.

„Ich habe ihnen geschrieben, dass sie sofort kommen können.“ Wenn es ihnen denn gelingt, herauszukommen. Kulikova lebt in der ostukrainischen Stadt Charkiw, die derzeit bombardiert wird; sie habe sich in den Keller geflüchtet, berichtet Leicht.

Die studierte Slawistin hat über 30 Jahre an der hiesigen Volkshochschule russisch unterrichtet. Eine Beratungsstelle des Enzkreises bat sie nun, als Dolmetscherin zu helfen, wenn bald Flüchtlinge aus der Ukraine eintreffen.

Irkutsker nehmen eher russische Perspektive ein

Leicht ist seit 1990 mit fünfjähriger Pause Vorsitzende und war schon beim ersten Besuch in Irkutsk 1990 mit dabei, 2007 wurde der Partnerschaftsvertrag mit der sibirischen Stadt unterzeichnet.

Begegnungen und gemeinsame Projekte mit Irkutsk bilden den Kern der Aktivitäten der DRG. „Das wird auch von den Menschen aus der Ukraine mitgetragen.“

Leicht erzählt von einem Zoom-Meeting mit Irkutsker Freunden am vergangenen Sonntag, und sie berichtet von unterschiedlichen Positionen. Dort habe man eher eine Russland-zentristische Perspektive, „so wie die Menschen hier eine transatlantische Perspektive einnehmen“.

In der DRG sind auch Menschen aus der Ukraine

„Wir sprechen hier von Krieg, die Menschen dort von einer ,besonderen militärischen Operation.’“ Leicht sagt: „Es ist eindeutig ein Krieg. Wir in der Gesellschaft sind einfach nur bestürzt.“

Inwieweit ihre Irkutsker Bekannten offen sprechen, vermag sie nicht einzuschätzen, doch geht sie davon aus, dass es in der Partnerstadt verschiedene Positionen zum Krieg in der Ukraine gibt.

Die Ursachen und die Eskalation der vergangenen Wochen und Jahre sieht sie differenziert; sie erinnert etwa an das Minsker Abkommen, das auch von der Ukraine nicht erfüllt worden sei. Aber mit Waffen Ansprüche durchsetzen zu wollen, sei entsetzlich.

Wir lassen nicht zu, dass die Brücken abgerissen werden.
Katharina Leicht, Vorsitzende der Deutsch-Russischen Gesellschaft

Eine Botschaft hat Leicht aus der Zoom-Konferenz mit den Irkutskern mitgenommen, ein gegenseitiges Versichern: „Wir lassen nicht zu, dass die Brücken, die wir aufgebaut haben, abgerissen werden.“

Ähnlich hatte sich bereits Oberbürgermeister Peter Boch geäußert. Er erklärt nun erneut, man wolle am „zivilgesellschaftlichen Austausch“ mit Irkutsk festhalten. Frieden könne nur zwischen Menschen entstehen und dafür brauche es persönliche Begegnungen und den persönlichen Dialog miteinander, betont Boch.

2015 gestalteten Künstler aus Irkutsk anlässlich des 70. Jahrestags der Zerstörung Pforzheims Teile eines Mosaiks auf dem Marktplatz. Im Sommer 2019 war der letzte Pforzheimer Besuch in Irkutsk. Im Jahr darauf sollte der „Platz der Freundschaft mit Pforzheim“ feierlich eingeweiht werden. Corona machte den Plänen einen Strich durch die Rechnung. „Nach den Bildern zu urteilen, ist er sehr schön geworden“, sagt Leicht.

Die DRG hat bis heute nicht den Ort gesehen, der symbolisieren soll, was die Partnerstädte verbindet: Frieden und Freundschaft. Die vom Pforzheimer Bildhauer René Dantes eigens dafür geschaffene Skulptur ist längst am Zielort. Wann sie aufgestellt werden wird, das haben nun weder die Verantwortlichen in Irkutsk noch in Pforzheim in der Hand.

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