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Unternehmenskultur

Pforzheimer Projektmanager und Personalforscher sehen in Betrieben Grenzen der Demokratie

Flache Hierarchien, flexible Arbeitsbedingungen, gesunde Work-Life-Balance: Konzepte für die Zukunft der Arbeit im digitalen Zeitalter. Die „Arbeit 4.0“ stellt auch Pforzheimer Betriebe vor große Herausforderungen.

Ein Mann sitzt in einem gläsernen Raum an einem Schreibtisch. Davor steht ein weiterer Mann
Thost-Geschäftsleiter Mathias Heiser sitzt am Schreibtisch eines „Think-Tanks“. Der Rückzugsort für Einzelarbeit ist Teil des Raumkonzepts, welches Bedarfsplaner Sven Baade (links) entworfen hat. Foto: Müller

Wer die zweite Etage der Hauptfiliale von Thost auf der Wilferdinger Höhe betritt, blickt wohl zuerst nach rechts auf die beiden roten Designersessel, die als „Lounge“ zum lockeren Austausch einladen. Auf der linken Seite findet er einen weniger dekorativen Schrank mit Schließfächern, die mit den Namen der Mitarbeiter beschriftet sind.

Wir befinden uns in einem „non-territorialen“ Büro, erklärt Sven Baade, der bei Thost als Leiter der Bedarfsplanung für die „dynamische“ Raumaufteilung verantwortlich zeichnet.

„Durch die Projektarbeit ändert sich die Team-Zusammensetzung fortlaufend, deshalb soll sich die Arbeitsumgebung nach den Aufgaben richten“, erklärt er. „Jeder kann morgens kommen und sich seinen Platz selbst aussuchen.“

Kein fester Schreibtisch, Rückzugsorte für Einzelarbeit

Die Mitarbeiter können unter anderem wählen, ob sie sich langfristig in einem der mit Bildschirmen und Flipcharts bestückten Projekträume einrichten, für ein kurzes Brainstorming die sechs Plätze an der „Workbench“ im offenen Raum nutzen, oder sich zur konzentrierten Einzelarbeit in einen der „Think Tanks“ zurückziehen.

„Unsere zweite Etage ist eine Pilotfläche. Diese Woche werden wir an unserem Standort in Karlsruhe eine zusätzliche Fläche schaffen, die dem Modell aus Pforzheim folgt“, eröffnet Geschäftsleiter Mathias Heiser.

Förderung der persönlichen Entwicklung

Die dynamische Raumkonzeption ist nicht der einzige Weg, auf dem Thost seinen Mitarbeitern ein fortschrittliches Arbeitsumfeld bieten will. Im internen „Leitbild für Führung und Zusammenarbeit“, verpflichtet sich das Unternehmen zu einer transparenten Kommunikations- und Feedback-Kultur sowie zur Förderung der persönlichen Entwicklung aller Mitarbeiter.

Um den Austausch „auf Augenhöhe“ mit den Führungskräften zu fördern, nutzen die Mitarbeiter von Thost seit diesem Jahr außerdem das innerbetriebliche soziale Netzwerk eines Anbieters, der „Kommunikation, die alle glücklich macht“ verspricht.

Ist Work-Life-Balance wichtiger als Selbstverwirklichung?

Thost-Mitarbeiter können auch von Zuhause aus arbeiten. Das Angebot werde zwar relativ wenig genutzt, sagt Baade, „aber allein die Möglichkeit schafft eine gewisse Zufriedenheit“, ist er überzeugt.

Die Generation Y hat einen viel höheren Anspruch an die Work-Life-Balance als die Generationen davor.
Mathias Heiser, Geschäftsleiter Thost Projektmanagement

„Die Generation Y, die nach durchgetaktetem G8 und durchgetaktetem Bachelor-Studium jetzt in den Beruf einsteigt, hat einen viel höheren Anspruch an die Work-Life-Balance als die Generationen davor“, meint Heiser. Dieser Anspruch wiege letztlich schwerer als derjenige, sich unter dem Teilhabe-Versprechen der Digitaltechnik beruflich selbst zu verwirklichen.

Mit flachen Hierarchien, so legen Baade und Heiser nahe, kann allein die Kommunikation gestaltet werden, wenn es aber um Verantwortung geht, seien Führungskräfte unentbehrlich. Eine demokratische Unternehmensstruktur scheitere am Verantwortungsgefühl des Einzelnen.

Heiser formuliert das, was in der Sozialwissenschaft als Tragödie des Allgemeinguts bezeichnet wird: „Wenn allen alles gehört, warum sollte jemand dann noch mehr machen als ihm selbst dient?“ Den Trend zur demokratischen Arbeit im Digitalzeitalter gelte es deshalb kritisch zu hinterfragen.

Personalforscher Fischer: Mitbestimmung als Wettbewerbsvorteil

Stephan Fischer sieht das anders. Als Direktor des Instituts für Personalforschung an der Hochschule Pforzheim und Professor für Personalmanagement gilt er als Experte auf den Gebieten „New Work“ und agile Unternehmensführung. „Der Trend zum kollaborativen Arbeiten und die Verlagerung der Entscheidungsgewalt auf Teams ist keine Sozialromantik, sondern im operativen Tagesgeschäft ein Wettbewerbsvorteil“, stellt Fischer klar.

Wo die Mitarbeiter den Chef wählen

Dass die zahlreichen Untersuchungen zum Mehrwert demokratischer Beteiligung keine akademischen Hirngespinste sind, beweise das Schweizer Softwareunternehmen Haufe-Umantis, dessen Geschäftsführer Marc Stoffel seit 2013 fünfmal in Folge von der Belegschaft gewählt wurde.

Auch in Deutschland ändern alteingesessene Unternehmen ihre Unternehmenskultur vom hierarchischen „Top Down“ zum „Bottom Up“-Prinzip: „Leadership 20X“ heißt ein Projekt von Daimler, das mit „dezentralen, schwarmartig arbeitenden Teams“ einen solchen „Kulturwandel“ hin zu mehr „Agilität“ und Kollaboration erreichen will. Der Synergie-Effekt ist Fischer zufolge nachvollziehbar: Mitarbeiter mit Mitspracherecht seien motivierter. Und bereit, mehr zu leisten.

Schattenseiten der neuen Arbeit

Die emotionale Bindung zum Unternehmen, das „Affektive Commitment“ könne aber auch in Selbstausbeutung kippen, beleuchtet der Hochschulprofessor die Schattenseiten des Kulturwandels. Schon in den 70er Jahren hätten Versuche mit teilautonomen Arbeitsgruppen gezeigt, dass ein Gruppenzwang zur Aufopferung entstehen kann.

Auch die Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen sei einerseits ein Segen für die Vereinbarkeit etwa von Beruf und Familie. „Andererseits“, so Fischer, „haben manche Großbetriebe, wie das US-amerikanische IT-Unternehmen IBM 2017, das Home-Office wieder abgeschafft, weil die Mitarbeiter im direkten Austausch produktiver waren.“

„Augenhöhe“ oft nur behauptet

„Wenn alles demokratisch organisiert werden soll, muss man Karriere neu definieren“, meint Fischer. „Die immaterielle Vergütung und die Frage, ob das Unternehmen die Chance zur Selbstermächtigung bietet, wird eine größere Rolle spielen.“

Bestehende Strukturen fänden darauf nur bedingt eine Antwort: „Bei aller Augenhöhe, die oft behauptet wird, liegt die Informationshoheit in den meisten Fällen noch immer bei der Unternehmensführung“, sagt Fischer.

Wer dagegen das kollaborative Potenzial einer hierarchisch flachen Organisation nutzen will, „der muss entweder neue Vergütungsmodelle finden oder sich die Frage stellen, ob das Unternehmen der Zukunft nicht eine Genossenschaft sein sollte.“ Natürlich nur, insofern eine solche sozialistische Strategie den Business-Erfolg in einem kapitalistischen System garantiert.

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