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Bundesliga-Aufstieg vor Augen

Jung-Trainer, Kult-Captain, Stadion-Kita: KSC-Gegner FC St. Pauli geht seinen eigenen Weg

Der FC St. Pauli ist kein Club wie jeder andere. Am Samstag kommen die Kiez-Kicker nach Karlsruhe. Dort hatte deren Erfolgsstory gewissermaßen ihren Ursprung.

Kapitän Jackson Irvine (rechts) und Marcel Hartel jubeln beim Zweitliga-Spiel des FC St. Pauli beim VfL Osnabrück über ein Tor.
Kapitän Jackson Irvine (rechts) und Marcel Hartel sind mit dem FC St. Pauli der Bundesliga ganz nah. Foto: Titgemeyer/imago images

In Karlsruhe fing vor knapp eineinhalb Jahren alles an. Der FC St. Pauli war – rückblickend betrachtet – am 12. November 2022 am Tiefpunkt angekommen.

Nach einem irrwitzigen 4:4 gegen den KSC gingen die Hamburger mit nur einem Punkt Vorsprung auf Schlusslicht Sandhausen und somit akut abstiegsgefährdet in die Winterpause.

Noch vor Weihnachten löste Fabian Hürzeler, damals erst 29 Jahre jung, Timo Schultz als Trainer ab und am Millerntor nahm eine sagenhafte Erfolgsgeschichte ihren Lauf.

Von 44 Ligaspielen verlor Hürzelers Mannschaft in den vergangenen 14 Monaten gerade einmal vier. Nach dem 2:1-Sieg gegen den SC Paderborn am Sonntag, dem 16. im 27. Saisonspiel, beträgt der Vorsprung des Zweitliga-Spitzenreiters auf Rang drei bereits satte elf Punkte.

Vor der Rückkehr nach Karlsruhe am kommenden Samstag (20.30 Uhr/Sky) besteht kaum mehr ein Zweifel, dass die Kiez-Kicker ab Sommer im Oberhaus mitmischen werden. Vor wenigen Tagen rechnete die Deutsche Fußball Liga (DFL) auf ihrer Zweitliga-Webseite bereits vor, wann Pauli den Aufstieg auch rechnerisch perfekt machen kann.

FC St. Pauli bleibt sich als HSV-Gegenmodell treu

Hürzeler sind derlei Gedankenspiele suspekt. „Wir dürfen uns an den ganzen Rechenthematiken und Spekulationen nicht beteiligen“, hatte er vor dem Paderborn-Spiel gefordert und versichert, dass die Tabellensituation in der Mannschaft kein Thema sei.

Der Club mit dem Totenkopf bleibt sich treu als Gegenmodell zum stolzen wie ambitionierten Stadtrivalen im Hamburger Nordwesten. Die Geschichte hätte für alle Paulianer ja besonderen Charme: Die wilden Kerle vom Millerntor stürmen nach 13 Jahren Abstinenz in die Bundesliga, während der große HSV, aktuell nur Vierter, auch im sechsten Anlauf die Rückkehr verpasst.

Defensive ist beim FC St. Pauli der Schlüssel zum Erfolg

Noch ist es nicht so weit. Die Momentaufnahme vor dem 28. Spieltag zeigt allerdings einen FC St. Pauli, der sportlich aus dem Schatten seines Konkurrenten getreten ist. Hürzelers Team setzt vor allem in der Defensive Maßstäbe. Der Wille, das eigene Tor zu schützen, ist ebenso groß wie die Bereitschaft, nach Ballverlusten den Rückwärtsgang einzulegen.

Kein Zweitligist legt mehr Kilometer zurück und spult mehr intensive Läufe ab als die Paulianer, bei denen in dieser Hinsicht Marcel Hartel und Hauke Wahl zu den Spitzenkräften der Liga zählen. Der Lohn: die mit Abstand wenigsten Gegentore im Unterhaus (26).

Die defensive Stabilität sei der Schlüssel zum Erfolg, hatte Hürzeler zu Saisonbeginn betont und damit recht behalten. Doch auch in der Offensive ist der Knoten nach drei Nullnummern in Folge an den Spieltagen zwei, drei und vier längst geplatzt.

Torgarant Hartel und ein treffsicheres Sturmduo

Für ihren Gegner sind die Hamburger nur schwer auszurechnen. Ihre 3-4-3-Grundordnung passen sie flexibel an die Gegebenheiten an, wobei sich die Spieler selbst zwar an Prinzipien orientieren, aber keinem festen Schema folgen sollen.

„Ich sage den Spielern nicht, dass sie von A nach B, von B nach C und dann von C nach D spielen müssen. Sie dürfen bestimmte Räume frei belaufen“, hatte Hürzeler einmal seine Philosophie für den Angriff umrissen.

Da verwundert es nicht, dass in Hartel ein gelernter Mittelfeldspieler der mit Abstand beste Torschütze ist (15). Dahinter folgen die Stürmer Johannes Eggestein und Elias Saad mit je sieben Treffern. Als unangefochtener Leader geht aber Jackson Irvine voran. Der australische Nationalspieler besitzt bei den Fans Kultstatus.

Lackierte Fingernägel und lila Strähnen: Irvine als etwas anderer Captain

Irvine hat tätowierte Unterarme und lackierte Fingernägel, färbt sich schon mal lila Strähnen in die Haare, fährt U-Bahn statt Auto, engagiert sich politisch und sozial. Unter anderem setzt sich der 31-Jährige für die LGBT-Community ein.

Zu dem etwas anderen Fußballclub passt er damit wie die Faust aufs Auge. Pauli versucht sich seit Jahren an dem Spagat, im Milliardengeschäft mitzumischen und gleichzeitig die eigenen Werte zu leben – kurz gesagt, „das richtige Leben im falschen zu führen“, wie der Verein selbst einmal schrieb.

Beispiele sind die eigene Stadion-Kita, der „FC Lampedusa St. Pauli“ als Fußballprojekt für Geflüchtete und die zuletzt forcierte Idee, die finanziellen Probleme mit der Gründung einer Genossenschaft zu lösen.

Die Kicker vom Kiez gehen ihren eigenen Weg – und der wird sie aller Voraussicht nach in wenigen Wochen zurück in die Bundesliga führen. Am Wochenende machen sie Zwischenstation in Karlsruhe. Dass sie den Wildpark vor knapp eineinhalb Jahren als Abstiegskandidat verließen, klingt inzwischen fast so unglaublich wie Paulis Erfolgsgeschichte.

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