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Bewegte Fußball-Historie

SC Freiburg: Wie es der badische Underdog ins DFB-Pokalfinale geschafft hat

Von der Nummer zwei in der Stadt bis ins Finale des DFB-Pokals: Der SC Freiburg hat eine bewegte Fußball-Historie. Und die vergangenen Jahre prägte vor allem der Trainer, Christian Streich.

Freiburgs Trainer Christian Streich gestikuliert an der Seitenlinie.
Der Star ist der Trainer: Christian Streich gibt beim SC Freiburg den Ton an und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Breisgauer das Finale im DFB-Pokal erreicht haben. Foto: Marius Becker/dpa

Sie bildeten ein kongeniales Paar auf allen möglichen Amateurplätzen: Achim Stocker und sein wuscheliger, kleiner Hund Tommie. Ob unter 200, 300 Zuschauern irgendwo in Dörfern Baden-Württembergs, Bayerns oder bei einer Spritztour gen Norden: Das vertraute Duo hielt sich stets abseits der Zuschauer auf. Mit Pepitahut und Brille sah der frühere Präsident des Sport-Club Freiburg wie ein Detektiv aus. Und er war in den 1970er, 80er und 90er Jahren ja auch zum Spionieren da.

Stocker beobachtete auf zahllosen Plätzen Talente, die er versuchte, an den eigenen Verein zu binden. Unter anderem auch den damals 18-jährigen Joachim Löw, der es später noch weit brachte. Zu jener Zeit war Stockers Leib- und Magenverein, der 1904 gegründet wurde, noch eine ganz kleine Nummer im Fußball – am Samstag steht er erstmals im DFB-Pokalfinale gegen RB Leipzig.

Berlin markiert für den SC Freiburg zunächst den Endpunkt einer wilden Reise durch die Jahrzehnte, einem abenteuerlichen Hopping zwischen Amateur-, Zweitliga und seit 1993 erstmals der Beletage des deutschen Profifußballs. Die Leidenschaft, Leidensfähigkeit, Demut, die fest im Herzen eingeprägte Vereins-DNA war bei Stocker, der am 1. November 2009 verstarb, so ausgeprägt wie beim heutigen Kulttrainer Christian Streich.

Achim Stocker war einst permanent auf Betteltour

Freilich war der einst permanent auf Betteltour befindliche Stocker („Ich habe mich für diesen Verein erniedrigen lassen“), um Spieler und Rechnungen bezahlen zu können, der Pionier beim Arbeiterverein, der Hansdampf in allen Gassen, während Streich heutzutage ein ganzes Team starker Fachkräfte um sich weiß.

Trainer Volker Finke (links) vom SC Freiburg geht vor einem Fototermin des Zweitligisten im Badenova-Stadion mit dem Präsidenten Achim Stocker (rrechts) ins Stadion.
Erfolgsduo: Trainer Volker Finke (links) und Präsident Achim Stocker etablierten den SC Freiburg in den 90er Jahren im Kreis der Top-Teams in Deutschland. Foto: Patrick Seeger/dpa

Als Sparfuchs Stocker, der vom Kleben von Spielankündigungen an Litfaßsäulen bis zum Schmieren von Stullen für Journalisten quasi jeden Job im Verein übernahm, 1978 erstmals in die damals zweigeteilte Zweite Bundesliga aufstieg, war der Sport-Club gar nur die Nummer zwei in der Stadt.

Da regierte der Freiburger FC, bei dem sich einige Altvordere heute noch was auf die deutsche Meisterschaft von 1907 einbilden, als Traditionsverein wie vom hohen Ross. Der damalige FFC-Präsident Rolf Jankovsky wollte den kleinen Emporkömmling in Ermangelung eines profigerechten Stadions nicht ins eigene Reich lassen: „Für die gibt es im Mösle keinen Platz.“

Zur Jahrtausendwende war der hoch verschuldete FFC dann im Amateurlager verschwunden, und der Sport-Club auch dort Hausherr, zwei Kilometer Luftlinie vom Dreisamstadion entfernt. Im Mösle entstand 2001 das heute mit Bestnoten bedachte Nachwuchsleistungszentrum.

Ex-Profi Andreas Bornemann war der erste Leiter, später folgte Jochen Saier, der heute Sportvorstand ist. Sie legten die Saat, die seit zwei Jahrzehnten reichlich Früchte trägt. Christian Streich, der 1995 den Nachwuchs übernahm, entwickelte dort heutige Vorzeigespieler wie Kapitän Christian Günter oder Nicolas Höfler.

Mit Volker Finke kam der Schritt in die bessere Zukunft

1991 war Stocker mit der Verpflichtung von Volker Finke der erste entscheidende Schritt für eine bessere Zukunft nach tristen, grauen Jahren im Zweitliga-Niemandsland gelungen. Vor der 16 Jahre andauernden Herrschaft des Norddeutschen, einer Mischung aus kühlem Vernunftmensch und tollkühnem Visionär, hatte der rührige Vereinschef jahrein, jahraus Trainer verschlissen und gefeuert wie heute notorische Krisenclubs (HSV, Hertha BSC, Wolfsburg).

Die lange Liste umfasste: Manfred Brief, Heinz Baas, Jupp Becker, Norbert Wagner, Lutz Hangartner, Werner Olk, Fritz Fuchs, Anton Rudinsky, Jörg Berger, Lorenz-Günter Köstner, Bernd Hoss, Eckhard Krautzun.

Rote und weiße Rosen verteilt Volker Finke, Trainer des SC Freiburg, im ströhmendem Regen nach dem 2:1-Heimsieg gegen die Stuttgarter Kickers an die jubelnden Fans. Der SC Freiburg hat den Aufstieg in die erste Bundesliga geschafft.
Blumen als Dank: Trainer Volker Finke verteilt rote und weiße Rosen nach dem Aufstieg in die Erste Bundesliga an die Fans. Foto: Patrick Seeger/dpa

Doch dann kam Finke. „Mit dem könnte es was werden“, hatte Stocker gleich nach der Unterschrift ein gutes Gefühl gehabt. Der beurlaubte Studienrat mit der Oberlehrer-Attitüde, der zuvor den völlig unbekannten TSV Havelse in die zweite Liga geführt hatte – Finke trainierte zuvor insgesamt 21 Mannschaften, auch im Tischtennis und Volleyball –, stellte die Struktur des Vereins völlig auf den Kopf.

Der in mehreren Schritten erfolgte Ausbau des Dreisamstadions, die Errichtung einer überdachten Stehtribüne und modernen Flutlichtanlage, der Einbau von Solarzellen auf dem Stadiondach, größere Kabinen und Toiletten, die Erweiterung des Fassungsvermögens von 15.000 auf 24.000 Zuschauer, die Einführung eines professionellen Managements – Optimierungsfreak Finke drehte am Rad und hauste derweil hinter der Haupttribüne in seinem engen Container-Kabuff. Oftmals verbrachte er dort mehr Zeit als in seinen eigenen vier Wänden.

Am frühen Morgen nach den Spielen saßen die charakterlich völlig unterschiedlichen Typen Finke und Stocker dort zusammen, schauten sich die Videoaufzeichnungen an und redeten sich die Köpfe heiß über gelungene und weniger gelungene Aktionen.

Wenn Stocker den Schuppen verließ, sah er im Zigarettendunst – Finke mochte Selbstgedrehte – nichts mehr, hatte aber den vollen Durchblick bezüglich der Form der Spieler. Der Trainer meinte damals: „Havelse war für mich das Experimentierfeld, was man mit einem Mannschaftskonzept erreichen kann, wenn der Verein keine großen finanziellen Möglichkeiten hat.“

Finke führte SC Freiburg in UEFA-Cup

Aus dem „SC Stocker“ wurde der allmächtige „SC Finke“. Der Vorsitzende ließ dem dominanten, fortschrittlichen, fordernden Trainer alle Freiheiten – und Finke lieferte. Bereits in seiner zweiten Saison führte er den Sport-Club 1993 erstmals in die Bundesliga. Zwei Jahre später zogen die Südbadener nach einer herausragenden Spielzeit auf Rang drei sogar ins internationale Geschäft ein., auch das eine Premiere. Die UEFA-Cup-Teilnahme wurde 2001 wiederholt.

Der Vordenker mit seinem eigenen Strandkorb an der Seitenlinie („Er war ein guter Schutzraum nicht nur gegen Regen“) war auch der erste, der die vom Italiener Arrigo Sacchi erfundene Taktik der Spielverlagerung in der Bundesliga einführte. Das Kurzpass-Spiel und das Überzahlschaffen in Ballnähe bildeten eine erfolgreiche Symbiose. Der Begriff „Breisgau-Brasilianer“ machte die Runde. Selbst ein Literat wie Günter Grass wurde zum krassen SC-Fan.

Der geborene Pessimist Stocker mischte sich im Gegensatz zu früher nicht mehr in die Belange des Trainers ein. Doch neben all den Jahren im steten Voranschreiten gab es eben auch Saison-Aussetzer, die zu drei Abstiegen führten. Irgendwann hatte sich das Modell Finke überholt. Als der Niedersachse 2007 zur Demission gedrängt wurde, waren der Verein und das Fanlager tief gespalten.

Stocker, der sich nicht im Guten vom „ewigen Finke“ trennte, installierte Robin Dutt als Nachfolger. Der akribische, fleißige, datenhörige Schwabe („Meine Mannschaft ist immer eine der fittesten“) führte den Verein aus seiner Krisensituation und nach zwei Jahren wieder in die Bundesliga. Nur ein Jahr später verließ Dutt überraschend den Breisgau.

Christian Streich erst Retter und jetzt Kulttrainer des FC Freiburg

Marcus Sorg erwies sich danach als bislang einziger Trainer-Flop des SC seit der Bundesliga-Zugehörigkeit. Der ruhige und sachliche Diplom-Ingenieur, für den die Bundesliga-Bühne „nie ein erklärtes Ziel“ war, fand keinen Zugang zu den Profis und wurde nach einer Spielerrevolte und dem Abrutschen auf den letzten Platz nach nur fünf Monaten von seiner Last befreit.

Plötzlich in größter Not erinnerte man sich an Christian Streich, der 16 Jahre lang die A-Jugend coachte. „In der letzten Minute von 24 Stunden, habe ich mich gefragt: Was passiert, wenn ich es nicht mache“, erklärte er später den „11 Freunden“., einem Magazin für Fußballkultur. Er machte es. Und wie. Damals führte Streich den Verein wie in allen Jahren danach – 2015 bildete die tränenreiche Ausnahme – aus der Gefahrenzone. In einer Topsaison wie 2013 und der gerade beendeten reicht es bis in den Europacup.

Wie Finke, der auch gerne mit dem Rad zum Arbeitsplatz fuhr, ist er besessen vom Teamgedanken. Nur im Kollektiv können sie sich jede Saison behaupten. „Die Bundesliga ist gnadenlos“,sagt Streich. Wenn ein einer wie Nico Schlotterbeck, der beim SC eine großartige Entwicklung genommen hat, den Verein verlässt, beklagt er sich nicht. „Wenn sie eines Tages groß geworden sind, gehen sie halt.“ Streich bleibt zum Glück.

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