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Neues aus dem Elternleben

Die Legende vom heiligen Eltern-Gral

Wie das Leben wohl sein wird, wenn die Kinder nicht jeden Tag dutzendfach in Tränen ausbrachen? Das fragen sich Kleinkindeltern ziemlich oft. Der erste Tag ohne Tränen ist deshalb eine Art heiliger Gral für sie. Doch Legenden haben so ihre Tücken.

Die Welt ist bunt: Vor allem mit Kindern.
Die Welt ist bunt: Vor allem mit Kindern. Foto: Dolgachov/Fotolia

Es gibt ein Ereignis, von dem träumen Kleinkindeltern. Wie ein verheißungsvoller Stern schwebt es im Himmel der Zukunft und kündet von einer besseren Zeit: der erste Tag ohne Tränen. Zahlreiche Mythen ranken sich um diesen Tag, an dem man zum ersten Mal nicht von einem Kind geweckt wird, das infernalisch lautes Brüllen für eine angemessene Maßnahme hält, seine Eltern aus dem Bett zu bewegen. Es ist der Tag, an dem zum ersten Mal kein Kind jede einzelne Mahlzeit mit Wuttränen quittiert; der Tag, an dem das Haarewaschen klappt, ohne dass man das Gefühl hat, sich an Folterhandlungen zu beteiligen; der Tag, an dem ein „Nein“ nicht eine Tragödie auslöst. Sagen künden davon, wie es sein wird, wenn der eigene Nachwuchs nicht mehr aus von außen unersichtlichen Gründen laut kreischend und mit der Faust auf den Boden schlagend im Gang des Supermarkts liegt. Oder wenn das morgendliche Anziehen nicht in Tränen endet, weil man sich weigert, dem Kind das verdreckte Lieblings-T-Shirt den dritten Tag hintereinander anzuziehen.

Für junge Eltern ist der erste Tag ohne Tränen so etwas wie der Heilige Gral. Eine Legende, an deren reale Existenz man nicht wirklich glaubt, während man doch immer irgendwie auf der Suche nach ihr ist. Dies ist vermehrt der Fall, wenn der Nachwuchs mal wieder eine seiner „Phasen“ hat, in denen die Gründe für die Tränen täglich absurder werden: ein auf der falschen Seite sitzender Zopf, eine Mahlzeit, deren einzelne Komponenten sich verbotenerweise berühren – nichts ist dann noch zu banal, um mit Tränen quittiert zu werden.

Die Vorfreude auf den ersten Tag ohne Tränen wird jedoch getrübt, sobald man sich an Eltern wendet, die ihn schon erlebt haben. „Ach, das kommt um die Schulzeit herum“, sagen sie dann ernüchternd. Wenn das jüngste Kind sieben ist, etwa, fügen sie grausam hinzu. Besonders nihilistische Gemüter sagen: „Ach, das habe ich gar nicht so mitgekriegt“ – eine schockierende Antwort für jemanden, dessen Nachwuchs an einem durchschnittlichen Dienstag noch vor Verlassen des Hauses in Sachen Kindertränen die Zehnermarke knackt. Doch statt Erbarmen zu zeigen, folgt der Todesstoß: „Zu dieser Zeit gibt es so viele neue Probleme, da rückt das in den Hintergrund.“ Und so bleibt der heilige Gral eben, was er ist – eine Legende.

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