Skip to main content

Schillernd und umstritten in den wilden Nachkriegsjahren

Gundula Axelsson forscht zum Ettlinger Bürgermeister Fritz Strauss

Er war so schillernd wie umstritten: Fritz Strauss, ersten Bürgermeister von Ettlingen nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Ettlinger Historikerin Gundula Axelsson hat viele neue Dokumente in Archiven über den späteren Karlsruher Landrat gefunden.

Mann am Schreibtisch
Fritz Strauss war in Ettlingen nur kurze Zeit Bürgermeister, direkt nach dem Zweiten Weltkrieg. Über ihn forscht die Historikerin Gundula Axelsson. Foto: Werner Bentz

Sein Grabstein ist auf einem jüdischen Friedhof in Karlsruhe, Ehre erweist ihm aus Ettlinger kaum einer. Ein Vertreter des Landrats dürfte, wenn überhaupt, nur selten vorbeikommen: Fritz Peter Strauss, erster Nachkriegsbürgermeister Ettlingens, später dann Karlsruher Landrat, ist und bleibt schillernd und umstritten.

Dies vermutlich nicht nur, weil er Jude war: Strauss bot aufgrund von kleineren Straftaten, die er in der Weimarer Republik im Alter zwischen 17 und 20 Jahren beging, seinen politischen Gegnern leichte Angriffsflächen für Polemiken. Und als die Anfeindungen gegen seine Person in Ettlingen 1947 und 1948 immer mehr kulminierten, konnte sich Strauss wegen einer Blutkrebs-Erkrankung nur schwer wehren.

Als er mit gerade 45 Jahren 1948 an seiner Krankheit starb, gab es nur wenige, die noch gut über ihn sprachen.

Gundula Axelsson, in Ettlingen wohnende Historikerin, ist schon seit Jahren dabei, aufzuhellen, was sich hinter der Persönlichkeit von Fritz Strauss verbarg. Klar ist, dass der 43-Jährige, als am 4. April 1945 die französischen Militärs Ettlingen besetzten, eine Idealbesetzung für die neuen Machthaber war: Er war Verfolgter des Naziregimes. Er sprach fließend Französisch, da er in den 1930er-Jahren einige Zeit in Paris gelebt und das Schneider-Handwerk ausgeübt hatte.

Strauss kam am 18. April 1945 ins Ettlinger Bürgermeisteramt. Am 11. April notiert der Ettlinger Weinhändler und Ehrenbürger Karl Springer im seinem Tagebuch: „Abends erkennen wir den Juden Strauss, den Schwiegersohn von Frau Netzer.

Die Historikerin Gundula Axelsson in ihrem Arbeitszimmer mit Buch
Die Historikerin Gundula Axelsson hat viel über Fritz Strauss, den ersten Nachkriegsbürgermeister Ettlingens, recherchiert. Foto: Andrea Fabry

Er soll Bürgermeister in Ettlingen werden. Er kam über den Marktplatz, als Dörich. der Amtsbote, ausschellte. Er begrüßte ihn freundlich mit Händedruck. „Der freundlichen Geste zu Beginn des Bürgermeisteramts folgte einige Monate später der größte politische Skandal in der Nachkriegsgeschichte”, schrieb Axelsson schon vor Jahren „365o - Ettlinger Geschichte(n)„ Strauss-Mitarbeiter Josef Rummel sagte einmal zu dessen Amtsführung: „Er war im Umgang mit Petenten aller Art, die am Anfang Tag für Tag sein Amtszimmer belagerten, nicht immer zimperlich.” Er habe auch die Auffassung vertreten, uneinsichtigen Nazis sei nur mit brutaler Gewalt zu begegnen.

Amerikaner suspendierten Strauss als Landrat

Strauss, der kurz vor dem Übernahme Ettlingens durch die Amerikaner Anfang Juli zum Landrat im Kreis Karlsruhe aufgestiegen war, wurde im Oktober 1945 vom Amt suspendiert. Strauss habe in den ersten Wochen seiner Tätigkeit als Landrat ein gutes Verhältnis zu den amerikanischen Militärbehörden gehabt, so Axelsson.

In ihrem Essay damals ging sie nicht ein, was die Gründe der Entfernung von Strauss aus diesem wichtigen Amt gewesen sind. Sie schrieb von anhaltenden Beschwerden und Gerüchten der Ettlinger Bevölkerung, die die Amerikaner veranlasst haben, einen neuen Landrat zu suchen.

Doch mittlerweile weiß Axelsson, die sich im Auftrag des Landkreises Karlsruhe intensiv aktuell mit der Lebensgeschichte von Fritz Strauss beschäftigt, weshalb Strauss am 9. Oktober 1945 von den amerikanischen Militärbehörden aus dem Amt entfernt wurde. „Er hat bei seinem Einstellungsgespräch gegenüber einem amerikanischen Offizier seine ein Vierteljahrhundert zurückliegenden Jugendstrafen verschwiegen”, erläutert Axelsson. Strauss sei davon ausgegangen, dass seine in den Jahren um 1920 begangenen verschiedenen Straftaten längst verjährt und vergessen seien.

Die Weimarer Republik hatte im Vergleich zum Kaiserreich und später zum Dritten Reich ein einigermaßen fortschrittliches Straftilgungsgesetz.

Alte Strafakten den Amerikanern zugespielt?

Axelsson vermutet, dass interessierte politische Gegner den Amerikanern Informationen über die „Jugendsünden” von Strauss aus alten Akten zuspielten. Denn im Gegensatz zum heutigen Strafrecht, gab es damals für Strafen, die längst verjährt sind, keinen Anspruch auf „Vergessen”.

Wer in Gemeinderatsprotokollen von Ettlingen vom Sommer 1945 schaut, erkennt dass dort die Stimmung schon im Juni sich gegen Fritz Strauss wandte. Dem Wunsch des Bürgermeisters eine städtische Villa als „Bezahlung“ für seine kurze Amtszeit zu erhalten, entsprach die Mehrheit nicht. Stattdessen diente man ihm ein freies Baugrundstück an.

Aber Axelsson sieht in erste Linie Mangel an Toleranz der alteingesessenen Ettlingen Bevölkerung gegenüber einem Juden an der Rathausspitze als mitursächlich. Als Quelle zieht sie unter anderem das Tagebuch des Weinhändlers Springer heran: „Ein Jude, Ettlinger Bürgermeister! Das ist Vergeltung für die schimpfliche Behandlung, die die Nazis den Jugend haben zu teil werden lassen.”

Karl Springers Tagebuch

Karl Springer habe in seinem Tagebuch niedergeschrieben, was viele Ettlinger in dieser Zeit empfanden: Ein Jude, der überlebt hatte, erhält durch die Franzosen das höchste Amt in der Stadt und bekomme so die Möglichkeit, über die Menschen in der Stadt zu richten. Und Axelsson weiter: Es ist keineswegs so gewesen, dass mit dem Ende der Hitler-Diktatur der Antisemitismus sich in Luft aufgelöst hätte.

Umfragen der Amerikaner in der Zeit, bestätigten die Vermutung, dass dieser weiter tief in der Bevölkerung verankert gewesen sei. Amerikanische und Britische Berichterstatter, die 1945 durch Deutschland reisten, seien erstaunt gewesen über die Gleichgültigkeit der Deutschen über die Judenvernichtung.

Viele hätten sich in erster Linie angesichts der totalen Niederlage des Deutschen Reiches selbst als Opfer gesehen. Für einen Bürgermeister wie Strauss sei es folglich doppelt schwierig gewesen, in den äußerst schwierigen ersten Tagen nach Kriegsende ein solches Amt in Ettlingen zu führen. Die materielle Not vieler Menschen sei zu groß gewesen.

Die Lösung erwarteten sie vom Bürgermeister. Er wurde für alle Veränderungen in Mithaftung genommen. Dass auch der Jude Strauss weisungsgebunden gegenüber den Franzosen gewesen sei, hätten sie geflissentlich übersehen.

Tiefe Verachtung in der Bevölkerung

Wie tief die Verachtung in der Bevölkerung für Strauss saß, bemerkte Axelsson beim Gespräch mit einem früheren Grünen-Stadtrat. Der habe mit Verweis auf das Tagebuch eines Mitglieds seiner Familie steif und fest behauptet, Strauss sei ein Gestapo-Spitzel gewesen und wegen seines sexuellen Treibens an einer Geschlechtskrankheit gestorben. Zumindest letzteres hat Axelsson eindeutig widerlegt. Und für ersteres gibt es keine Anhaltspunkte.

Im Frühjahr/Sommer 2021 erscheint von Gundula Axelsson als Ausfluss ihre jahrelangen Recherchen ein Band über die Nachkriegszeit, die wilde Jahre zwischen 1945 bis 1948, in Ettlingen und Umgebung. Sie kündigt schon jetzt einige Überraschungen an. Sie haben nicht nur zur Person Fritz Strauss viele neue Dokumente gefunden, sondern zu dem ein oder anderen politischen Gegner aus der Zeit.

Sie habe nicht nur im Generallandesarchiv, sondern vielen anderen Archiven zwischen Freiburg, Heidelberg, Bonn und Aschaffenburg nach Dokumenten gesucht. Sie sei sicher, dass das ein oder andere, was über Strauss geschrieben worden sei, korrigiert werden müsse.

Das war eine richtige Sisyphus-Arbeit.
Gundula Axelsson, Historikerin
„Das war eine richtige Sisyphus-Arbeit”, sagt Axelsson. So habe sie auch Kontakt zu Nachkommen in New York aufgenommen. Einigermaßen bizarr für sie sei gewesen, was Nachkommen von Strauss von einem Porträt-Gemälde des ersten Nachkriegsbürgermeisters ihr erzählten. Das hätten diese vor Jahren sowohl der Stadt wie auch dem Museum angeboten. Beide Institutionen hätten dankend abgelehnt.

In den 1930er-Jahren war Strauss als politischer Gefangener im Konzentrationslager Kislau untergebracht. Nach Unterschrift unter eine Loyalitätserklärung wurde er im Mai 1935 in das Haus seiner Schwiegermutter in der Ettlinger Sedanstraße (heute Friedensstraße) entlassen.

Fritz Strauss lebte in sogenannter privilegierter Mischehe. Er war mit einer „Arierin” verheiratet und hatte einen Sohn, der katholisch getauft war. Eine Sicherheit, so Axelsson, gab es dennoch nicht.

Grabstein
Grabstein Fritz Strauss auf einem jüdischen Friedhof in Karlsruhe Foto: Staatsarchiv Ludwigsburg

Gestapo überwachte ihn ständig

Er wurde ständig überwacht. Wenn seine Frau gestorben wäre, wäre er mit Sicherheit in einem Lager gelandet. Kurz vor Kriegsende drohte ihm endgültig das Deportationsschicksal wie Millionen Juden zuvor. Er versteckte sich bis zum Einmarsch der Franzosen in einer Gartenhütte.

Das Buch von Axelsson wird sich auch mit den ersten richtigen demokratischen Wahlen in Ettlingen 1947 und insbesondere auch der

Eine „schlimme Schlammschacht” zwischen den neu gegründeten Parteien, in der der gesundheitlich angeschlagene Strauss eine gewichtige Rolle spielen sollte. Axelsson hat viele Flugblätter aus den beiden Wahlkämpfen gesammelt. Schlage unter der Gürtellinie, die gerichtliche Auseinandersetzungen nach sich zogen, waren dort an der Tagesordnung.

nach oben Zurück zum Seitenanfang