Einen Sack voller Gold. Das war die Antwort des kleinen Artur, als die Kindergärtnerin in der Ukraine ihn fragte, was er seiner Mutter zum Muttertag schenken will. Seine Altersgenossen hatten die Frage mit „ein Auto“ oder „ein Haus“ beantwortet – Artur dachte an den Sack Gold, weil sich seine Mutter davon nicht nur eine, sondern viele verschiedene Sachen kaufen könnte.
„Er war immer schon clever“, beschreibt Snishana Chomenko ihren inzwischen 14-jährigen Sohn. Den Sack Gold hat sie natürlich nie bekommen, dafür aber immer Blumen, in ihrer Lieblingsfarbe Gelb.
Und im vergangenen Jahr hat ihr Artur ein Kochlöffelset geschenkt, das er im Werkunterricht selbst geschnitzt hatte. Das war etwas Besonderes für die 44-Jährige, „denn er hat es mit seinen eigenen Händen gemacht, viel Zeit dafür gebraucht“.
Flucht dauert 13 Tage
Den diesjährigen Muttertag wird Snishana zusammen mit Artur und dessen Bruder Oleg fernab ihrer Heimat in Ettlingen verbringen. Hierher sind sie vor den Bomben geflohen. Zuvor hatten sie Tage im Keller ihres Wohngebäudes in der 200.000-Einwohner-Stadt Bila Zerkwa rund 80 Kilometer südwestlich von Kiew verbracht.
Nicht auszuhalten war das, vor allem für den kleinen Oleg. Der Sechsjährige hat das Down-Syndrom. Für ihn war es schwer zu verstehen, was passierte, er hatte Angst – und dann wurde er auch noch krank.
Snishana, deren Mann vor einigen Jahren in der umkämpften Donbass-Region im Osten der Ukraine ums Leben gekommen war, floh mit ihren Jungs. Erst nach Lemberg (Lwiw), schließlich über Umwege nach Deutschland. 13 Tage dauerte die Odyssee.
Familienpatin hilft bei ersten Schritten in Ettlingen
In Karlsruhe fanden die drei zunächst Zuflucht in einer Privatwohnung, dann nahm sie eine Familie aus Schluttenbach bei sich auf. Dort haben sie eine ganze Haushälfte für sich. Familienpatin Oxana Müller hilft der Mutter und ihren Jungs mit Formularen und Anträgen, bei Arztbesuchen, Schul- und Kindergartenanmeldung. Sie übersetzt auch im Gespräch mit den BNN.
Wenn Snishana an die Flucht und an ihre Heimat denkt, kommen ihr die Tränen. Auch wenn sie von der Hilfsbereitschaft erzählt, die sie in Karlsruhe erfahren hat.
Eigentlich wollte Diana – so heißt die Frau, die die drei anfangs in Karlsruhe beherbergt hat – zwei andere Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen, erzählt sie. Doch als sie erfuhr, dass der kleine Oleg eine Behinderung hat, habe sie den Chomenkos den Vorzug gegeben.
Das beste Geschenk ist eine Umarmung der Kinder.Snishana, Mutter aus der Ukraine
Inzwischen besucht Oleg den Schulkinderkarten der Ettlinger Gartenschule, seine Mutter sucht für ihn noch Fachärzte, die ihn in seiner Entwicklung unterstützen können.
Sein Bruder Artur kann schon ein paar Worte Deutsch, er ist in der Vorbereitungsklasse in der Schillerschule und kickt im Fußballverein mit Gleichaltrigen. „Ihm gefällt es gut hier“, sagt Snishana. Das mache sie glücklich.
Was sie wohl an diesem Muttertag bekommen wird? Snishana zuckt mit den Schultern. „Das beste Geschenk ist eine Umarmung der Kinder“, sagt sie.
Anna kommt am elften Tag des Krieges zur Welt
Die Kinder der 34-jährigen Tatiana sind noch zu klein, um ihr Geschenke zu besorgen: Die jüngste Tochter ist Anfang März auf die Welt gekommen.
„Am elften Tag des Kriegs“, übersetzt Krystyna, Tatianas Cousine, die schon seit 2015 in Ettlingen lebt und ihre Verwandten bei sich aufgenommen hat.
Die kleine Anna wurde in Kiew geboren. Ihr Vater hat sie nur fünf Minuten gesehen, als er seine Frau und seine ältere Tochter, die vierjährige Alisa, verabschiedete. Er musste in der Ukraine bleiben, wie alle Männer zwischen 18 und 60.
In der Ukraine ist der Frauentag am 8. März wichtiger als Muttertag.Olena, Helferin in Ettlingen
Seine Frau machte sich mit den Mädchen auf Richtung Westen. In Sicherheit. Auch Tatiana steigen die Tränen in die Augen, wenn sie daran denkt. Sie hat Angst um ihren Mann. Per Videochat telefoniert sie regelmäßig mit ihm.
Was bedeutet für sie der Muttertag? In der Ukraine sei der Frauentag eigentlich wichtiger als Muttertag, übersetzt wieder Krystyna. Der findet, wie auch in Deutschland, am 8. März statt. „Das ist der eine Tag, an dem die Frauen gefeiert werden“, sagt Olena, die bereits vor einigen Jahren nach Ettlingen gezogen ist.
„Und zwar überall: auf der Arbeit, in der Familie, mit Torten und Tulpen.“ Auch Olena floh aus der Ukraine, genauer vor den russischen Truppen, die die Krim besetzt hatten. „Wir sind die Flüchtlinge der ersten Welle“, sagt sie.
Mit Sekt, Pralinen und Blumen
Was jetzt in der Ukraine passiere, dafür fehlten ihr die Worte. Sie sei froh, dass sie helfen könne. Und dass den geflüchteten Frauen in Ettlingen auch von vielen anderen geholfen werde. „Wir sind sehr dankbar“, sagt sie, und Krystyna pflichtet ihr bei.
Den 8. Mai, also den hiesigen Muttertag, werden die drei zusammen mit anderen Müttern begehen, die sie aus dem Frauentreff effeff kennen. „Mit Sekt, Pralinen, mit Blumen“, sagt Olena.