Was ihn an Ehrengast Michail Gorbatschow beeindruckte? „Er hatte ein sehr, sehr breites Wissen und ein durchaus großes soziales Engagement“, erinnert sich der frühere Karlsruher Universitätsrektor Sigmar Wittig an seine persönliche Begegnung mit dem ehemaligen russischen Präsidenten.
Im Jahre 1999 kam Gorbatschow aus besonderem Anlass an die renommierte Technische Universität, die Vorläuferin des heutigen Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).
Fast sieben Jahre nach seinem Rücktritt als Kreml-Chef nahm er im Badischen ein neuartiges, wenn auch weit weniger bedeutsames Präsidenten-Amt an: bei der „Internationalen Akademie für Nachhaltige Entwicklungen und Technologien“.
Nicht erst die Tschernobyl-Katastrophe hatte ihn aufgerüttelt
Diese neue Einrichtung sollte den Austausch zwischen Wissenschaftlern und Firmen aus Deutschland und Russland in Schwung bringen – und den Umweltschutz voranbringen. „Es war kein Profit für ihn dabei“, betont Wittig zur Rolle Gorbatschows. Vor Journalisten erzählte Gorbatschow, dass er schon als junger Mann mit den Umweltproblemen in seinem Heimatland konfrontiert worden sei, etwa durch Lärm und Staubentwicklungen. Von daher sei der Reaktor-Unfall in Tschernobyl im Jahre 1986 auch nicht das Schlüsselerlebnis gewesen, das ihn in puncto Umwelt sensibilisierte.
Gemeinsam mit Wittig stellte der ehemalige russische Präsident das Projekt der Karlsruher Uni und der Gorbatschow-Stiftung vor. „Hauptziel der Akademie ist es, das ökologische Bewusstsein in Russland und anderen osteuropäischen Ländern zu fördern“, so hieß es damals. „Im Mittelpunkt stehen die Vermittlung von Kooperationen und die Förderung des gegenseitigen Transfers im Umweltbereich.“
Eher der Prominenten-Status des Ehrengastes hatte zahlreiche Zaungäste angelockt. Unter den damaligen Autogrammjägern hatte sich schnell herumgesprochen, dass der frühere Kreml-Chef kommt.
Schon Stunden vor seinem Eintreffen harrten sie an dem kalten Novembertag geduldig am Adenauerring aus, um eine Unterschrift des Weltbürgers und friedlichen Reformers zu erhalten. Als dann Michail Gorbatschow in einem Tross von Limousinen vorfuhr, ging alles schnell. Nur wenige Autogrammjäger konnten noch eine Unterschrift ergattern.
Er war im persönlichen Gespräch sehr angenehm.Sigmar Wittig, ehemaliger Karlsruher Universitätsrektor
Wittig, der in Ruhe mit Gorbatschow sprechen konnte, erinnert sich an eine gewisse ambivalente Stimmungslage des Gegenübers: „Er war im persönlichen Gespräch sehr angenehm“, sagt der frühere Universitätsrektor, „aber er zeigte auch eine gewisse Enttäuschung, weil er sich vom Westen allgemein eine größere Unterstützung für die Entwicklung Russlands gewünscht hatte.“ Dass es Gorbatschow ein echtes Anliegen war, alte Feindbilder zu überwinden, sei deutlich spürbar gewesen: „Er war sehr darauf bedacht, zur Völkerverständigung beizutragen und alte Wunden zu heilen“, erinnert sich Wittig. Die Begegnung vor 23 Jahren nennt er „ein sehr erfreuliches, schönes Erlebnis“.
Schon ein Jahr zuvor, anno 1998, hatte Gorbatschow erstmals Karlsruhe besucht: Bei einem Umweltforum von Uni und Forschungszentrum traf er auch auf Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP). Die ökologischen Probleme weltweit bezeichnete Gorbatschow damals als eine der wichtigsten Menschheitsaufgaben: Man dürfe sich hierfür aber nicht nur auf neue Technologien verlassen, appellierte er an die Zuhörer – es müsse zu einer „Revolution in den Köpfen der Menschen“ kommen.
Gorbatschows Karlsruher Akademie existierte nur einige Jahre, erzählt Wittig, doch daraus sei damals ein recht enger wissenschaftlicher Austausch mit der russischen Universität Ufa entstanden.
Gemeinsam mit Kohl erhielt er 2005 in Karlsruhe eine Auszeichnung
Noch mehrfach machte Gorbatschow im deutschen Südwesten Station. In Ludwigsburg erhielt er 2003 den „Euronatur-Umweltpreis“. Der frühere Ministerpräsident Lothar Späth (CDU) hielt die Lobrede.
Zwei Jahre später gab es dann ein Wiedersehen mit Karlsruhe: Gemeinsam mit Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) nahm Gorbatschow am 18. März 2005 in der Karlsruher Schwarzwaldhalle einen Radio Regenbogen Award entgegen. Damit sollten die Verdienste der beiden Staatsmänner um die deutsche Wiedervereinigung gewürdigt werden, die sie beim „Strickjacken-Gipfel“ eingeleitet hatten.