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Wettermann im Interview

Jörg Kachelmann: Die Deutschen haben eine "irrationale Angst vor Zugluft"

Hohe Temperaturen können sehr angenehm sein und die Deutschen habe eine irrationale Angst vor Zugluft befallen: Im Interview erklärt Jörg Kachelmann, warum gut gemeinte Tipps Menschenleben in Lebensgefahr bringen könnten.

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Wetterfrosch Jörg Kachelmann hat keine Angst vor Ventilatoren. Foto: None

Hohe Temperaturen können sehr angenehm sein, die Deutschen habe eine irrationale Angst vor Zugluft befallen: Mit markigen Sprüchen und teils harscher Kritik kommentiert Jörg Kachelmann zuletzt die Berichterstattung ums Wetter und um Hitze-Mythen. Warum, erklärt er hier.

Der Schweiß der ersten Hitzewelle des Sommers ist mittlerweile getrocknet. Die Frage, wie hohe Temperaturen am besten zu bewältigen sind, wird früher oder später aber erneut das halbe Land umtreiben – mindestens.

Im Internet finden sich zahlreiche Tipps und Strategien zur Hitzebewältigung. Davon sind aber längst nicht alle nützlich - befindet zumindest Jörg Kachelmann, der auf Twitter teils kräftig austeilt gegen aus seiner Sicht irreführende Ratschläge. Das liest sich dann zum Beispiel so:

Im Gespräch erklärt der Moderator und Wetterexperte, warum ihm derzeit regelmäßig die Hutschnur reißt, wenn er im Internet auf Strategien zur Hitzebewältigung stößt.

Herr Kachelmann, Sie üben in den letzten Tagen harsche Kritik an den Tipps zum Umgang mit der Hitze, die derzeit durch Medien aller Art geistern. Was läuft da falsch?
Kachelmann:

Es wird ganz viel Schwachsinn kolportiert, den leider niemand hinterfragt. Überall liest man dieser Tage, ein wirksames Mittel gegen Hitze in der Wohnung sei: morgens und abends lüften und tagsüber dann die Fenster schließen und die Rollos runterlassen. Aber das ist natürlich lebensgefährlicher Blödsinn.

Warum? Wenn ich morgens lüfte, verdunkle und aus dem Haus gehe, kehre ich doch abends in eine vergleichsweise kühle Wohnung zurück?

Ja, weil sich wahrscheinlich tagsüber in Ihrer Wohnung niemand aufhält.

Naja, dann ist aber gegen den Tipp wenig einzuwenden?

Doch, weil er nämlich fatale Folgen haben kann, wenn jemand ihn befolgt, der sich tagsüber in einer Wohnung aufhält.

Sie meinen?

Nehmen Sie eine alte Person, die auf ein paar Quadratmetern wohnt, noch schlimmer, ein altes Ehepaar. Die sitzen dann den ganzen Tag in ihrer abgedunkelten Wohnung, verbrauchen den Sauerstoff und geben Feuchtigkeit in die Luft ab. Luftfeuchtigkeit und CO2-Werte gehen hoch, ebenso die Temperatur. Selbst wenn Sie jung und gesund sind, werden Sie feststellen, dass sich da keine gesunde Situation entwickelt – im Selbstversuch kann das übrigens jeder einfach nachvollziehen. Ich bin überzeugt, dass zahlreiche ältere Menschen sterben, weil sie diese Tipps irrtümlicherweise befolgen.

Aber in dem Fall wäre das Problem ja wohl bekannt.

Da habe ich meine Zweifel. Wie genau sollte das auch erhoben werden? Dass die Sterblichkeit an Hitzetagen insgesamt steigt, ist ja zumindest Fakt. Und ich rate jedenfalls jedem, der zum Beispiel Eltern in eine Pflegeeinrichtung gibt: Wenn da im Sommer die Fenster dicht sind und kein Durchzug herrscht, bitte wenigstens dafür sorgen, dass Ihre Verwandten einen Ventilator vor der Nase haben und dass Durchzug herrscht.

Da gibt es aber doch immer noch den gesunden Menschenverstand, der mir sagt: Wenn ich in meiner Wohnung bin oder irgendwo viele Menschen in einem Raum sind, greife ich natürlich zu anderen Maßnahmen als wenn ich erst abends wiederkomme und die Hütte einfach nur kühl halten will…

Der gesunde Menschenverstand ist, besonders in Deutschland, leider Wunschdenken. Weil Ihnen nämlich auf allen Kanälen geraten wird, um Gottes Willen keine heiße Luft in die Wohnung zu lassen und jeden Durchzug zu vermeiden, der könnte ja zu Schnupfen oder einem steifen Nacken führen. Da ist leider ein moderner Irrglaube entstanden, der schwer wieder einzufangen ist und den keiner hinterfragt.

Und außer Ihnen merkt das niemand?

Doch, durchaus, zum Beispiel die DRK-Ortsgruppe in Löhne und viele Professoren mit Zustimmung via E-Mail. Das ist ja beileibe kein geheimes Wissen: Früher, als es in Autos noch keine Klimaanlagen gab, haben die Leute im Sommer alle Fenster runtergekurbelt und sich am Fahrtwind erfrischt. Da hat niemand gejammert, der Durchzug mache ihn krank. Stellen Sie sich mal vor, Sie fahren mit Ihrer Familie in einem alten VW-Käfer durch die Sonne und sagen: Wir lüften erst abends, sonst kommt ja heiße Luft rein – gute Reise! Übrigens: In südlicheren Ländern hängen überall Ventilatoren an der Decke, die Menschen leben damit ganz gut. Lediglich in Deutschland hat sich eine völlig irrationale Angst vor Zugluft entwickelt.

Sie kritisieren teils auch deutlich die Ratschläge von Medizinern. Denen sollte man doch durchaus Kompetenz zutrauen?

Sagen wir so: In Deutschland gibt es da noch so ein traditionelles Obrigkeitsdenken. Wenn ein Halbgott in Weiß was sagt, ist das Gesetz. Dabei sind Hitzeentwicklung und Raumklima zunächst mal physikalische Phänomene. Aus denen erwachsen dann vielleicht medizinische Probleme, bei denen der Arzt sicherlich Ansprechpartner Nummer eins sein sollte. Daraus folgt aber nicht, dass er unbedingt eine Autorität in Sachen Hitzeprävention sein muss. Übrigens: Ein Arzt aus Brasilien würde sicherlich nicht vom Gebrauch von Ventilatoren abraten.

Aber Sie würden schon zustimmen, das hohe Temperaturen ein Problem sind?

Nein, auch da lege ich mein Veto ein. Jeder, der mal in der Wüste war, weiß: 40 Grad sind zwar heiß. Aber bei trockener Luft ganz gut auszuhalten. Während 25 Grad im tropischen Regenwald bei einer Luftfeuchtigkeit von 95 Prozent grausam sind. Aber derlei Differenzierungen überfordern offenbar die öffentliche Debatte. Und so werden fleißig Dinge vermischt und zueinander in Bezug gesetzt, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Am Ende haben wir dann Hysterie wegen einiger Hitzetage.

Wo wir dann bereits bei versteckter Klimawandel-Kritik wären?

Nein, da kann ich Sie beruhigen. Den Klimawandel gibt es und er hat die Hitzerekorde vom Sonntag möglich gemacht. Es gibt zwei unseriöse Seiten: Die rechte ignorante, die jeden menschlichen Anteil verneint und zu den folgenden kühleren Tagen wieder fragen wird, wo der Klimawandel nun sei. Und andererseits die extreme andere Seite, die inzwischen jedes Alltagswetter dem Klimawandel zuschreiben möchte. Beide Seiten sind etwa gleich wissenschaftsfern und furchtbar für eine ernsthafte Problemlösung.



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