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Übergriffe im Kunstbetrieb

Karlsruher Akademie beleuchtet Missbrauch und Diskriminierung

Fünf Jahre nach dem Beginn der MeToo-Bewegung fordern viele Studierende an Kunsthochschulen Veränderungen ein. In Karlsruhe soll nun ein Symposion die Diskussion intensivieren.

Offene Diskussion über Ursachen von Missbrauch in der Kulturszene: Die Karlsruher Staatliche Akademie der Bildenden Künste veranstaltet ein zweitägiges Symposion in der MeToo-Tradition.
Offene Diskussion über Ursachen von Missbrauch in der Kulturszene: Die Karlsruher Staatliche Akademie der Bildenden Künste veranstaltet ein zweitägiges Symposion in der MeToo-Tradition. Foto: Uli Deck / dpa

Fünf Jahre sind seit MeToo vergangen, seit den ersten Enthüllungen von sexuellem Missbrauch im Fall des Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein. Das Eis war gebrochen. Zwei Jahre später wurden auch Missbrauchsfälle an Kunstakademien bekannt, etwa in Düsseldorf, Münster und München.

Diese erzeugten zwar weniger Aufmerksamkeit als die in der Filmbranche, sie warfen aber ein Schlaglicht auf fragwürdige Verhältnisse in allen künstlerischen Bereichen. Das alte Klischee, dass Kunst mit Rausch und Enthemmung zu tun habe, mit sexueller Freizügigkeit und ungebremster Kritik, hat sich in den Kunsthochschulen tief eingegraben. Dagegen wenden sich seit einer Weile die Studierenden selbst – auch an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe.

Missbrauch ist nur da möglich, wo es auch einen Machtmissbrauch gibt.
Ulla von Brandenburg, Karlsruher Kunstprofessorin

Nach einzelnen Vorträgen zum Thema soll nun ein öffentliches Symposion die Debatte intensivieren und nach außen transparent machen. Der Titel „Talking back. Machtstrukturen in Kunst, Akademie und Alltag“ zielt auf die Ursachen der skandalisierten Fälle. „Missbrauch ist nur da möglich, wo es auch einen Machtmissbrauch gibt“, sagt Ulla von Brandenburg, Karlsruher Kunstprofessorin und seit vier Jahren Gleichstellungsbeauftragte an der Kunstakademie. „Das betrifft nicht nur die Akademie, sondern die ganze Gesellschaft. Jetzt sind die Stimmen der Studierenden lauter geworden, die etwas ändern wollen.“

Verändertes Klima an den Kunsthochschulen

Dies ist nur möglich, weil sich in den vergangenen 20 Jahren durch die Berufung von mehr Professorinnen das Klima an den Kunsthochschulen verändert hat. Wie der auf der Homepage der Karlsruher Kunstakademie einsehbare Gleichstellungsplan belegt, waren 2003 nur zwei von 19 Professoren Frauen. 2017 konnte die Zahl männlicher und weiblicher Lehrer nahezu ausgeglichen werden. Heute sind von 22 Professoren die Hälfte Frauen.

Aber mit diesem formalen Akt ist es offenbar noch nicht getan. Diskriminierung hat viele Ursachen. Bei dem Symposion handelt es sich nicht um eine Nabelschau, vielmehr soll der Blick in die Zukunft gerichtet werden. „Es geht um die Gesellschaft, um das Individuum, das tägliche Leben, das Leben an der Akademie, aber auch um die Kunstwelt und wie man sich da verhält. Und weil das Thema Machtmissbrauch alle Bereiche berührt, ist auch diese Veranstaltung so vielfältig“, sagt Ulla von Brandenburg.

Titel von einer US-Theoretikerin inspiriert

Konzipiert und organisiert haben die Tagung die Promovendin Carolin Heel, die an der Akademie zu feministischer Kunstgeschichte forscht, sowie Ninya Lehrheuer, Tutorin der Akademie-Klasse von Ulla von Brandenburg. Mit dem Titel „Talking back“ beziehen sie sich auf eine Aufsatzsammlung der US-Theoretikerin bell hooks. Ihr zufolge durchlaufe jede Bewegung mehrere Stadien, sagt Carolin Heel. Am Anfang stehe das Aussprechen des Unbehagens, die Gegenrede.

Mit Spannung darf der Vortrag „Die Macht zersplittern“ von Teresa Bücker am Mittwoch um 12.30 Uhr erwartet werden. Die Journalistin ist auch eine gefragte Rednerin. Für sie liegt die Zukunft des Feminismus in der Loslösung von patriarchalen Maßstäben. Am Vormittag befasst sich der Autor Christian Dittloff mit dem „Verlernen männlicher, patriarchaler Bildung.“

Am Abend spricht die französische Sozialwissenschaftlerin Mathilde Provansal über genderbasierte Gewalt an Kunsthochschulen und deren Auswirkungen auf die Professionalisierung von Künstlerinnen. (www.kunstakademie-karlsruhe.de/vortraege/symposium).

Wasser als „queere Materie“

Mit dem neuen gesellschaftlichen Bewusstsein ändert sich auch die Kunst. Vanessa Bosch, die an der Hochschule für Gestaltung (HfG) Karlsruhe studiert hat, arbeitet in philosophischen und ökologischen Kontexten und vertritt einen „Hydrofeminismus“, den sie auf dem Symposion vorstellt. „Für sie ist das Wasser eine queere Materie. Es ist das Wasser, es ist weder maskulin noch feminin, es ist eine Materie, die fließt, aber auch ganz viel transformieren kann“, erklärt Ulla von Brandenburg, die übrigens ebenfalls einst an der HfG Szenografie studiert hat.

Für sie hat sich das Kunstsystem schon immer hierarchisch und elitär präsentiert. „Da würde ich aber gerne gegensteuern und die Studenten und Studentinnen dazu aufrufen, sich selbst zu organisieren. Und nicht zu warten, bis ein Galerist oder Kurator sie auserwählt, sondern sich eigene Strukturen zu schaffen“, sagt die Kunstprofessorin, die ihren Nebenjob als Gleichstellungsbeauftragte trotz ihrer wachsenden Aufgaben soeben für eine weitere Amtszeit übernommen hat.

Service

Talking Back – Interdisziplinäres Symposium mit Workshop und Ausstellung zum Thema Machtmissbrauch am Dienstag, 22. November, ab 13 Uhr und Mittwoch, 23. November, ab 11 Uhr, an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe, Vordergebäude, Reinhold-Frank-Straße 81.

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