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Prozess um Vorfall in Apotheke

Karlsruher Geiselnehmer: Es ging nicht um Geld, sondern um seine Ex-Freundin

Der junge Mann, der im März vergangenen Jahres Geiseln in einer Karlsruher Apotheke genommen hat, hatte ursprünglich ein anderes Objekt im Auge.

Der Angeklagte im Prozess zu einer mutmaßlichen Geiselnahme wartet im Schwurgerichtssaal des Landgericht Karlsruhe zusammen mit seinem Anwalt Alexander Kist auf den Beginn des Prozess.
Der Angeklagte mit seinem Rechtsanwalt Alexander Kist. Foto: Uli Deck/dpa/Archiv

Die Hauptverhandlung beginnt mit Verspätung; der Angeklagte ist eine Geisel des Verkehrs. Doch dann ergreift er das Wort und legt ein Geständnis ab. „Es ging mir nicht um das Geld“, behauptet der 21-Jährige, der im weißen Hemd im Schwurgerichtssaal des Karlsruher Landgerichts Platz genommen hat.

Mit der Forderung nach sieben Millionen Euro habe er lediglich die Polizei beschäftigen wollen, erklärt der mutmaßliche Geiselnehmer. In Wirklichkeit sei es ihm darum gegangen, mit seiner Ex-Freundin zu sprechen. „Ich wollte aufgeben, sobald ich mit ihr geredet hätte.“

Mit Jacky-Cola hat sich Karlsruher Geiselnehmer in Stimmung gebracht

Bereits am Morgen des Tattags, so erklärt es der junge Mann, habe er „daran gedacht, eine Geiselnahme zu machen“. Nach dem Aufstehen brachte er sich dafür offenbar mit Hilfe von „Jacky-Cola“-Dosen und der synthetische Droge HHC in Stimmung.

Bei einem Waffenladen in der Karlstraße erstand der Mann jene Schreckschusswaffe samt Munition, mit der er später am Tag Angst und Schrecken verbreiten sollte. Dann ging er erst einmal zum Friseur. „Ich habe mir anschließend Gedanken über eine Maskierung gemacht“, berichtet der Angeklagte. Er sitzt dabei konzentriert neben Rechtsanwalt Alexander Kist, die Hände ruhen gefaltet auf der Anklagebank.

Vergebliche Suche nach einer Sturmhaube in Karlsruher Sportgeschäft

Eine Sturmhaube sollte es am Tattag sein, doch das Sportgeschäft am Europaplatz hatte ein solches Utensil nicht im Angebot. Die Wahl fiel deshalb auf ein Bandana-Tuch. So ausgestattet begab er sich nach Hause. Nach zwei weiteren Dosen Jacky-Cola machte sich der spätere Geiselnehmer auf den Weg.

Sein Ziel war eine Sparkassenfiliale nahe dem Scheck-In-Center am Mendelssohnplatz. Nach Sondierung der Örtlichkeit jedoch sah er von der dort geplanten Geiselnahme ab. „Da waren zu viele Menschen“, erklärt der kurz geschorene junge Mann. Mehr oder minder ohne konkretes Ziel lief er nach eigenen Angaben herum.

Der Plan war, dass ich aufgebe, sobald ich mit meiner Ex gesprochen hätte.
Angeklagter

In der Congress Apotheke brannte Licht. „Mach’s jetzt, zieh’s durch“, habe er sich gedacht. Er marschierte, maskiert mit Bandana und Wollmütze, auf die Apothekentür zu, die ging auf. „Ich schoss zweimal in die Luft“, sagt er. Und plötzlich war er die Hauptfigur in einer Geiselnahme.

„Mit dem Ausmaß dieses Polizeieinsatzes habe ich nicht gerechnet“, bekennt der Mann. In seinem Rucksack hatte er nicht nur Reservemunition, sondern auch eine angebrochene Flasche Gin. „Der Plan war, dass ich aufgebe, sobald ich mit meiner Ex-Freundin in der Apotheke gesprochen hätte“, erklärt der Mann. Was genau er besprechen wollte und welche Vorstellungen er über den Fortgang der Dinge hatte, bleibt nebulös.

Verhandlungsführer der Polizei hat Angeklagten aggressiv gemacht

„Der Verhandlungsführer der Polizei hat mich hingehalten“, erinnert sich der Angeklagte. „Dadurch wurde ich aggressiv.“ In der Folge kündigte der Mann mit der Schreckschusswaffe an, er werde Geiseln töten. Er sei jetzt darüber selbst erschreckt, sagt er. In der Apotheke goss er sich etwas von dem mitgebrachten Gin in ein Wasserglas und mischte ihn mit Saft aus der Auslage der Apotheke.

Dass man ihm die geforderten sieben Millionen Euro zur Apotheke bringen würden, damit habe er fest gerechnet, erklärt der mutmaßliche Geiselnehmer. Ursprünglich dachte er an einen Betrag von zehn Millionen Euro. Dann betont er noch: „Ich habe keine Geisel körperlich geschädigt.“

Traumatisierte Frau als Nebenklägerin

Ihm gegenüber im Gerichtssaal sitzt Rechtsanwältin Ute Staudacher. Sie fungiert als Nebenklage-Vertreterin. Ihre Mandantin hat das dramatische Geschehen unmittelbar erlebt. Sie leidet seither unter Panikattacken, Schlafstörungen und Konzentrationsproblemen.

Zwei Personen hielt der Mann im Ladengeschäft fest, acht weitere waren zu diesem Zeitpunkt im hinteren Teil der Apotheke.

Die Polizei riegelte mit starken Kräften den Bereich der Apotheke weiträumig ab. Für heimkehrende Anwohner richtete man eine Anlaufstelle ein, zwei Großveranstaltungen in Schwarzwaldhalle und Konzerthaus wurden vorsorglich abgesagt. Als nach stundenlangem Nervenkrieg ein weiterer Schuss in der Apotheke abgegeben wurde, entschloss sich die Polizei zum Zugriff. Ein Spezialeinsatzkommando (SEK) stürmte die Apotheke und befreite die Geiseln. Der mutmaßliche Täter ließ sich festnehmen. Er leistete keinen Widerstand.

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