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Erfolg auch mit tierischen Motiven

Dem Fotokünstler Horst Kistner aus Karlsruhe winken Preise in New York

Horst Kistner hat seine 100 Paar Damenschuhe ausnahmsweise im Schrank gelassen. Mit der Serie „Pets meets Vintage“ gehört er schon jetzt zu den elf besten Fotografen weltweit.

Horst Kistner mit Hut und der New York Times in einer von ihm eingerichteten Kulisse eines Kreuzfahrtschiffes.
Mit dem Schiff nach New York? Nein. Horst Kistner ist zwar auf dem Sprung zur Preisverleihung in der Carnegie Hall. Das Foto zeigt ihn aber noch in Karlsruhe in seiner Werkstatt in der von ihm gebauten und ausgestatteten Kulisse seiner aktuellen Shootings. Foto: Uli Deck/Artis

Vier Türen und zwei Hinterhöfe trennen die Essenweinstraße im Karlsruhe der Gegenwart vom Thrill der 1960er Jahre in einer geräumigen alten Werkstatt. Eine fünfte Türe im Stockwerk darüber führt wiederum zurück in den ganz normalen Alltag von Horst Kistner, der gerade Kürbissuppe angesetzt hat.

Es duftet verführerisch. „Mein Sohn kommt später zu Besuch, Veganer. Er ist gestern 23 Jahre alt geworden“, erklärt er und erzählt an der Kaffeemaschine schraubend, dass die Wohnung jetzt, da er ausgezogen ist, manchmal ganz schön verlassen sei. „Aber auch ordentlicher.“

Da ist es, das diebische Blitzen in den Augen von Horst Kistner, das ohne Zweifel auch zuständig ist für die skurrilen Szenen, mit denen der Fotokünstler sich einen Namen gemacht hat.

Alles hat ja sein Für und Wider. Das gilt sogar für die heile Welt in seiner Fotokunst und die Frauen, die er darin wirkungsvoll platziert. Oder warum liegen neun Spiegeleier akkurat sortiert auf dem Tisch vor einer Frau mit dottergelbem Hut, die im trauten Heim am Fenster neben der Spitzengardine Zeitung liest? Trägt sie überhaupt ein Oberteil, oder nur Handschuhe?

Vintage-Möbel und Design zu Hause und im Karlsruher Atelier

Kistner ist begeisterter Sammler von Vintage-Möbeln und Designobjekten. In seiner Küche und dem lichtdurchfluteten Esszimmer hat er so manche Sammelstücke zur Gemütlichkeit platziert. Dekor des Tages: Kürbisse auf dem Esstisch. Hier ist Leben in der Bude.

Anders in seinen Fotografien: Hier sitzt alles, scheint intakt. Die Kombination aber und ihre Reibungen sind das gewisse Etwas in den Werken von Horst Kistner. Unter Details und kleinsten Gesten schwingt eine zweite Ebene, deren Hintergründe man geradezu detektivisch ergründen möchte. Das Fantasie-Pendel schlägt unweigerlich aus. Was führen diese schlanken, eleganten und nur scheinbar zerbrechlichen Damen im Schilde?

Alles ist aufwendiger geworden, ausgeklügelter.
Horst Kistner
Fotograf

Bei jedem vermeintlich noch so schlichten Motiv entstehen komplexe Geschichten vor dem inneren Auge, die Kistner nicht selbst erzählt. Vielmehr überlässt er dies der kriminalistischen Energie der Betrachter. Kistner inszeniert, führt Regie für das Standbild eines Drehbuchs, das der Mensch beim Betrachten schreibt.

Somit sind seine Fotografien näher am Film als am Gemälde. Cineastisch, von hoher Anziehungskraft, mit Nachhall. Eine Brotmaschine ist nicht weiter aufregend. Wenn aber eine adrette junge Hausfrau mit Perlenkette und starrem Blick einen Kohlkopf durch eine solche dreht, brennt sich zur Assoziation Brotmaschine genau dieses Bild ins Gedächtnis.

„Alles ist aufwendiger geworden, ausgeklügelter“, erzählt Kistner von seiner Entwicklung in den vergangenen Jahren.

Durchschnittlich einmal im Monat plant Horst Kistner ein Shooting. Wenn er mal im Flow ist, können es wie kürzlich auch vier in einer Woche sein. Der frühere Food- und Werbefotograf schöpft aus einem großen Fundus an Accessoires und Mode der 50er- und 60er-Jahre. Darunter mehr als 100 Paar Damenschuhe.

Das Werkzeug hinter Kistners cineastischer Fotografie

Zwei Wände stehen in der Werkstatt unter seiner Wohnung und bilden mit der Außenwand einen Raum für seine Kulissen. Regelmäßig streicht und tapeziert Kistner sie neu. In wochenlanger Kleinarbeit entstehen neue Bühnen. Immer führen sie in die Zeit des Wirtschaftswunders. Mitunter kauft er ganze Konvolute, um an Original-Tapeten der Zeit zu kommen. Für den zur fiktiven Geschichte passenden Frauentyp sucht er seine Models im Internet, bucht eine Stylistin und das Shooting beginnt.

Eine Frau dreht eine Krawatte durch die Schreibmaschine, eine Krankenschwester serviert Pommes in einer Nierenschale. Oft ergeben sich die Szenen spontan, weil ihm auffällt, dass etwa Kaffeeausschütten auf dem Tisch wie Bagels aussieht.

Erfolg auf Kreuzfahrtschiffen und in Galerien

Mit seinen Motiven ist Horst Kistner buchstäblich über alle Meere bekannt. Ein Großteil seiner Werke verkauft sich auf Kreuzfahrtschiffen. Kistner steht unter Vertrag bei Aida Cruises. Als die Schiffe und damit dieses Geschäft in der Pandemie stillstanden, fand er zusätzliche Wege über kleinere Galerien. Seither findet man seine Kunst zum Beispiel auch in Paris bei „Paris est une photo“.

Auszeichnungen und Chancen in New York

Im Jahr 2022 gewann Kistner Silber beim Tokio International Foto Award und Gold beim Siena Creative Award. Über die Pandemie ist er demnach im Sinne des Sprichwortes nicht auf den Hund gekommen. 

Damlamtiner auf einem Stuhl mit Kleiderpuppe und einem weißen Kleid mit schwarzen Punkten. Fotografie von Horst Kistner, Karlsruhe.
Mit der Ähnlichkeit zwischen Frauchen und Hund spielt diese Szene. An Damenschuhen mangelt es übrigens nicht in Horst Kistners Fundus an Vintage-Mode und -Möbeln. Foto: Horst Kistner

Apropos Hund: Tiere finden nur selten den Weg in Kistners Kulissen. Ungefähr eine Handvoll Ausnahmen hat er aber gemacht und bellenden Erfolg. Sei es mit dem Dalmatiner neben dem ähnlich gemusterten Kleid seines Frauchens. Sei es mit Brieftauben auf einem verlassenen Schreibtisch. Die Serie „Pets meets Vintage“ machte Horst Kistner bei den International Photography Awards 2023 zum „Special Photographer Of the Year“.

Zusätzlich hat er sich schon jetzt im Lucie Award „Photographer of the year“ einen Platz unter den besten elf Fotografinnen und Fotografen von insgesamt 14.000 Bewerbern weltweit gesichert. Wer den Hauptpreis gewinnt, das erfährt Kistner bei der Bekanntgabe am 31. Oktober in der Carnegie Hall in New York.

Er ist sich ziemlich sicher, dass Wolfgang Schwan den Preis heimtragen wird für seine Aufnahmen aus dem Ukraine-Krieg. Gleichwohl erfüllt es ihn mit Stolz, neben so beeindruckenden Kollegen nominiert zu sein.

Man kann froh sein, dass man schon so alt ist.
Horst Kistner
Fotograf

Manchmal sieht er auch schwarz. „In manchen Bereichen ist das Ende der Fotografie eingeläutet“, sagt Kistner. Verhalten neugierig beobachtet er die Aussichten beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Fotografie. „Das ist eine Revolution, die Leute trifft, die noch mit Hirn arbeiten.“

Er selbst lässt die Finger davon, sagt er. Allenfalls für die Inspiration nutze er KI, nicht fürs Foto selbst. Aber er ist sich sicher, dass es späteren Generationen völlig egal ist, ob Fotokunst von einem Menschen oder von einer KI generiert wird. „Man kann froh sein, dass man schon so alt ist“, sagt Kistner und lacht.

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