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Thema in der Karlsruher Stadtverwaltung

Mehr Gerechtigkeit mit Gender-Sternchen und Doppelpunkt?

Bis heute scheiden sich an der Frage der Geschlechtergerechtigkeit per Sprache die Geister: Die einen halten das Gender-Sternchen für einen Ausdruck gesellschaftspolitischen Bewusstseins, die anderen würden es am liebsten abschaffen. Auch die Karlsruher Stadtverwaltung befasst sich mit dem Thema.

Blick auf Laptop mit der offiziellen OB-Stellenanzeige von Karlsruhe.
Geschlechtergerechtigkeit: Die Stellenanzeige für die künftige Rathausspitze spricht politisch korrekt von „Oberbürgermeister*in“. Foto: Jörg Donecker

Lang, lang ist’s her: Als das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) noch die Technische Hochschule (TH) war, sprach man dort von Studenten. Längst sind sie den Studierenden gewichen. Haben diese ihre Studien nicht nur beendet, sondern beginnen gleich noch eine Doktorarbeit, werden sie zu Promovierenden. Analog funktioniert es ein Stockwerk höher: Wer später den Titel des Professors anstrebt, wird vorübergehend zum Habilitierenden. Diesen Partizipial-Sprachgebrauch will das bereits vor sieben Jahren verabschiedete „Gender- und Diversitykonzept“ der renommierten Forschungseinrichtung.

Die Gender-Sprache ist auf dem Vormarsch, auch bei der Stadtverwaltung. Die Stelle an ihrer Spitze, die zum 1. März des kommenden Jahres neu besetzt werden soll, ist nicht die des Oberbürgermeisters, auch nicht die der Oberbürgermeisterin. In zeitgemäßer Sprache ist in der Ausgabe 38/2020 des Staatsanzeigers die Stelle „Oberbürgermeister*in“ ausgeschrieben. Nicht ganz konsequent allerdings wird weiter unten verdeutlicht, wer „zum Oberbürgermeister“ wählbar ist. Immerhin ist danach wieder alles in Ordnung mit dem Gender-Sternchen: Von „Unionsbürger*innen“ ist dann die Rede und von „Bewerber*innen“.

Alternative Doppelpunkt

Auf Antrag der Gemeinderatsfraktion Freie Wähler/Für Karlsruhe hat sich das Stadtparlament jüngst auch mit dem Thema der „gerechten Sprache“ beschäftigt. Die Fraktionäre machten sich dafür stark, dass die Stadt das Gender-Sternchen alsbald ersetzen möge durch den Gender-Doppelpunkt. Der Vorteil sei ein praktischer, machten sie geltend. Während in der digitalen Welt moderne Vorleseprogramme, so genannte Screenreader, das Sternchen oft mitlesen, führt der Doppelpunkt eher dazu, dass der Automat eine kurze Sprechpause einlegt, sobald er auf einen Doppelpunkt stößt. Vorleseprogrammen kommt eine wichtige Rolle beim Thema Barrierefreiheit zu: Sehbehinderte Menschen, die auf die Technik angewiesen sind, sollen schließlich keine Nachteile haben.

Stadt sammelt Erfahrungen

Zwar begrüßte die Stadtverwaltung den Vorstoß der gemeinsamen Fraktion Freie Wählern/Für Karlsruhe. Am Ende einigte sich der Gemeinderat allerdings darauf, dass man mittels eines gegenwärtig laufenden Pilotprojekts erst einmal Erfahrungen mit der Umsetzung des Gender-Sterns sammeln wolle. Die AfD plädierte dafür, fortan auf die Gender-Schreibweise zu verzichten.

Seit Jahren sind die Fronten klar: Die einen reklamieren Sternchen oder Doppelpunkt als Ausdruck von mehr gesellschaftlicher Gerechtigkeit und wollen aus Besuchern Besuchende und aus Preisträgern Preistragende machen. Die anderen halten das nicht für nötig und geben den Rat, man möge sich doch bitteschön um tatsächliche Probleme kümmern. Nebenbei erklären sie, dass das Wort „Esel“ allenfalls grammatisch, nicht aber inhaltlich zwingend maskulin sei.

Wissenschaft ist aufgeschlossen

Der am KIT lehrende Literaturwissenschaftler Maximilian Bergengruen steht dem Gender-Sternchen aufgeschlossen gegenüber. Es stehe für Diversität, für einen „dritten Raum zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht“, findet der Professor. Er sieht das Sternchen in der Tradition innovativer Zeichensetzung aus der Literaturgeschichte und erinnert etwa an die Verwendung des Gedankenstrichs im Werk von Jean Paul. Eine ganz neue Art der Zeichensetzung habe auch Arno Schmidt in seinen Utopien entwickelt. Die Sprachwissenschaftlerin Carmen Spiegel, Professorin und Institutsleiterin an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, spricht mit Blick auf geschlechtergerechten Sprachgebrauch vom „Versuch, das gesellschaftliche Phänomen der Gleichberechtigung auch sprachlich zum Ausdruck zu bringen.“ Noch gebe es allerdings keine Lösung, die alle überzeuge, räumt sie ein.

Die Expertin legt auch persönlich Wert auf gender-gerechte Sprache. Mitgemeint sei eben nicht auch mitgedacht, verdeutlicht Carmen Spiegel. Dem Contra-Argument, ein Begriff wie „Bürger“ schließe automatisch auch die weibliche Form mit ein, tritt sie leidenschaftlich entgegen: „Warum soll die maskuline Form automatisch Frauen einschließen, nicht aber umgekehrt?“ Warum etwa sei „die Sekretärin“ nicht die weibliche Entsprechung von „der Sekretär“? Und warum „die Gouvernante“ nicht das weibliche Pendant des Gouverneurs?

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