Skip to main content

Innovationen in der Landwirtschaft

Karlsruher Start-up Vertical Farm Tech will die Welt des Pflanzenanbaus revolutionieren

Gesunde Pflanzen anbauen, ohne Sonnenlicht und Erdboden? Was sich nach Science-Fiction anhört, ist im Karlsruher Start-up Vertical Farm Tech bereits Realität. Beim Vertical Farming werden Nutzpflanzen indoor in Regalsystemen angebaut. 

Gründer Daniel Trippe kontrolliert an der drehbaren Anlage, wie die Pfefferminz-Pflanzen im Botanischen Garten des KIT wachsen.
Gründer Daniel Trippe kontrolliert im Botanischen Garten des KIT, wie die Pfefferminz-Pflanzen wachsen. Hier wird an einer drehbaren Anlage erforscht, wie sich Gravitation als Wachstumsreiz auf die Pflanzen auswirkt. Foto: Jörg Donecker

Eine Pflanze braucht Sonnenlicht und Erde, um gesund zu wachsen. Diesem Grundsatz würde eigentlich niemand etwas entgegenstellen. Doch das junge Karlsruher Unternehmen Vertical Farm Tech möchte mit einer innovativen Methode die konventionell übliche Landwirtschaft auf den Kopf stellen.

Die Idee des Vertical Farming ist, die Landwirtschaft von draußen nach drinnen zu holen. Die Pflanzen werden dabei vertikal übereinander angeordnet und unter vollständig kontrollierten Bedingungen in geschlossenen Räumen angebaut.

Wir verlassen komplett das Anbauschema, das man kennt.
Reinhard Bott
Gründer

„Wir verlassen komplett das Anbauschema, das man kennt“, erklärt Reinhard Bott, der Initiator und Gründer des Start-ups. Unabhängig von Klima, Jahreszeit und Standort könnten auch auf kleinstem Raum ganzjährig ertragreiche Ernten und könnte höchste Qualität aller möglichen gefragten Pflanzenarten erreicht werden – und das pestizidfrei.

Als ein „Wohlfühlhotel für Pflanzen“ beschreibt Bott seine Geschäftsidee. Der Verfahrensingenieur ist in Karlsruhe kein Unbekannter. Er hat das Karlsruher Filtrationsunternehmen BOKELA mit gegründet, 30 Jahre lang geleitet, zweimal den Innovationspreis gewonnen. Nun bestreitet der 70-Jährige seit 2021 mit einem jungen Team und dem Start-up Vertical Farm Tech neue Wege.

Botts Mitgründer sind Maschinenbauingenieur Daniel Trippe (31) und Umweltingenieur Marc Galley (33). „Es ist extrem spannend als Ingenieur Ökosysteme zu imitieren“, erklärt Galley seine Begeisterung für die vertikale Anbautechnik.

Idee für Vertical Farming kommt aus New York und Tokyo

Die Idee fürs Vertical Farming wurde bereits vor vielen Jahren in den äußerst dicht besiedelten Metropolen New York und Tokyo geboren, in denen kaum Platz für regionale Landwirtschaft zur Verfügung steht. In Deutschland gab es bis 2018 keinen Anlagenbauer.

„Die gibt es bis heute nicht“, erklärt Trippe, „der Anlagenbau-Gedanke ist bis heute nicht existent.“ Nur einzelne Farmen hätten entsprechende Anlagen für den Eigenanbau erstellt. Problem am Vertical Farming: „Es ist eine außerordentlich interdisziplinäre Sache“, sagt Trippe. Das Wissen von Ingenieuren und Botanikern müsste wie Rädchen ineinander greifen.

Das junge Unternehmen setzt folglich nicht auf die Produktion und den Verkauf der Pflanzen selbst, sondern auf die Planung und das Engineering der Anlage für industrielle Kunden, die für die eigene Produktion eine solche Farm bauen und betreiben wollen. 

„Im Indoor-Farming wird meistens auf Erde verzichtet, um Unkraut, Insekten und die Verschmutzung des Systems zu vermeiden“, erklärt Galley. Stattdessen werde die sogenannte Hydroponik eingesetzt, um die Pflanze mit Nährstoffen zu versorgen: Sie bekommt Halt, indem sie sich in einem Substrat wie einer Matte aus Naturfasern festklammert.

Darunter schwimmen die Wurzeln in einem Bad aus Nährlösung, die zielgenau alles an Nährstoffen enthalte, was die Pflanze zum gesunden Wachstum benötige. Wasser, das nicht benötigt werde, könne wieder in den Kreislauf zurückgeführt werden. 95 Prozent weniger Wasserverbrauch verspricht das Vertical Farming so im Vergleich zu herkömmlichen Anbaumethoden im Freiland.

Doch Schlüsselressource für die vertikalen Anlagen ist viel Energie. Für ideale Wachstumsbedingungen muss die Anlage durchgängig klimatisiert und beleuchtet werden. Die Herausforderung ist in Zeiten steigender Strompreise, die Wirtschaftlichkeit dieser Anbaumethode zu gewährleisten.

Als konkretes Beispiel nennt Daniel Trippe eine kleine Indoor-Farm-Anlage in Containergröße mit zehn Quadratmeter Anbaufläche. Mit Basilikum als Zielpflanze käme man auf etwa 40 kWh/Tag. Das entspräche etwa dem durchschnittlichen täglichen Stromverbrauch von drei Haushalten im Jahr 2020.

Karlsruher Start-up Vertical Farm Tech konzentriert sich auf Heilpflanzen

Damit könnte man etwa 16 Personen durchgängig mit je einem frischem Basilikum-Strauch pro Woche versorgen. „Was einen sehr hohen Basilikum-Hunger voraussetzt“, meint der Gründer schmunzelnd. Das Beispiel zeige jedoch, dass man sich gut überlegen müsse, ob das entsprechende Pflanzenprodukt den Energieaufwand rechtfertige. „Daher ist unsere Ausrichtung ganz klar auf hochwertige, stark gefragte und schwer zu beschaffende und gefährdete Heilpflanzen“, sagt Trippe.

Zudem müsse man durch kluge Effizienzmaßnahmen den Energieverbrauch so gering wie möglich halten und die Energie auf nachhaltige Weise bereitstellen. Themen wie Fotovoltaik, Wärmerückgewinnung, Geothermie, Biomasse-Verwertung und Quartiers-Lösungen müssten von vornherein in die Planung eingebunden werden.

Reinhard Bott (links) und Marc Galley (rechts) zeigen, wie die Wurzeln der Versuchspflanzen unter Indoor Farm-Bedingungen wachsen.
In den Räumlichkeiten von Vertical Farm Tech in der Karlsruher Oststadt finden neben der Entwicklung der Anlagenkomponenten auch Versuche zum optimalen Wachstum der Versuchspflanzen unter Indoor Farm-Bedingungen statt. Die Gründer Reinhard Bott (links) und Marc Galley (rechts) zeigen, wie die Wurzeln wachsen. Foto: Jörg Donecker

Erforscht und entwickelt werden die Anlagen derzeit an zwei Forschungsmodulen. In den Räumlichkeiten von Vertical Farm Tech in der Karlsruher Oststadt finden neben der Entwicklung der Anlagenkomponenten auch Versuche zum optimalen Wachstum der Zielpflanzen unter Indoor Farm-Bedingungen statt.

Zudem wird in Zusammenarbeit mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) im Botanischen Garten der Gravitropismus, also die Antwort der Pflanze auf die Neuausrichtung im Schwerefeld, untersucht. Dabei können verschiedene Ausrichtungen zur Schwerkraft eingestellt werden. Bereits Ende 2024 soll die erste Vertical Farming-Pilotanlage hier in der Region entstehen.

nach oben Zurück zum Seitenanfang